Das Profil des Mainstreamers
Sein intellektuelles Gesicht ist das einer Schaufensterpuppe: glatt, ohne Individualität, identisch wie alle anderen gegossen. Er ist, nach den Generationen X, Y und Z, Teil der neuen Generation M, der Generation Mainstreamer. Er ist der In-Typ, der dir täglich begegnet. Wenn es um zweifelndes Nachfragen geht, merkst du an seinen uniformen, gestanzten Anworten, dass er dazugehört. Ungewöhnlich ist der Gegensatz zu den Vorläufer-Generationen. Die Generation M ist altersübergreifend. Jung und Alt kommen sich näher wie nie zuvor. Alte Narren und Grünschnäbel mit Eierschalen hinter den Ohren sind einer Meinung. Ignoranz hat eben keine Altersbeschränkung.
Das unerschütterliche Bewusstsein
Grundsätzlich geht er im sozialen Kontakt davon aus, dass sein Gegenüber dasselbe Denkprofil zeigt wie er. Sein zweifel- und erschütterungsresistentes Ego nährt sich von der Erfahrung, dass Meinungen über Fakten die Oberhand behalten, wenn sie nur von der Mehrheit vertreten und notfalls auch mit Empörung gegen Zweifler verteidigt werden. Seine soziale Freundlichkeit endet, wo die Zustimmung zu seinen Überzeugungen endet. Dann kann er unwillig bis aggressiv werden. Man sollte ihm nicht mit dem offenen Visier einer abweichenden Meinung begegnen, andernfalls ist man bald ohne Freunde.
Den Blick in die Gegenrichtung gibt es nicht
Outet sich der Mainstream-„Denker“ mit seinen „richtigen“ Ansichten, gibt es kein Nachfragen. Jeder Nachplapperer in dieser Truppe labt sich an seiner Überzeugung, ohne von der Sache, über die er gerade schwadroniert, etwas zu verstehen. Widersprichst du, fragt der Mainstreamer sofort: „Woher weißt du das?“ Dass er selbst eine Untermauerung für sein „Wissen“ liefert, darauf sollte man nicht hoffen. Ist auch nicht nötig. Er weiß nichts und alles, und alle, die er kennt, wissen es mit ihm.
Beim Thema Umwelt, Energiewende, Individualverkehr, Fleischverzehr, Gentechnik, Müll, Massentierhaltung und nahezu allem, was grün leuchtet, ist klar: Es ist High Noon, 5 vor 12, wenn nicht 5 Minuten danach. Alles geht seinem Ende zu, aus einem einzigen Grund: Die CO2-Bedrohung nuklearen Ausmaßes, das Verenden der Natur und unser Verenden mit ihr – all das ist radikal und total. „Gigantische Transformationen“ (Merkel) müssen umgesetzt werden. Wir müssen loskommen von CO2, vom Massen-Ei, von der Kohle, von Atomkraft, von Individualverkehr (allenfalls ausnahmsweise noch als E-Mobilität zu denken), vom Fleischverzehr, vom Flugverkehr.
Kompetenz im Liliput-Format
Das Faktenwissen des Mainstreamers hat Platz im Liliput-Format von Wörterbüchern, wie sie Schüler zum „Spicken“ bei Prüfungen benutzen. Das genügt, weil der Mainstreamer im Kopf keinen Raum für Contra-Argumente benötigt.
Kompetenz schreibt er sich selbst zu. Sie outet sich aber als evident abwesend, wenn man sie mit Nachfragen anzweifelt, weil der Mainstreamer nur repetieren kann, was er von Gleichgesinnten in Zeitung und Radio und Fernsehen gelesen und gehört hat. Zeigt er die Gelbe Karte in Diskussionen gegen falsche Meinungen, weiß er, dass er als Experte seine Wahrheit von der Unkenntnis anderer zu unterscheiden weiß.
Wie jungfräulich und von Wissen unberührt sein Protest gegen die Errungenschaften der ihm Freiheit und Wohlstand gewährenden Zivilisation ist, zeigen auf Youtube dokumentierte, spontane Kurzinterviews während einer Fridays-For-Future-Demonstration gegen den Klimawandel. Sie haben Modellcharakter für Diskussionen mit Mainstreamern. Einfachste, grundlegende Fragen zu CO2 können von den aufrechten Weltrettern nicht beantwortet werden.
Eine Kostprobe hier.
F: Auf welche Menge von CO2 müssten wir kommen, um das Klima noch zu retten?
A: Da hab' ich jetzt keine konkrete Zahl im Kopf.
F: Bei welcher Durchschnittstemperatur würden wir landen, um eine Zielgröße anzugeben?
A: Dazu kann ich jetzt nichts Konkretes sagen. So genau kenn' ich mich da nicht aus.
Meinung siegt qua Masse, ohne Fakten, ohne Wissen. Die Reihen sind dicht geschlossen, die intellektuelle Freitagsfront marschiert.
Selbst- und Fremdwahrnehmung im Faktencheck
In John Boynes Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ sagt ein jüdischer Arzt, der in Auschwitz zum Dienstboten des Lagerkommandanten degradiert wurde, in einem vertraulichen Gespräch mit dessen Sohn, dem kindlichen Protagonisten: „Nicht jeder, der nachts in den Himmel schaut, ist deswegen ein Astronom.“
Der Mainstreamer sieht sich selbst ganz anders.
Josef Hueber ist Studiendirektor für Deutsch und Englisch und war Leiter der Fachschaft Englisch am Gabrieli-Gymnasium in Eichstätt.