Dirk Maxeiner / 22.12.2006 / 09:56 / 0 / Seite ausdrucken

Gesegneter Konsum

Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 22.12 06

Letztes Wochenende war unsere gemeinsamer Bekannter Oliver zu Besuch. Oliver ist gewissermaßen voll globalisiert. Lebt mit seiner chinesischen Frau, die er in Australien kennen gelernt hat, in London. Und welchem weihnachtlichen Vergnügen gingen die beiden nach? Shopping in Singapur oder Hongkong? Nein: Einem Besuch auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt - Billigflug macht’s möglich. Vergnügt genossen sie Lebkuchen und Glühwein im Kerzenschein. Man muss scheinbar weit gereist sein, um das in sentimentaler Unschuld einfach genießen zu können. Bei den daheim gebliebenen ist ja eher Dekonstruktion angesagt: Alles nur Kommerz! Peinlicher Gemütskitsch! Geschaffen, um den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen!

Die Litanei über die gar schreckliche Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes gehört mittlerweile genauso zum Fest wie das Krippenspiel im Gottesdienst. Wir beide leben jedenfalls schon so lange damit, wie wir uns Geschenke wünschen können. Unvergessen bleibt die Deutsch-Klassenarbeit mit der Aufgabenstellung: „Erörtern Sie die stetig zunehmende Kommerzialisierung von Weihnachten und stellen Sie Möglichkeiten der Abhilfe dar.“ Die Note war ziemlich katastrophal, weil einem Vierzehnjährigen, der von einer Stereoanlage träumt, keine Möglichkeiten zur Abhilfe einfallen wollten.

Inzwischen trat der i-Pod an die Stelle der Stereoanlage, die Klage aber blieb die gleiche. Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann riecht „die süße Soße von Kommerz und Kitsch“ und Peter Hahne entlarvt den Weihnachtsmann als „Packesel der Konsumgesellschaft.“ Auf der Internetseite des Goethe-Institutes heißt es: „Ganz klar, Weihnachten hat heute nur noch einen Zweck: Den Impuls für noch mehr Konsum zu geben und damit die Binnenwirtschaft anzukurbeln.“ Sogar die Amerikaner, die ja sowohl den Konsum als auch den Weihnachtsmann in seinem heutigen Outfit erfunden haben, stimmen inzwischen in die Litanei ein: Laut einer Umfrage beklagen 85 Prozent die übermäßige Kommerzialisierung des Festes.

Ein paar konsumkritische Bemerkungen aus der Phrasendreschmaschine dürfen in keiner Predigt oder Festansprache mehr fehlen. Sie sind selbst zum rituellen Bestandteil der Feier geworden. Ohne die üblichen kulturpessimistischen Gedanken zum desolaten Zustand unserer Gesellschaft und den verhängnisvollen Ergebnissen des Gewinnstrebens würde dem Publikum echt was fehlen. Das schöne an solchen Beschwörungen ist, das keiner mehr fragt, ob sie tatsächlich etwas mit der Faktenlage zu tun haben.

Erinnern wir uns doch mal zwei Jahre zurück: Damals spendeten die egoistischen deutschen Konsumtrottel innerhalb weniger Tage 670 Millionen Euro für die Opfer des Tsunami.  Für gute Zwecke gingen im Jahr 2005 in Deutschland sogar mehr als drei Milliarden Euro Spenden ein. Diese Summen fielen nicht vom Himmel, sondern mussten erwirtschaftet werden. Kommerz und Konsum haben zwar eine schlechte Presse, zeitigen unter dem Strich aber segensreiche Ergebnisse auch für Menschen in Not. Mal ganz abgesehen von ihrer Frieden stiftenden Wirkung: Gesellschaften in denen sich eine wohlhabende und konsumfreudige Mittelschicht herausgebildet hat, sind nur noch schwer dazu zu bewegen, in einen Krieg zu ziehen. Menschen die von einem Auto oder einem Häuschen träumen, haben keine Lust mehr sich oder ihre Söhne für die höheren Weihen des Vaterlandes zu Opfern.

Die Konsumgesellschaft mag ihre Schattenseiten haben, dem christlichen Ziel der Nächstenliebe entgegengesetzt ist sie nicht. Die weihnachtliche Kommerzklage verrät vielmehr einen Bedeutungswandel des Festes für viele Menschen.  Weg von den Dogmen der Entsagung, des Verzichts, der Selbstaufopferung und des Jenseitsdenkens -  hin zu einem Fest der Lebensfreude und der Verfolgung des persönlichen Glücks.  Was auch immer sie feiern, wünschen wir Ihnen ein frohes Fest - und reichlich Geschenke.

 

 

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