Thomas Rietzschel / 09.02.2018 / 17:30 / Foto: Máté Molnár / 21 / Seite ausdrucken

Gesehen, gelesen, gehört, verpasst: Auch du, mein Sohn Martin

Das Theater steckt voller Überraschungen. Zuerst wurde uns monatelang eine Posse en suit geboten. Von Szene zu Szene schleppte sich auf der Berliner Staatsbühne die Rangelei der Parteien um die Macht. Wie in der Boulevard-Komödie klappten die Türen mal auf dieser, mal auf jener Seite. Kaum dass einer abging, trat der nächste aus den Kulissen. Volkstheater ohne Volksschauspieler, dafür besetzt mit Laiendarstellern, die gaben, was sie für das Beste hielten, bis sie sich zum Schluss, als keiner mehr weiter wusste, alle den Faden verloren hatten, zänkisch vereint vor dem Publikum aufstellten. Der Vorhang fiel, alle Fragen blieben offen. Das Ende eines Schwanks, bei dem wir öfter gähnten, als dass wir zum Lachen verführt worden wären. Kein großes Theater, nichts, das den Kritiker vom Stuhl gerissen hätte.

Doch wie so oft kam es ersten anders und zweitens als man dachte. Unverhofft folgte der Klamotte eine Tragödie auf den Fuß: die politische Hinrichtung Sigmar Gabriels. Obwohl ihm das Amt des Außenministers, das er derzeit kommissarisch versieht, auch für den Fall einer neuen GroKo versprochen gewesen sein soll, namentlich von Martin Schulz, wurde er kaltherzig von Bord gestoßen. Der einstige Freund wollte den Posten selbst besetzen. Von „Wortbruch“ sprach der Geschasste. Eine Aussprache, sagte er, hätte es nicht gegeben.

Rein dramaturgisch betrachtet, Stoff genug für die theatralische Gestaltung eines tragischen Konfliktes. Wie Brutus, der politische Wendehals römischer Antike, seinem Ziehvater Cäsar in den „Iden des März“, 44 v.Chr., den Dolch in den Rücken rammte, so hat Martin Schulz Sigmar Gabriel hinterrücks aus dem Weg geräumt, um Platz für sich zu schaffen. Der Abservierte versteht die Welt nicht mehr. Als sei er aus allen Wolken gefallen, stellte er bestürzt fest, seine bisherige Arbeit sei „der neuen SPD-Führung herzlich egal“. Sollte er sich in der Historie auskennen, dürfte er dabei noch im Abgang vor sich hin gemurmelt haben: Auch du, mein Sohn Martin. 

Das Ende der Geschichte muss das noch lange nicht sein. Denn schon seinerzeit sah man sich „bei Philippi“ wieder. Nur zwei Jahre nach dem Cäsaren-Mord war es um den Kopf des Brutus geschehen. Martin Schulz hat den seinen unterdessen vorsorglich eingezogen. Außenminister will er nicht mehr werden, indes sich Sigmar Gabriel von seiner jüngsten Tochter in die Arme nehmen lässt. „Du musst nicht traurig sein, Papa“, soll sie ihn getröstet haben, „jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“

Da sage noch einer, der Staatsbühne unserer Tage mangele es an Tragödien. 

Foto: Máté Molnár CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Test 45: 48492

Dr. Liebold / 09.02.2018

Als vor ein paar Tagen Merkel mit Seehofer und Martin Schulz vor die Presse traten, da habe ich gedacht, wie wollen diese 3 zusammenarbeiten, die sich doch mehrfach gegenseitige Abneigungbescheinigt haben. Seehofer sprach z.B. von der Herrschaft des Unrechts unter Merkel und Scholz wollte nie wegen Merkel in ein Kabinett mit Merkel eintreten. Wer sich so wandelt ist ein Wendehals. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass nach dem Untergang der DDR die Geschichte sich so schnell wiederholt. Hoffentlich kapieren das auch Merkel und Seehofer und befreien Deutschland von ihrer 180°-Politik.

Thomas Schmied / 09.02.2018

...und eine politisch korrekte Pippilotta Viktualia (ohne Superkräfte und auch ohne sonstwas) machen sie zu ihrer Chefin. 18% - absteigend. Man ahnt, warum diese SPD Neuwahlen scheut. Die Devise: Lieber mit den schon erhaltenen Stimmen weiter irgendwie mitmerkeln.

Karla Kuhn / 09.02.2018

"Wie Brutus, der politische Wendehals römischer Antike, seinem Ziehvater Cäsar in den „Iden des März“, 44 v.Chr., den Dolch in den Rücken rammte, so hat Martin Schulz Sigmar Gabriel hinterrücks aus dem Weg geräumt, um Platz für sich zu schaffen. " Wie war es denn im Januar 2016, war es nicht Gabriel der quasi in einer Nacht und Nebel Aktion sich selbst zum Außenminister gemacht hat, nach dem er erst Steinmeier den Posten des BP zugeschanzt hatte ?? "Er wolle für seine Familie kürzer treten." Ja klar, der Außenminister ist ja auch ein Ruhesessel. Und Schulz ? Wenn Gabriel ihm geglaubt hat, ist er doch selber dran schuld. "Was schert mich mein Geschwätz von gestern. " Ich glaube einem Politiker generell nichts!! Und jetzt sind beide weg vom Fenster, ich laube, sie hinterlassen keine große Lücke. Wenn sie Frau Merkel und Co. noch mitgenommen hätten, wären sie vielleicht als Helden in die Geschichte eingegangen aber so werden sie wahrscheinlich nur unter ferner liefen verbucht.

Bertram Scharpf / 09.02.2018

Sie ziehen das falsche Stück heran. Martin Schulz ist nur eine Randfigur, die sich am ehesten noch vergleichen läßt mit Loriots „Das Bild hängt schief“. Frau Merkel aber ist im Sommer 2015 einaml so tief ins Blut gestiegen, und inzwischen bleibt nur noch eine spannende Frage: Wer den Part des Macduff spielt.

S.Niemeyer / 09.02.2018

Wenn's bei den Sozen kracht, spielt's sich um so fröhlicher in Merkels Intrigantenstadel.

Heiko Stadler / 09.02.2018

Wir brauchen keine Neuwahlen, um eine neue Regierung zu bekommen. Wir müssen nur geduldig warten, bis sich die Gruselclowns gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben.

Martin Landvoigt / 09.02.2018

Warum beschäftigt man sich überhaupt mit derartigen Menschen? Mitleid empfinde ich nicht, denn sie haben allesamt ausgesorgt, weit mehr als viele Andere, die Opfer deren Politik wurden. Wenn also das persönliche Interesse gering bleiben kann, was bleibt? Die Frage, welche Politik in Deutschland gemacht wird. Und die ist zur Zeit noch bei einem schlingernden 'Weiter so'. Ein großer Wurf ist nicht in Sicht. Die Parteien haben außer der AfD keinen Gegenentwurf zu bieten, auch nicht seitens der beschworenen Nachwuchs-Hoffnungen. Und auch nicht seitens der FDP.

Weitere anzeigen

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 20.05.2025 / 14:00 / 35

Daniel Günthers kurzer Prozess

CSU-Chef Markus Söder und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärten gerade, dass die Unionsparteien nicht mehr über ein AfD-Verbot reden sollten. Ob das Parteifreunde wie Ministerpräsident Daniel Günther,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 17.05.2025 / 14:00 / 23

Warum der „wehrhafte Staat“ mit Kanonen auf Spatzen schießt

Die wirklichen Probleme der inneren Sicherheit mögen deutsche Regierungen inzwischen bekanntlich nicht einmal mehr klar benennen. Aber Macht wollen sie dennoch demonstrieren. Zum Glück lassen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 15.05.2025 / 14:00 / 12

Esken: Mit offenem Visier auf verlorenem Posten

Auch wenn man sie nicht vermissen wird, ist ihr ein gewisser Respekt nicht zu versagen: Respekt für den Mut und die Unbeirrbarkeit, mit der sie an den alten…/ mehr

Thomas Rietzschel / 26.04.2025 / 16:00 / 17

Frau bleibt Frau, Mann bleibt Mann

Die Bindung der Geschlechtszugehörigkeit an die biologische Disposition trägt dem Common Sense, dem gesunden Menschenverstand, Rechnung. Ihm wird in Großbritannien hohe Bedeutung beigemessen, wie ein Urteil des…/ mehr

Thomas Rietzschel / 18.04.2025 / 14:00 / 22

Olaf Scholz enttarnt, aber unberührt

Eine fiktionale Serie über die "Affäre Cum-Ex" schilderte gekonnt die verrottenden politischen Verhältnisse in diesem Land. Olaf Scholz hatte darin ebenfalls einen Auftritt. Bis weit…/ mehr

Thomas Rietzschel / 15.04.2025 / 06:25 / 103

Peng, peng macht die Bundeswehr

Die Bundeswehr ist nur sehr bedingt einsatzfähig. Es mangelt an Soldaten, Geräten und Motivation. Nun soll alles besser werden, mit viel Geld. Das kann aber zum Fluch…/ mehr

Thomas Rietzschel / 08.04.2025 / 14:00 / 51

Putins imperialistische Pläne: Eroberer ticken anders

Viele fragen, warum Putin es auf einen Konflikt mit dem Westen anlegen sollte, der ihm keinen ökonomischen Vorteil brächte. Doch Imperialisten wie er denken anders,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2025 / 16:00 / 95

Rette sich, wer kann! Und den Klappspaten nicht vergessen!

Die Regierung bereitet die Bürger auf den Kriegsfall vor. Viel zu lange haben wir uns darauf verlassen, dass die Amerikaner, sollte es ernst werden, schon…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com