„Alles weit weg? Hat das nichts mit uns zu tun? Haben wir da etwa ein Problem?“, bohrte zu später Stunde unheilschwanger die Fernsehstimme, um die Antwort sofort nachzuliefern, einem Donnerschlag gleich: „Und wie!“ Als Georg Restle, Leiter der Monitor-Redaktion, Grimme-Preisträger und zweitbester Politik-Journalist 2020 sowie einer der führenden Twitterer der Republik, in seinem neuesten Tagesthemen-Kommentar das Bild eines von Rassismus total verseuchten Deutschlands zeichnete, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, analog zur berühmten Jim-Beam-Werbung („Das ist kein Jim Beam!“): Das ist kein Journalist!
Aber was sonst? Einen ersten Anhaltspunkt liefert das scheinbar besorgte, in Wahrheit bevormundende Krankenschwestern-Wir, das auch der amtierende Bundespräsident so gern verwendet und bei dem der Sprecher sich selbst nicht einbegreift, weil er von vermeintlich höherer Warte aus spricht: Wie geht’s uns denn heute? Haben wir schon unsere tägliche Dosis Tabletten gegen Rassismus und Rechtspopulismus genommen? Dazu flackert aus Restles wasserblauen Augen heiliger Ernst, als glaubte er wirklich, was er da sagt: Dass in vielen Medien tagtäglich rassistische Stereotype bedient werden. Dass bei der Polizei Menschen mit anderer Hautfarbe viel leichter ins Fadenkreuz geraten als der weiße Durchschnittsdeutsche. Dass Werbekampagnen für Aufruhr sorgen, nur weil darin zu wenig weiße Deutsche vorkommen. Spontan würde ich diese Behauptungen, die so falsch sind, dass nicht einmal ihr Gegenteil richtig ist, als Fake News und Verschwörungstheorien bezeichnen – was im Übrigen ein beliebter Vorwurf Restles gegen Andere ist.
Ein rätselhaftes Sendungsbewusstsein
Alexander Wallasch hat vor zwei Jahren in einem langen Artikel versucht, das Phänomen Restle zu ergründen. Wie ist es möglich, dass jemand, der permanent die moralische Verpflichtung von Journalisten zur Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit im Munde führt, zugleich die Grundsätze journalistischen Selbstverständnisses untergräbt, indem er für eine Berichterstattung „mit Haltung“ trommelt, die die Fakten für den Leser/Zuschauer „einordnet“, weil diesem offenbar die Bildung einer fundierten Meinung nicht zuzutrauen ist? Wie kann sich einer der einflussreichsten deutschen Medienmacher als eine Art Märtyrer gerieren, der todesmutig gegen eine erdrückende Übermacht rechter „digitaler Heerführer und ihrer Armeen“ ankämpft, wie er die vielen kleinen Internet-User bezeichnet, die kritische Kommentare unter seinen Artikeln hinterlassen?
Georg Restle bezeichnet sich selbst immer wieder als „meinungsstark“. In seinem Essay „Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus“ denunziert er den ehernen journalistischen Grundsatz des „Schreibens, was ist“ als „Neutralitätswahn“ und fordert, die Trennung zwischen Bericht und Kommentar aufzuheben. Dabei beruft er sich allen Ernstes auf Egon Erwin Kisch, den „rasenden Reporter“ der Weimarer Republik, der mit seiner „offengelegten Parteinahme für die Benachteiligten… nicht nur wahrhaftiger, sondern auch ehrlicher“ gewesen sei als die (pseudo-neutralen) Journalisten von heute.
Schon als Schülerzeitungsredakteur war sein Antrieb „ein zutiefst demokratischer“, verrät er in einem Interview. Von dieser Schülerzeitung bis an die Spitze der Monitor-Redaktion muss man sich wohl einen schnurgeraden Weg vorstellen, immer im Kampf gegen rechts und für „Benachteiligte“, ungetrübt von irgendwelchen Zweifeln, auch nicht durch den wirtschaftlichen und moralischen Bankrott des „Realen Sozialismus“. Ein medialer Robin Hood mit klarer Botschaft, „mutig“ – wie eines von Restles Lieblingsadjektiven lautet – und unbestechlich. Entsprechend lautet sein Kurzporträt bei Twitter: „Georg Restle. Journalist über den Tag hinaus. Redaktionsleiter Monitor (ARD). Spricht für sich.“ Das ist in seiner Schlichtheit so großartig und in seiner Großartigkeit so schlicht, dass man vor Ehrfurcht verstummen möchte.
Wallasch machte Restles rätselhaftes Sendungsbewusstsein „über den Tag hinaus“ eher ratlos. Er findet ihn „bigott“ und meint, dass der Monitor-Chef seine Rollen je nach Tagesform wechselt. Beim Nachdenken darüber, warum mich das „Jungengesicht“ des Mittfünfzigers Restle und seine „sanfte aber resolute Stimme“ so unangenehm berühren, bin ich zu einem anderen Schluss gekommen. Wir sind etwa im selben Alter, und tatsächlich erinnert mich Restle an eine unrühmliche, wenn auch wohl notwendige Phase meines eigenen Lebens. Als spätpubertierender Mittzwanziger lief ich einige Jahre auf allen linken Demos mit, die Berlin zu bieten hatte, wohnte mit Gleichgesinnten in einer WG und beurteilte die Welt ähnlich platt-pauschal, wie Restle es heute noch tut. Deshalb glaube ich, mich in ihn einfühlen zu können. Nein, dieser Mann wechselt seine Rollen nicht, sondern ist einer einzigen verhaftet: der des eifernden Mahners und Predigers.
Der Minimalist
Nirgendwo findet sich bei dem, was Restle öffentlich gesagt oder geschrieben hat, auch nur ein Hauch von Selbstreflexion, Nachdenklichkeit oder Unsicherheit bezüglich der eigenen Botschaft, die sich aus den immer gleichen Satzbausteinen zusammensetzt:
- Wir müssen für unsere Verfassung und die universellen Menschenrechte eintreten. Diese gelten auch für Flüchtlinge, deshalb ist die Seenotrettung im Mittelmeer so wichtig.
- Den völkischen Nationalismus, der dagegen sein hässliches Haupt bis in die Mitte der Gesellschaft hinein erhebt, müssen wir alle gemeinsam bekämpfen.
- Gerade wir Journalisten haben die Pflicht, unsere demokratischen Freiheiten mutig zu verteidigen.
- Daher dürfen wir Rassisten und Rechtspopulisten keine Bühne für Hass und Menschenverachtung bieten und müssen verhindern, dass diese die Grenzen des Sagbaren erweitern. Denn aus Gedanken werden Worte und aus Worten Taten.
Restle ist sowohl Generalist als auch Minimalist und dies sein (in sich durchaus widersprüchliches) Narrativ, das er in sämtlichen – wirklich sämtlichen – Kommentaren, Anmoderationen und Interviews nur geringfügig variiert. Klingt edel, ist aber ein aufgeblähter Ballon aus Allgemeinplätzen, der eine Agenda kaschieren soll, die Wallasch als „ideologischen Overkill“ bezeichnet.
Denn der „universelle“ Kampf für Menschenrechte endet gleich jenseits der eigenen Scheuklappen. Der „völkische Nationalismus“ Erdogans interessiert den Monitor-Chef mitnichten, während der von Trump ihn geradezu obsessiv beschäftigt. Die türkischen „Grauen Wölfe“, bei weitem die größte rechtsextremistische Organisation in Deutschland, sind für Restle kein Thema, dafür warnt er in fast jedem seiner Kommentare vor der AfD. Salafisten? Die erhöhte Kriminalitätsrate bestimmter Migrantengruppen? Die Diskriminierung der Frau oder der Hass auf „Ungläubige“ im Islam? Christenverfolgungen? Parallelgesellschaften? Gar linksextremistische Gewalt? Völlig uninteressant. Viel wichtiger ist, dass Muslime sich in Deutschland nicht diskriminiert fühlen.
Sorgen tut sich Restle aber nicht nur um biodeutschen Rassismus und Rechtsextremismus, sondern auch um Länder wie Iran (islamisch-fundamentalistisch) oder Venezuela (orthodox-sozialistisch). Als US-Präsident Trump im Frühjahr 2018 das Atomabkommen mit dem Iran kündigen wollte, twitterte der Monitor-Chef: „Und das am 8. Mai: Oberster Kriegsherr sitzt im Weißen Haus“. Sogar Volker Beck von den Grünen kamen da Bedenken: „Geschätzter Georg Restle“, zwitscherte er zurück, „das ist zumindest missverständlich: Sie haben es vermutlich gar nicht so gemeint, aber die Relation von Oberster/8. Mai passt für uns Deutsche nicht wirklich. Ich finde Trumps Schritt falsch, aber der Iran-Deal ist auch defizitär.“ Für Restle war das schon zu viel Differenzierung. Ein Jahr später bangte er um das Regime in Venezuela und zog den Vergleich zu Putins Einmarsch in der Ukraine: „Eine US-Intervention in Venezuela kann und darf keine Lösung sein, ganz gleich, wie man zu Maduro steht“. Bleibt die Frage: Wie kann es eigentlich für einen Kämpfer für universelle Menschenrechte zwei Meinungen über einen venezolanischen Diktator geben, der sein eigenes Volk aushungert und aus dem Land treibt?
Thema-Verfehlungen inklusive
Wer Restle bestellt, bekommt Restles Narrativ und sonst nichts. Das musste auch die Armenische Gemeinde in Deutschland erfahren, die ihn aus unerfindlichen Gründen 2019 zum Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern als Hauptredner einlud. Der Monitor-Chef tat, was er immer tut: Nach einem einzigen Alibi-Halbsatz über den Genozid, der „heute vor 104 Jahren seinen furchtbaren Anfang nahm“ – sozusagen wie eine Naturkatastrophe – schwadronierte er über „völkischen Nationalismus“ in Deutschland, der „bis weit in die Mitte der Gesellschaft vordringt“ und „Menschen aussortiert, weil sie den falschen Glauben, die falsche Herkunft oder die falsche 'Rasse' haben“, rief zum „Kampf für die universellen Menschenrechte“ auf und vergaß auch nicht, Polen und Ungarn zu erwähnen, „wo die Religionsfreiheit quasi nur noch für Christen gelten soll, keinesfalls aber für Muslime“. Die Protest- und Buhrufe, die daraufhin ertönten, hat er vermutlich gar nicht wahrgenommen.
Ein erboster Teilnehmer schrieb hinterher auf Facebook, Restles Rede habe bezüglich der Verfehlung des eigentlichen Themas alles getoppt, was jemals in der Geschichte der Bundesrepublik an „unengagierten Gedenkreden“ gehalten worden sei. Und eine andere Teilnehmerin fragte, ob das „Gedenken an Menschen, die zu Opfern von Muslimen wurden, welche sich beim Massakrieren auf den Koran beriefen, wirklich der richtige Ort (gewesen sei), um für Religionsfreiheit für Muslime zu plädieren.“
Wer journalistisches Handwerk als „Neutralitätswahn“ abtut, dem rutschen auch mal Schlampigkeiten bei den Fakten durch, ob bei der manipulativen Verzerrung einer Grafik zur Zahl der Asylanträge in Deutschland oder in der Berichterstattung zum Tod eines Flüchtlings durch einen selbstgelegten Brand. Wobei einem die böse Idee kommen könnte, das Übermaß an „Haltung“ diene vielleicht nur dazu, die mangelhafte Beherrschung des Handwerks zu verdecken.
Die Methode Restle
Georg Restles Spezialität sind eben nicht brillante Reportagen, anregende neue Blickwinkel oder gar eine originelle Sprache, sondern allein die „richtige“ Moral, die er wie ein Banner vor sich herträgt. Seine Schlüsseltugenden „Mut“ und eine „klare Kante gegen Rechtspopulismus und Sittenverrohung“ wurden ihm von anderen angetragen. Überdies gilt er als „einer der streitbarsten, wenn nicht gar der streitbarste Fernsehmoderator dieser zerstrittenen Zeit“. Nachdem er 2019 in einem Tagesthemen-Kommentar gefordert hatte, die AfD als „rechtsextremistisch“ einzustufen, erhielt er eine Morddrohung. Darauf wurde ihm 2020 für „besondere journalistische Leitung“ der Grimme-Preis verliehen, als einem „meinungsstarken Redaktionsleiter, der in seinen Kommentaren eine klare Haltung zeigt“.
Das Geschäftsmodell, mit dem er es weit nach oben geschafft hat, scheint so simpel wie sein Narrativ: Twittere oder kommentiere „meinungsstarke“ Pauschalurteile, auf gut Deutsch: Hau ordentlich auf die K…, such dir aus dem absehbaren Shitstorm die übelsten Beleidigungen heraus und instrumentalisiere diese wiederum, um dich als verfolgte Unschuld und unbequemen Mahner hinzustellen! So ähnlich macht das ja auch der Lieblingsfeind Donald Trump. Ein Dialog mit Andersdenkenden entsteht auf diese Weise kaum, ist auch nicht beabsichtigt. Restle kann keinen Dialog – eine weitere Parallele zu Trump. So schreibt Wallasch, der Monitor-Chef habe ihm zwar angeboten, die Meinungsunterschiede über Journalismus mit ihm „persönlich zu diskutieren“, allerdings nur „auf Twitter“.
Mutig in der Komfortzone
Ist schon mutig, wer ständig von „Mut“ redet und andere auffordert, „mutig“ zu sein? Und ist schon selbstkritisch, wer nur behauptet, es zu sein? Auf die Frage, ob es Monitor-Beiträge gegeben habe, von denen er sich im Nachhinein gewünscht hätte, dass sie nicht gesendet worden wären, erwiderte Restle: „Nein, auch wenn wir sicher nicht mit allen Berichten hundertprozentig zufrieden sind. Dafür sind wir viel zu selbstkritisch.“
Einer von seinen Bewunderern, der ebenfalls bereits deutlichen Abstand vom „Neutralitätswahn“ genommen hat, porträtiert ihn mit den Worten: „Ob im Anzug vor der Kamera oder mit Turnschuhen beim Gespräch: Georg Restle ist eigentlich immer in Kampfbereitschaft. Viel Feind, viel Pluralismus, viel Demokratie.“
Doch wenn der Monitor-Chef tatsächlich so „streitbar“ ist, warum findet man dann im Netz fast nur Gefälligkeits-Interviews mit ihm, in denen vorwiegend Suggestivfragen gestellt werden? Wieso betätigen sich die Interviewer als bloße Stichwortgeber für das Narrativ ihres Idols? Kostprobe: „Schon heute sind krude und menschenfeindliche Ansichten erschreckend verbreitet. Warum ist der Extremismus so viel anschlussfähiger als vor einigen Jahren?“ Oder: „Viele Kolleg*innen stehen nach der Morddrohung, die Sie anonym erhielten, hinter Ihnen. Isabel Schayani vom WDR nannte Sie im Kurznachrichtendienst Twitter ‚mutig‘. Ist das wirklich mutig oder machen Sie eben konsequent Ihren Job?“
Kritische Äußerungen über den ach so „Streitbaren“ muss man in den Öffentlich-Rechtlichen mit der Lupe suchen. Der Journalist Stefan Winterbauer erkannte hinter Restles Drang, dem Publikum diktieren zu wollen, was es zu interessieren hat, „ein gehöriges Maß an Verblendung und auch Arroganz“. Und Moderatorenkolleg Jörg Thadeusz ätzte: „Restle und der andere Heilige Vater [Papst Franziskus] sind derart im Besitz einer höheren Moral, dass sie sich über ihre Laufbahn im Jenseits keine Sorgen mehr machen müssen.“
Spätestens wenn der Medienliebling Georg Restle sich als jemand bezeichnet, der „gegen den Wind segelt“, aber „nie ideologisch“, drängt sich die Frage auf, ob die Rolle, die dieser Mann da – teils selbstgewählt, teils von außen angedichtet – einnimmt, nicht eine ziemlich hohle Pose ist? Wäre er der Protagonist eines Kriminalromans, von dem sein Urheber behauptet, er habe „Ecken und Kanten“, sei ein „cooler“ und „mutiger“ Draufgänger, ohne dies dann durch entsprechende Szenen zu belegen, würde das Buch floppen. Die Kritiker würden dem Autor zu Recht vorwerfen, seine Behauptungen seien durch den Text nicht gedeckt.
Seltsamerweise sieht man Restle auch nie mit ebenbürtigen Kontrahenten Argumente austauschen, sondern immer nur als Mahner und Ankläger, gepampert von den Moderatorinnen, den ihm beipflichtenden Mitdiskutanten und vom Applaus des Studiopublikums. In einer Talkshow saß er letztes Jahr dem sichtlich verstörten AfD-Gründer Bernd Lucke gegenüber, der die Partei vor Jahren wegen inhaltlicher Differenzen verlassen hatte und nun auf seine Hamburger Dozentenstelle zurückkehren wollte. Dies wurde von linksextremen Studenten unter „Nazischwein“-Geschrei und tätlicher Gewaltanwendung verhindert. Anstatt in dieser Situation – als selbst von Drohungen Betroffener – Solidarität zu üben und ungeachtet inhaltlicher Differenzen für die Meinungsfreiheit einzutreten, drückte Restle sein Verständnis für die Randalierer aus und hielt ein gnadenloses Tribunal ab über Luckes vergangene „Verfehlungen“.
Nein, Monitor-Chef Georg Restle ist nur in der eigenen Komfortzone „mutig“. „Mutig“ treibt er mit dem Schwarm, setzt sich auch gern mal an seine Spitze – aber gegen den Strom schwimmt er im Leben nicht.