Gericht stört Ursulas Krönung

Einen Tag vor der heutigen Abstimmung im EU-Parlament über Ursula von der Leyens zweite Amtszeit urteilte der EU-Gerichtshof über den Umgang mit ihren Impfstoffkäufen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat gestern in einem bahnbrechenden Urteil festgestellt, dass die Kommission der Öffentlichkeit keinen hinreichend umfassenden Zugang zu den Verträgen über den Kauf von Impfstoffen gegen Covid-19 gewährt hat. Mit anderen Worten: Der Kommission von der Leyen wird vom obersten rechtsprechenden Organ der Europäischen Union mangelnde Transparenz hinsichtlich ihrer Impfstoff-Deals vorgeworfen. Und das ausgerechnet einen Tag vor der Abstimmung im EU-Parlament über eine zweite Amtszeit von der Leyens als Kommissionspräsidentin!

Der festgestellte Verstoß der Kommission betreffe laut EuGH insbesondere die Entschädigungsbestimmungen der Verträge und die Erklärungen über das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten, die die Mitglieder des Verhandlungsteams für den Kauf der Impfstoffe abgegeben haben. Zum Hintergrund: In den Jahren 2020 und 2021 wurden zwischen der Kommission und verschiedenen Pharmaunternehmen Verträge über den Kauf von insgesamt über einer Milliarde Impfstoffdosen gegen Covid-19 geschlossen, für die rund 2,7 Milliarden Euro freigegeben wurden. Im Oktober und im Dezember 2021 beantragten mehrere Europaabgeordnete und Privatpersonen auf der Grundlage der Verordnung über den Zugang zu Dokumenten die Einsicht in die entsprechenden Verträge (Rechtssache T-689/21 sowie T-761/21), die die Kommission jedoch nur teilweise gewährte.

So habe die Kommission der Öffentlichkeit zu Unrecht wichtige Informationen beispielsweise zu möglichen Schadenersatzansprüchen vorenthalten. In der Pressemitteilung des EuGH heißt es dazu: „Was die Bestimmungen dieser Verträge über die Entschädigung von Pharmaunternehmen durch die Mitgliedstaaten wegen etwaiger Schadensersatzansprüche betrifft, die die Pharmaunternehmen bei Mängeln ihrer Impfstoffe zu zahlen haben, weist das Gericht darauf hin, dass der Hersteller für den Schaden haftet, der durch einen Mangel seines Produkts verursacht worden ist.“ Jedoch sei es nicht verboten, „dass ein Dritter den Schadensersatz erstattet, den ein Hersteller wegen der Fehlerhaftigkeit seines Produkts gezahlt hat“. Konkret wären dieser Dritte dann vermutlich die EU-Mitgliedstaaten.

Außerdem hatte die Kommission sich auf den Schutz der Privatsphäre von Personen berufen, um den Zugang zu den Erklärungen der Mitglieder des Verhandlungsteams für den Kauf der Impfstoffe über das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten teilweise zu verweigern. Auch hierzu urteilte das Gericht eindeutig, dass nur dann hätte überprüft werden können, ob bei den fraglichen Mitgliedern kein Interessenkonflikt bestand, wenn deren vollständige Namen sowie beruflichen oder institutionellen Rollen vorgelegen hätten. Das vollständige Urteil zum Fall T‑689/21 umfasst 249 Unterpunkte, dasjenige zum Fall T-761/21 224 Unterpunkte. 

In einer aktuellen Stellungnahme relativiert die EU-Kommission die Bedeutung des EuGH-Urteils, da es den Klagen nur teilweise stattgegeben habe. Die Kommission hätte allerdings mehr Erklärungen vorlegen müssen, um die Verweigerung des Zugangs zu einigen Bestimmungen der Verträge zu rechtfertigen. Es ist amüsant zu lesen, wie die Kommission von der Leyen nun versucht, ihr Gesicht zu wahren. So behauptet sie in ihrer Stellungnahme: 

„Im Allgemeinen gewährt die Kommission der Öffentlichkeit im Einklang mit den Grundsätzen der Offenheit und Transparenz einen möglichst umfangreichen Zugang zu Dokumenten. In diesen Fällen musste die Kommission ein schwieriges Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht der Öffentlichkeit, einschließlich der Mitglieder des Europäischen Parlaments, auf Information und andererseits den rechtlichen Anforderungen, die sich aus den COVID-19-Verträgen selbst ergeben und die zu Schadenersatzansprüchen auf Kosten der Steuerzahler führen könnten, finden. Tatsächlich hat der Gerichtshof in der Vergangenheit in vielen Fällen die Notwendigkeit anerkannt, die Geschäftsinteressen eines Vertragspartners zu schützen.“

Fragt sich, ob die Verfasser der Stellungnahme beim Schreiben folgender Zeilen nicht selbst lachen mussten: 

„In jedem Fall hatte die Kommission dem Europäischen Parlament (gemäß der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen den beiden Organen) umfassende Informationen zu den Verträgen über COVID-19-Impfstoffe zur Verfügung gestellt. Entsprechend ihrer institutionellen Rolle ist die Kommission dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass kein Interessenkonflikt vorliegt, und ist auch verpflichtet, die Privatsphäre und die personenbezogenen Daten der betroffenen Personen zu schützen.“

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt behält sich die Kommission ihre rechtlichen Optionen vor, das Urteil anzufechten. Jetzt muss Ursula von der Leyen aber erst einmal den Wahlgang des Parlaments überstehen.

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

Foto: Montage achgut.com /WikiCommons/Bundestag

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Leserpost

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Bernd Fielitz / 18.07.2024

Nun ist sie halt gewählt… jetzt gibt sie uns den Rest!

Klaus Keller / 18.07.2024

Eilmeldung: Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin wiedergewählt… berichtet der Feindsender RT. Das ist bestimmt eine böswillige Desinformation der Russen.

Helmut Driesel / 18.07.2024

  Ich betrachte das aus der Ferne mit Gleichgültigkeit. Wer soll sie denn ersetzen, der ganz anders denkt? Viel wichtiger scheint mir, dass das RKI eine aktuelle Impfempfehlung ausgegeben hat, inklusive einer zum Masken tragen, “um sich zu schützen”, steht da. Ohne Humor!

Alois Fuchs / 18.07.2024

@Martin Bingel: Mit der EU und dem Vertrag von Lissabon haben sich die nationalen Versager sozusagen vorsorglich ihr Austragsstübchen komfortabel eingerichtet.

Peter Meyer / 18.07.2024

First we take Brüssel, than we take Berlin… (frei nach Leonard Cohen) 1. Strophe: “They sentenced me to 20 years of boredom - For trying to change the system from within.”

peter spo / 18.07.2024

Frau vdL dürfte als EU-Kommissionspräsidentin den Höhepunkt ihrer Polit-Karriere erreicht haben. Daran klebt sie - altes Adelsprivileg eben.

Peter Jkoljaiczek / 18.07.2024

Der EU Rechnungshof, sagt in Bezug auf den Wert der Verträge was anderes: Die EU hat im Juni 2020 ihre Strategie für die Beschaffung von Impfstoffen auf den Weg gebracht. Bis Ende 2021 hatte sie Verträge im Wert von 71 Milliarden Euro unterzeichnet, mit denen bis zu 4,6 Milliarden Impfstoffdosen gesichert wurden. Der Hof kommt zu dem Schluss, dass die EU ein diversifiziertes Impfstoffportfolio für die Mitgliedstaaten sicherstellen konnte, auch wenn sie später als das Vereinigte Königreich und die USA mit der Beschaffung begann. Die im Jahr 2021 unterzeichneten Verträge enthalten in Bezug auf wesentliche Aspekte strengere Bestimmungen als die 2020 unterzeichneten Verträge. Der Hof stellte fest, dass die Kommission nur begrenzt Einfluss darauf nehmen konnte, die Versorgungsprobleme zu bewältigen. Unklar war auch, wie stark sie auf das Vorantreiben der Impfstoffproduktion eingewirkt hat. Die Empfehlungen des Hofes stellen primär darauf ab, dass Lehren gezogen werden müssen und der aktualisierte Beschaffungsrahmen der EU für Pandemiefälle Tests unterzogen werden muss. ​ Darüber hinaus gibt es die Kleinigkeiten der COVID Tests, die auch noch auf Aufarbeitung wartet. Aus der Seite des Bundesrechnungshofes: Der Bund zahlte so während der Corona-Pandemie auf Basis seiner Testverordnung insgesamt 17,8 Milliarden Euro. Die Corona-Pandemie hielt Deutschland und die Welt 2020 bis Anfang 2023 fest im Griff. Der Deutsche Bundestag stellte daher im März 2020 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Folgend übernahm der Bund ab März 2021 die Kosten für die sogenannten Bürgertests und auch für die PCR-Tests. Trotz der hohen Kosten von mehreren Milliarden Euro ließ sich das BMG erst auf Empfehlung des Bundesrechnungshofes im Jahr 2022 Berichte über die Prüftätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen vorlegen. In einer Kontrollprüfung haben wir festgestellt: Die Abrechnungsprüfung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.

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