Von einem deutschen Achse-Leser nach Ungarn eingeladen, kommt mir die Reise wie ein Hafturlaub vor. Hier herrscht die gute alte Normalität, die Antithese zum woken Wahn in Scholzland.
Manche Dinge im Leben beginnen mit einem Anruf: „Herr Schneider, Sie brauchen Urlaub“, sagt die Stimme am Telefon. Ein Leser ist dran, der, wie auch immer, meine Handy-Nummer recherchiert hat. Der Anruf kommt aus Ungarn und mein Leser meint, ich würde immer textremistischer und bräuchte eine Auszeit. Nun, ich bin alt genug zum Sterben, wenn es ein Serienkiller ist, dann hoffe ich, wenigstens als Schnapszahlopfer zu enden. Außerdem bin ich derzeit wirklich Oberkante Unterlippe von dem ganzen Mist hierzulande, und von Ungarn kenne ich bisher nur Budapest. Also nehme ich dem Schatz und mir eine Woche Urlaub und wir fahren zu dem potenziellen Serienkiller, der in Wahrheit ein Bauingenieur im Ruhestand ist und sich am Balaton ein Haus zugelegt hat. Hauptsache mal weg.
Es sind acht Stunden Fahrt durch #Scholzland, Österreich und Slowenien. Die Straßen sind ab Österreich gut ausgebaut und wir kommen ohne Stau und so gut wie ohne Baustelle durch. Unser Gastgeber hat sich vor ein paar Jahren in Ungarn ein hübsches Haus gekauft und lebt dort mit seiner Frau und zwei Hunden an einem hübschen kleinen namenlosen See. Auf mich gekommen ist er wegen meiner Artikel, die er gelegentlich liest und deren zunehmend verzweifelterem Tonfall er ein positives Bild entgegensetzen will. Und, in einem Satz, das hat er geschafft.
Ungarn ist anders. In deutschen Augen ist Orban seit knapp zwei Wochen jetzt der zweitböseste Mann nach Putin, aber immer noch fast so schlimm wie der österreichische Oberlippenbart und herrscht als Voldemort über 9,5 Millionen Nachkommen mongolischer und türkischer Versehrter, die die ganz und gar nicht diversen Kriegszüge im Pannonischen Becken hinterlassen haben. Kommt man als maskierter Deutscher nach Ungarn und sieht, mit welch freundlicher Entspanntheit und Nach-Lässigkeit die Magyaren das Thema „Corona, wir werden alle erbärmlich sterben“ behandeln, dann beschleicht einen beim ersten Tankstopp in Ungarn die Angst, dass gleich ein coronakranker Zombie auf den für 124 Cent parkenden Dieselbesitzer zugetorkelt kommt und zwecks Ansteckung beißen will. Ein mulmiges Gefühl – das bei den bis 1990 Geborenen schon seine zwei bis fünf Minuten anhält. Das Land selbst ist flacher als eine Rede von Frank-Walter Steinmeier, die meisten Straßen sind nagelneu und die meisten Ungarn verstehen nicht nur Deutsch, sie sprechen es sogar. Viele Straßen-, Orts- oder Werbeschilder sind zweisprachig, türkisch sucht man allerdings vergeblich, wahrscheinlich, weil alle Türken nach der Belagerung von Wien geflohen sind oder niedergemetzelt wurden.
Glücklich ohne Gendergaga, Energiewende, Flüchtlingsströme und Graffiti-Dreck
Es tut sich was, im Reich des bösen Orban: Der Mehrwertsteuersatz liegt zwar bei 27 Prozent, dafür sind aber alle anderen Kosten erfreulich niedrig, selbst für ungarische Verhältnisse. Der Benzinpreis wurde von der Regierung auf maximal 480 Forint pro Liter (1,31 Euro) festgelegt, was man in Deutschland durch eine Steuersenkung bewerkstelligen könnte. Die Eigentumsquote in Ungarn liegt im Immobilienbereich bei über 90 Prozent und ist somit die zweithöchste Quote weltweit (zum Vergleich: Deutschland liegt bei 51 Prozent. Hinter uns befinden sich noch sechs Länder, darunter die Schweiz, Nigeria, Ost-Timor und die Fidschi-Inseln). Sicher, das Durchschnittseinkommen liegt in Ungarn nur etwa bei einem Drittel des deutschen Einkommens, dafür fallen aber bei den meisten Magyaren eben die Mietkosten weg, die in Deutschland locker bereits ein Drittel des Einkommens ausmachen. Von den anderen niedrigen oder nicht vorhandenen Steuern, die wir in Scholzland abdrücken, ganz zu schweigen.
Es scheint so, als hätten sich die Ungarn mit ihrer Regierung darauf geeinigt, dass jeder sein Ding macht und man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Orban und seine Fidesz haben wohl ein sehr feines Gespür dafür, was bei den Ungarn ankommt und was nicht. Deswegen gibt es kein Gendergaga, keine Energiewende, keine Flüchtlingsströme und keine mit Graffiti verdreckten Städte. Oder, kurz gesagt: Die Ungarn haben sich mit der Fidesz dagegen entschieden, in einer kunterbunten Bronx zu leben.
Jetzt gibt es allerdings nicht nur ganz Negatives, sondern auch „nur“ Negatives zu berichten: Bei der Pressefreiheit rangiert Ungarn weltweit auf einem, neben Griechenland, traurigen 84. Platz („teilweise frei“), während Deutschland hier einen sagenhaften 25. Platz belegt. Die derzeit sehr hochgelobte ukrainische Demokratie befindet sich übrigens auf Platz 111, die Türkei auf Platz 176. Nur so zur Einsortierung.
Wie ich mich in Ungarn gefühlt habe: FREI
Aber das da oben sind alles nur statistische Zahlen und statistische Mittel. Wie habe ich mich persönlich in Ungarn gefühlt? Die Antwortet besteht aus vier Buchstaben: frei. Wir konnten nachts unbehelligt durch die Parks und Innenstädte (in Deutschland lauern da bekanntermaßen Rechtsradikale mit Fackeln und Forken, damit hier niemand anderes behauptet und es wieder „soundso“ heißt), die Polizei macht einen robusten, selbstbewussten, aber auch höflichen Eindruck, die Menschen sind freundlich und gute Gastgeber, solange man sich nicht unverschämt, arrogant oder fordernd verhält. Mein Eindruck ist, dass in Ungarn jeder willkommen ist, der auf eigenen Beinen stehen kann und keinen Staat zum Überleben benötigt oder die Ungarn weltverbessern will. Also so, wie das einst auch in Deutschland der Fall war, so zwischen 1970 und 2000. Sicher ist es in Ungarn für Menschen, die nicht wissen, ob sie X- oder Y-Chromosomen haben, nicht ganz einfach, bewundert und erst recht nicht geradezu hymnisch beklatscht zu werden wie in Deutschland. Auch der Wille afrikanischer Facharbeiter, sich in Ungarn niederzulassen, ist aufgrund des fehlenden sozialen Netzes und der fehlenden sozialen Netzwerke Ungarns eher rudimentär vorhanden.
Viele alte weiße Männer und Frauen Deutschlands und Österreichs scheinen das ähnlich zu sehen: Die Einwanderungszahlen aus den beiden Ländern nach Ungarn steigen. Zum einen, weil hier der Euro nicht nur die Hälfte, sondern aufgrund der Landeswährung Forint etwa das Dreifache wert ist, zum anderen, weil die Neuungarn einfach nur das wollen, was die Schon-länger-hier-Herungarnenden auch wollen: in Ruhe ihren Kram machen, ohne mit irgendwelchen irrwitzigen Phantasieproblemen durchgeknallter Post-Maskulinen mit Öko-Sozialismus-Agenda und Mund-Nase-Mäskchen vor den Augen belästigt zu werden. Orbans Ungarn ist aus der woken Berliner Männerdutt-Blase betrachtet natürlich das Reich des Zweitbösen – für die, die dort leben, aber ganz okay. Zumal sie ihre Steuergelder vorsichtiger und lieber für die eigene Bevölkerung verwaltet wissen. Ich habe nicht gefragt, ob die ungarische Regierung als korrupt empfunden wird – muss ich auch nicht, nachdem ich weiß, wer bei Impfstoff- und Maskenbeschaffung in Deutschland und Europa gleich beide Hände aufgehalten hat.
Auf dem Rückweg ist am ungarischen Grenzposten niemand zu sehen, bei den Österreichern steht ein junger Zöllner gelangweilt herum und winkt durch. In Deutschland ist eine Pop-Up-Impfstation mit mehreren bewaffneten Polizisten aufgebaut – zur Sicherung der nicht nur corona- sondern auch gedankenlosen und geistfreien Zone Alemania. Der Hafturlaub ist vorüber. Maske auf, weiterarbeiten. Willkommen in der vorbildlich demokratischen deutschen bunten Republik.
(Weitere Auslandsreisen des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.