Gastautor / 30.11.2024 / 06:25 / Foto: Montage achgut.com/ gruene.de / 73 / Seite ausdrucken

Generation Verantwortungslosigkeit

Von Boris Blaha.

Aus der Erfahrung des Scheiterns der grünen Bewegung gilt es, die politischen Konsequenzen zu ziehen: Die Umkehr von der Umkehr. Aber ist das mit dem infantilisierten Personal machbar?

Woher kommt diese verbreitete Verantwortungslosigkeit, umhüllt von einer omnipotenten Scheinverantwortung? Ist es eine Generationen-Frage? Das Scheitern der Baby Boomer?

Fragt man die allwissende Müllhalde Google, zu welcher Generation man selbst gerechnet wird, so sortiert sie einen aus dem Jahrgang 1960 zur Baby Boomer Generation. Im Vergleich zur Vorgänger-Generation, die als Generation Silent bezeichnet wird, fehlt bei Baby Boomer ein Hinweis, der für das 1928 vom Soziologen Karl Mannheim eingeführte Generationenkonzept essenziell ist: so etwas wie eine gemeinsame, prägende Erfahrung, die mehr oder weniger intensiv alle dieser Generation kennzeichnet, bei vor- und nachfolgenden Generationen aber fehlt. Baby Boomer heißt einfach nur viele, ob mit oder ohne Erfahrung. Die Bezeichnung silent für die Vorgängergeneration ist da schon deutlich sprechender, denn wahrscheinlich kennt in meiner Altersklasse so gut wie jeder mindestens einen in seiner Verwandtschaft, der über seine Erfahrungen im Dritten Reich sein Lebtag lang nichts erzählt hat oder noch fataler einen Großvater, der in den tradierten Familiengeschichten offiziell nicht vorkommt, als Gespenst aber sein Unwesen treibt, weil sein Name auf staatlichen Urkunden noch vorhanden ist.

Vor kurzem wurde im Fernsehen ein Film mit dem Titel „Das Schweigen“ gezeigt, der von der Begegnung zwischen einem Täter-Enkel und einer Opfer-Enkelin berichtete, die zwar in Kontakt kamen, sich offen ausgetauscht und auch gemeinsam auf die Suche nach den „Wirkungs“-Stätten ihrer Großeltern gemacht hatten, aber mit der Erfahrung konfrontiert wurden, dass auch noch die Enkelgeneration an gegenseitige Verständnisblockaden stößt, die sie auch bei bestem Willen nicht ohne weiteres überspringen kann. Man kann also nicht nach silent einfach einen Strich ziehen und so tun, alle hätten alle „Befreiten“ nichts mehr mit der Last der Verantwortung zu tun. Das Phänomen ist auch auf jüdischer Seite bekannt. Die „Schuld“, als Einziger überlebt zu haben, kann noch an Enkel und Urenkel untergründig weitergegeben werden und Symptome generieren. Das legt den Verdacht nahe, dass mit dem Begriff Baby Boomer etwas übersprungen wird, was zwischen der Silent und der nachfolgenden Generation liegt. Wer zu lesen und von Freud's Hören auf die Versprecher gelernt hat, ahnt, dass das Ungesagte in Text oder Gespräch manchmal sprechender als alles andere sein kann.

Einen entscheidenden Hinweis auf das prägende Erfahrungselement der Baby Boomer Generation erhielt ich von Bernward Vesper, dem zeitweiligen Lebensgefährten von Gudrun Ensslin und Vater des gemeinsamen Kindes Felix Ensslin, das er, nachdem sich Gudrun Andreas Baader an den Hals geworfen und ganz dem Terror verschworen hatte, als alleinerziehender Vater bis zu seinem Selbstmord aufzog. Er liegt zwar als 1938 Geborener noch etwas vor der offiziellen Baby Boomer Generation, hatte aber in einem stark autobiografisch angelegtem Roman aus dem Konflikt mit seinem erfahrungsresistenten völkischen Vater und einer Bourgeoisie, die sich nur um sich selbst drehte, den Schluss gezogen: „Wir müssen erst zur totalen Verantwortungslosigkeit zurück finden, um uns überhaupt zu retten.“

Fehlender Generationenkonflikt?

Der Satz formuliert eine radikale Umkehr: Um zur Verantwortungslosigkeit zurück zu finden, muss man erst auf dem normalen Weg der allmählichen Verantwortungsübernahme gewesen sein, vor dieser aus noch nicht näher geklärten Umständen zurückgeschreckt und dann einen Weg zurück eingeschlagen haben. Aus dem lateinischen „regressio“ für umkehren, zurückgehen hat die Psychologie das Konzept der Regression abgeleitet, womit ein von nicht beherrschbarer Angst ausgelöster Rückzug auf frühere Entwicklungs- oder Reifestufen gemeint ist, der sich, sofern er sich verhärtet, mit zunehmenden Alter in mehr oder weniger auffälligem Sozialverhalten Bahn bricht.

Gut fünfzig Jahre nach Vespers Satz nennt eine Gesellschaft ihre Kanzlerin „Mutti“, ein 55-jähriger Kanzlerkandidat erweist sich als so dünnhäutig, dass er schon bei kleinsten Zweifeln an der Integrität seiner Person wild um sich schlägt. Zahlreiche Organisationen werden mit der Aufgabe betraut, politische Auseinandersetzungen zu verhindern, man fördert erneut die „Tugend“ der Denunziation und eine professionell organisierte Angstkampagne genügt, um eine ganze Gesellschaft an den Rand des Abgrunds zu treiben. Die Folgen der zunehmenden Infantilisierung sind so unübersehbar, dass es sich lohnen könnte, auf den Satz von Bernward Vesper zurück zu kommen.

Der Übergang von der einen zur nächsten Generation verläuft normalerweise über einen klassischen Generationenkonflikt. Die heranwachsende Generation will zunächst alles völlig anders als die der Väter machen, man reibt und streitet sich aneinander, am Ende bleiben ein paar wenige Neuerungen übrig und im wesentlichen wird von den Vätern übernommen, was sich schon seit Generationen bewährt hat. Für die Väter geht es in diesem Konflikt, so hat es einmal Winnicott formuliert, nur darum, einfach da zu sein und da zu bleiben. Sie müssen die Tötungswünsche der Söhne nur überleben und eine Umgebung repräsentieren, die in wesentlichen Aspekten unzerstörbar ist. Die Väter der Silent Generation hatten den Krieg überlebt, für ihre Söhne hatten sie weder Kraft noch Standpunkt und die Umgebung, die sie vertraten, war extrem zerbrechlich. Dem Ansturm der Anti-Autoritären hatten sie außer Gewalt und einer blutleeren Rigidität nichts entgegenzusetzen. Die schon seit mehr als einer Generation verlorene Sittlichkeit war durch keine Rechtschaffenheit wieder aufgebaut worden und befeuerte so die Flucht in einen zwanghaften Moralismus, an dessen Ende die Gewalt des Terrors stand.

Was hätten sie übergeben sollen?

Der amerikanische Soziologe Theodore Abel hatte im Juni 1934 in Nazizeitungen Preise von insgesamt 400 Mark für die beste Antwort auf die Frage ausgeschrieben, warum jemand Anhänger der Nazibewegung geworden sei. Die Frist für das Einreichen war der September 1934. An dem Preisausschreiben konnte sich jeder, ob männlich oder weiblich, mit einer Lebensgeschichte beteiligen, der vor dem 1. Januar 1933 Mitglied der NSDAP geworden war oder mit ihr sympathisiert hatte. Es kamen 683 Berichte zusammen, von denen 581 mit einem Umfang von 3700 Seiten erhalten sind.

Wieland Giebel, der im Rahmen der Planungen für eine Ausstellung in Berlin auf erste Hinweise zu dieser Quelle stieß, hat 2018 erstmalig 83 dieser Dokumente in Deutschland unter dem Titel „Warum ich Nazi wurde“ veröffentlicht. Etwa zeitgleich erschienen zwei weitere Publikationen von Felix Sven Kellerhoff und Katja Kosubek, die von dieser „wertvollsten Primärquelle“ ausführlich Gebrauch machten. Das Erstaunlichste an diesen Biogrammen ist die Tatsache, dass und wie lange sie ignoriert wurden. Giebel schreibt: „Ich sprach mit Historikern, was das für Material sei, ob das vertrauensvolle Quellen sein können, aber keiner konnte mir helfen. Diese Berichte sind einfach nicht wahrgenommen worden. Sie kommen an keinem der vielen Lehrstühle vor, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen, und auch keines der zahlreichen ebenso staatlich finanzierten Institute hatte sich darum gekümmert.“ Ein bemerkenswerter Kontrast zum Lärm der Erinnerungs- und Betroffenheitsindustrie.

Handelte es sich beim Übergang von der Generation Silent zur Baby Boomer Generation um einen „normalen“ Generationswechsel, wie er seit Jahrtausenden stattfindet? Schon die Zuschreibung „silent" deutet darauf hin, dass nichts von den Vätern oder Großvätern übergeben wurde, sei es, weil sie nicht mehr vorhanden waren, sei es, weil sie selbst geschwiegen haben und andere dies Schweigen unterstützten. Zudem waren schon die Väter zu einer Zeit aufgewachsen, in der das, was man gewöhnlich Mores nennt, die Gewohnheiten, die Stabilität, Zeitlichkeit und eine haltende Umgebung verleihen, nicht mehr vorhanden waren. Was sie und ihre Väter in den zwei Kriegen und der Zwischenkriegsphase an Erfahrungen erleiden mussten, kam zum bereits vorhanden Zerstörungswerk noch oben drauf. Was hätten sie ihren Kindern an Bewährtem übergeben sollen?

Beredt schweigen statt schweigen

Das Schweigen generierte einen weiteren Effekt: Solange nichts erzählt wurde, hatten die heranwachsenden Kinder keine Möglichkeit, in homöopathischen und damit verarbeitbaren Dosen an das herangeführt zu werden, was man den Holocaust nennt. Sie lernten auch innerhalb der Familien keine unterschiedlichen Perspektiven des Umgangs damit kennen, der eine bestreitet, der nächste verdrängt, der dritte suhlt sich in Schuld usw. Ich habe weder in der Schule noch im Elternhaus irgendetwas Inhaltliches aus der Nazizeit vermittelt bekommen. Meine erste Konfrontation erlebte ich in einem winzigen kommunalen Schachtelkino, das einen Holocaust Film vorführte, den die meisten Dritten Programme ausgestrahlt hatten. Der Bayerische Rundfunk hingegen hatte sich verweigert. Ich war Anfang 20, wohnte in einer WG, wir waren zu dritt im Kino und brauchten mehrere Tage, bis wir die Sprache wiedergefunden hatten. Die Silent Generation hatte uns die Last, die sie selbst nicht schultern wollte oder konnte, vor die Füße geschmissen - sollten wir sie aufheben? Wir haben aus dem Schweigen ein beredtes Schweigen gemacht, die Last aber liegen gelassen.

Eine gesunde Lösung des Generationenkonfliktes vermeidet die beiden Extreme, das Individuum gibt weder das Selbst zugunsten der Gemeinschaft, noch die Gemeinschaft zugunsten des Selbst auf. Der ausgefallene Generationenkonflikt hatte jedoch zur Folge, dass viele von uns Antifaschisten wurden, um überhaupt irgend etwas zu sein. Hatte es für solche mit Herz und Verstand andere sinnvolle Identifikationsangebote gegeben? Hatte man uns andere Helden gezeigt, denen man hätte nacheifern können? Den Namen Schindler erfuhr ich von Steven Spielberg. Jede Einfügung in die vorhandene symbolische Ordnung, jede Weiterführung galt es zu vermeiden. Der Kulturbruch wurde zum Programm. Wir sprachen im Ausland englisch, um nicht als Deutsche erkannt zu werden. Die Einbildung ersetzte nicht nur Genealogie und Tradition, sondern auch die Realität. Ohne (Realitäts-) Erfahrung gibt es keinen Standpunkt von dem aus man sich mit anderen Standpunkten auseinandersetzen könnte; man schließt sich einer Bewegung an, um wenigstens das Leben und den Zusammenhalt der Gesinnungsfreunde genießen zu können.

Was eine Gesinnungsgemeinschaft zusammenbindet, ist das geteilte, aber erfahrungslose Feindbild, das ihnen allen ihr Anderssein garantiert, zugleich aber nur auswechselbare Automaten hervorbringt, die außer den immer gleichen sinnfreien Parolen nichts zu sagen haben, auch dies eine Form des Schweigens. Sloterdijk, der jene sektenähnlichen Meinungsgenossenschaften als Regressionssystem erläuterte, in denen in kleinkindlicher Weise der gemeinsame Irrsinn geteilt werde, meinte inhaltlich richtig, zielte aber völlig daneben, indem er damit die skeptischen Querdenker abqualifizierte, statt den Finger auf die eigentliche Wunde zu legen: der Umgang mit den Ungeimpften hatte die zentrale Lebenslüge der „Vergangenheitsbewältigung“ so deutlich offenbart, dass man bei der erforderlichen Aufarbeitung auch zu Bernward Vespers Rettung in die Verantwortungslosigkeit zurück kommen wird.

Die Regression in die totale Verantwortungslosigkeit musste, um als wahrer Kern verschleiert zu werden, von einer omnipotenten Scheinverantwortung umhüllt werden, ein Konstrukt, dessen wirkliche Schäden selbst mit höchst bezahlter Propaganda nun nicht mehr verdeckt werden können. Die Folgen der Selbstzerstörung machen sich überall hartnäckig bemerkbar. Aus der Erfahrung des Scheiterns der grünen Bewegung, die nie die Welt, sondern nur sich selbst retten wollte, gilt es nun, die politischen Konsequenzen zu ziehen. Die Umkehr von der Umkehr könnte der Anfang sein, sich wieder auf den Weg zu machen und Verlorenes nachzuholen.

Die Mutigsten in der postheroischen Ära nehmen das unterbrochene Gespräch mit der eigenen Genealogie dort wieder auf, wo etwas zu finden ist, in Tagebüchern, Schuhkartons mit vergilbten Fotos, in alten Zeitungen, Gerichtsprotokollen und bei solchen, die noch aus eigener Anschauung darüber berichten können. Die Allermutigsten reisen in die Orte, in denen ihr Groß- oder Urgroßvater gewütet hat und suchen den Kontakt zu Angehörigen der Opfer, sofern sie noch vorhanden sind. Kommt es dort zu einer Begegnung auf Augenhöhe und zu einem gegenseitigen Erzählen, kann man von Wiedereingliederung in die eigene Geschichtlichkeit sprechen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei hannah-arendt.de.

Boris Blaha geb. 1960 in München; ist Publizist. Er studierte Geschichte, Soziologie, Sozial- und Kulturwissenschaften an den Universitäten Würzburg, Regensburg und Bremen hat den Abschluss M.A.. Zudem ist er Gründungsmitglied des „Hannah Arendt Preis für politisches Denken“.

Foto: Montage achgut.com/ gruene.de

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Leserpost

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Klaus J. Nick / 01.12.2024

Da wo Väter desorientiert waren, konnten sich Söhne auch nicht vernünftig orientieren. Deutschland war schon 1960, als ich geboren wurde, zerrissen. Mein Vater hatte als Kind die Wirrungen der Weimarer Republik erlebt, die Nazizeit als trügerische Hoffnung mit Krieg und Flucht als jugendlicher Soldat, der von einer finnischen Familie vor den Russen gerettet wurde. Adenauer-Wähler, später Mitglied der SPD. Und der eine Großvater (sein Vater) zum Protestanten konvertierter Jude. Der Riss in der der deutschen Identität ging mitten durch die Familie. Ich wollte mich absetzen: Ökologie und Weltrettung als neue Aufgabe, Flucht, Absetzung, Eigenständigkeit. Nahe an der eigenen Lebensrealität war da wenig. Völlig spinnerte, überdrehte Phantasien der eitlen Omnipotenz. Das ist verzeihlich in der Adoleszenz. Nun sind wir aber in der Krise, die wir wahrscheinlich in unserer eskapistischen Äkoheldenträumerei selber verschuldet haben und viel zu viele meiner Jahrgänge klammern immer noch an ihrem deutschen Trauma, statt sich von den fragwürdigen, letztlich narzisstischen Ideologien, die die Erlösung vom Deutschsein und der deutschen Schuld versprach, endlich zu trennen und sich der Wirklichkeit - ja die Welt hat sich längst weitergedreht - zuzuwenden. So erkläre ich mir das.

Holger Kammel / 30.11.2024

Ilona, ich bin nicht unbedingt deines Glaubens, aber danke für deine Worte und Gebete. “Im Schützengraben gibt es keine Atheisten,” Im Bombenkeller vermutlich auch nicht. Es gibt Dinge, die auch mich trösten. “Seelig sind die im Geiste Armen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.”

A. Ostrovsky / 30.11.2024

@Jürgen Lachmann : >>Natürlich ist jeder letztendlich für sein handeln selbst verantwortlich, natürlich ist Wohlstandsverwahrlosung eine Voraussetzung für das mentale Elend unserer Epoche, aber Blahas Theorie ist doch sehr hilfreich, einige merkwürdige Symptome des Mainsteams ansatzweise zu verstehen.<< ## Ich habe die Theorie nicht verstanden, sie scheint irgendwie nicht schlüssig, sondern eher aus Teilen zusammengesteckt, die nicht zusammen passen. Ich habe die Bedenken, die mir sofort auffallen, mit Nummer 1) bis 5) bereits geschrieben. Wenn es um die Wahrheit gehen soll, sind solche Hinderungsgründe schwerwiegend. Wenn es aber nur darum geht, dass wir endlich irgendeine Erklärung bekommen, damit wir Ruhe bewahren, werden Sie mich nicht überzeugen. Es ist ein Kunstgebilde, das sich Herr Blaha theoretisch-linkshirnig zusammen reimt. Vielleicht habe ich keinen Standardlebenslauf. Kann alles sein. Aber für mich ist das alles nicht nachvollziehbar. Zur Wahrheit findet man nicht, wenn man seine Vorstellungen nur dem Volk besser begründet. Man muss zuerst von den falschen Annahmen ablassen können, auch wenn Onkel Fritz und Tante Saskia das immer so gesagt haben.

Oliver Hoch / 30.11.2024

Das von Herrn Blaha beschriebene ist mir völlig fremd. Ich bin vom gleichen Jahrgang wie er, habe aber vollkommen andere Erfahrungen gemacht. Mein Vater war als Schüler eingezogen worden und in Kriegsgefangenschaft, zwei meiner Onkel sind gefallen. Aber kein einziger war Nazi-Sozi, das waren alles Christen. Und meine Eltern haben mir die gleichen Werte vorgelebt wie ihnen ihre eigenen Eltern. Was Herr Blaha schreibt klingt für mich wie eine Geschichte vom Mars (oder aus Berlin).

Talman Rahmenschneider / 30.11.2024

Ich habe am meisten über die Traumata der Kriegsteilnahme aus Filmen gelernt, auch am meisten über den Holocaust, ich danke Hollywood, allen voran Meister Steven Spielberg. “War Horse”: Z.B. der Großvater, der seine Enkelin verliert durch übergriffige Soldaten. “Schindler’s List”: Amon Göth, dieses widerwärtige Schwein. Dann “Sophie’s Choice”, Alan Pakula, die vollständige mentale Zerstörung einer Person. Aber nicht nur solche, sondern U-Boot-Filme, diese Angst, das Falsche zu tun, die Angst zu ersticken da unten, “Das Boot”, “Crimson Tide” der mit Clark Gable in Japan. “Red Octobre” ist der einzige unterhaltsame. Am meisten stellt einem die Haare auf “K 19” von Bigelow. Generation Silent war silent, weil sie nicht dabei gewesen sein wollten. Es ist verkehrt, dass sie nur auf Schuld getrimmt wurden und nie über ihre eigenen Traumata sprechen konnten. Ich muss daran erinnern, dass die meisten gezogen worden sind. Echte Nazis sprachen sogar gelegentlich. MIt Stolz und nicht weniger. Der gezogene junge Soldat war selbst Opfer, aber es wurde ihm nicht zugestanden, Fakt. Riesenfehler.

Roland Völlmer / 30.11.2024

Man kann alles mit allem in Verbindung bringen. Irgendwie lässt sich alles behaupten, und das Gegenteil könnte auch richtig sein. Es gibt keine Generationen. Jedes Jahr werden Menschen geboren. Aber es gibt ein Umfeld. Und Menschen, die nie Hungern mussten, die keine Kriege miterleben mussten, die nie denken mussten um zu überleben, sondern sich ohne Konsequenzen den größten Blödsinn ausdenken konnten, die gab es früher selten, aber mit dem Wohlstand der 80 Jahre dann massenhaft. Und diese Menschen suchen jetzt Probleme und meinen, es wird nichts schief gehen, weil sie ja nie etwas schief gehen haben sehen. Da sind wir also. Nennt sich Dekadenz.

Thomas Hechinger / 30.11.2024

Ich bin Babyboomer. In meiner Familie wurde immer über das Dritte Reich gesprochen. Meine Vorfahren waren einfache Leute: Bauern, Waldarbeiter, Tagelöhner, Handelsvertreter. Da ging es nicht um die große Theorie, sondern um das tägliche Leben im Dorf und in der Nachbarschaft. Da wurde erzählt, wie der Bürgermeister sich ein stattliches „Judenhaus“ unter den Nagel gerissen hatte, in dem seine Nachkommen heute noch leben. Man munkelte, daß nach dem Krieg für das Haus eine Entschädigung bezahlt werden mußte. Genaueres wußte man nicht. Oft hat mein Vater die Geschichte erzählt, wie er als Bub hinter dem Vorhang stand und verstohlen zum Fenster hinauslugte, als um vier Uhr in der Früh im Haus schräg gegenüber, es war ein kleiner Krämerladen gewesen, die jüdischen Besitzer abgeholt wurden. Sie waren nie mehr gesehen. Nach dem Krieg haben wir erfahren, daß sie wohl nach Gurs gebracht worden waren. Oder die Geschichte, wie meine Großmutter mit ein paar anderen Frauen im April 1945 die Panzersperren am Dorfeingang, die den Vorstoß der Franzosen aufhalten sollten, wegräumte („Mir hen doch nit welle, daß d’ Franzose unseri Hieser zerschieße“). Sie ist dem Standgericht nur deshalb entgangen, weil die Franzosen schnell vorrückten. Oder wie mein Vater unbedingt zur Hitler-Jugend wollte, weil da für einen kleinen Bub so viel Abenteuer winkte, aber es ihm sein Vater verbot, bei den „gottlosen Nazis“ mitzumachen. Ich könnte Hunderte solcher Geschichten erzählen, kleine, harmlose, lustige Begebenheiten aus dem Alltag des Dritten Reiches ebenso wie solche, die die brutalen, gnadenlosen und menschenverachtenden Methoden des Regimes zeigen. Als 1978 die berühmte „Holocaust“-Serie im Fernsehen lief und es überall hieß: Endlich wird das Schweigen über diese dunkle Zeit gebrochen, wunderte ich mich, denn bei uns zu Hause war dazu nie geschwiegen worden. So gibt es eben ganz unterschiedliche Familientraditionen. Nicht alle erleben das Gleiche.

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