Peter Grimm / 23.07.2019 / 15:00 / Foto: Tomaschoff / 34 / Seite ausdrucken

Gendern ist jetzt gar nicht mehr gut

Lann Hornscheidt ist eigentlich bekannt geworden durch den Einsatz für die sogenannte geschlechtergerechte Sprache und zwar in einer radikalen Variante, gegen die sich selbst das Gendersternchen noch verträglich ausnimmt. Hornscheidt wollte sich an der Humboldt-Universität in Berlin ungern als Professorin oder Professor*in ansprechen lassen, sondern wünschte sich, nach der eigenen geschlechtergerechten Sprachempfehlung lieber Professx. Mit einem x sollten all die Endungen, die ein Geschlecht ausdrücken könnten, ersetzt werden, auf Frau und Herr in der Anrede verzichtet werden und schon wäre nach ihrer Ansicht die sprachliche Geschlechtergerechtigkeit auf gutem Wege. Wenn nun ausgerechnet Professx Hornscheidt erklärt, „Lasst uns Gender verabschieden“, so lässt einen das schon aufmerken. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagt sie:

„…solange wir weiter an Geschlechterkategorien festhalten – egal wie viele es sind –, kann die damit zusammenhängende Diskriminierung nicht grundlegend überwunden werden. […] Weil immer weiter die Kategorie aufgerufen wird, weil die Vergleiche weitergehen, weil neue Unterkategorien und damit neue Ausschlüsse geschaffen werden. Letztlich wird so die soziale Kategorie Geschlecht zementiert. Deshalb finden wir, dass wir uns ganz von ihr verabschieden und stattdessen über strukturelle Diskriminierung sprechen sollten, die wir Genderismus und nicht Sexismus nennen.“

Das sind ja atemberaubende Veränderungen. Gerade haben wir doch erst gelernt, wie wichtig Gender ist, weil Geschlechter eben vor allem soziales Konstrukt wären und nicht unbedingt irgendwas mit Biologie zu tun haben müssen. Und jetzt das: Genderismus ist diskriminierend! Mit einer solchen Aussage, die man bis eben noch allenfalls alten weißen Männern zugeschrieben hätte, ist man plötzlich wieder bei den Kräften des gesellschaftlichen Fortschritts zu Hause. Gut zu wissen, dass wir nach Lann Hornscheidt nun nicht mehr den Überblick behalten müssen, wie viele Geschlechter es aktuell gibt, sondern jetzt gibt’s einfach gar keine mehr.

Die Überwindung der Geschlechter, aber nicht der Quote

Ein wenig steht allerdings zu befürchten, dass sich Professx Hornscheidt damit nicht so leicht durchsetzen kann, denn das würde auch den immer mehr werdenden Genderwissenschaftlerinnen an deutschen Universitäten die Existenzgrundlage entziehen. Doch sie scheint diese Angst nicht umzutreiben, wenn sie erklärt:

„Genderismus umfasst alle genderbezogenen Diskriminierungen. Schon jetzt fühlen sich viele Leute nicht mehr von den Bezeichnungen Frau, Mann oder divers angesprochen.“

Auch für sich erklärt sie ganz klar:

„Ich habe alle Kategorien von Frau, Lesbe, Dyke, Trans Dyke, Trans* einmal durchprobiert und hatte mit allen ein Unwohlsein. Denn jede Kategorie schafft auch Normen und Ausschlüsse. Heute verstehe ich mich weder als weiblich noch als männlich. Mir ist es wichtig, dass mich andere als Menschen wahrnehmen und nicht sofort gendern. Im Reflektieren dieses Bedürfnisses habe ich bemerkt, dass ich das auch die ganze Zeit mit anderen gemacht habe – sie gendere. Da habe ich beschlossen, zunächst bei mir zu beginnen.“

Aber bevor bei der einen oder anderen Quoten-Nutznießerin Panik ausbricht, dass sie der gesellschaftliche Fortschritt bei ihrer Karriereplanung überrollen könnte – auch als geschlechtsloser Mensch ist Lann Hornscheidt mit den aktuellen Kräften des gesellschaftlichen Fortschritts solidarisch:

„Es ist eine große Herausforderung, Gender als Identität aufzugeben, weil sich die Kategorien so verselbstständigt haben, dass sie natürlich und unauflösbar wirken. Häufig kann es strategisch wichtig sein, sich auf sie zu beziehen – beispielsweise wenn es einen eher engen traditionellen Rahmen für Gleichstellungsarbeit gibt. Unser Ansatz ist an solchen Punkten begleitend gedacht.“

Also die Geschlechter überwinden wir, aber die Quoten bleiben erst einmal. Das nennt man dann vielleicht postgenderistische Dialektik.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Marco Nguitragool / 23.07.2019

Was so ein “Professx” wohl niemals verstehen wird, ist für Software-Entwickler wie mich tagtägliche Routine: Man erschafft Struktur (denn ohne gäbe es *NICHTS*, also auch keine verwendbare Software) und jeden Tag verändert man sie dann auch wieder. Manchmal reißt man die Strukturen auch komplett über den Haufen, weil sie halt nie 100%ig sind—oft sogar katastrophal schlecht. Perfektion gibt es nunmal nicht. Und wie schlecht etwas ist, merkt man auch sehr oft erst dann, wenn man es mal erschaffen hat. Wenn man allerdings wie dieses “Professx” deshalb darauf verzichten würde, sich auf eine Struktur festzulegen, ja alle Kategorisierungen verdammte und versuchte bestehende Strukturen ohne sinnvollen Ersatz auszulöschen, dann könnte man niemals irgendein verwendbares Produkt erschaffen. Man muß kategorisieren; man muß Strukturen (und Details) schaffen. Würde so ein “Professx” mal ‘was sinnvolles *erschaffen* anstatt nur unfundiertes Zeug zu labern, dann würde es das auch wissen, denn das trifft nicht nur auf die Software-Entwicklung zu, sondern auf alles, das man erschafft—Software, Maschinen, Skulpturen, Gemälde. Niemals ist’s perfekt. Doch wenn man aus Angst vor der Nicht-Perfektion darauf verzichtet, dann wird halt nix. Bei “Professx” wäre natürlich nichts um einiges besser als der Ist-Zustand, nämlich destruktives Gerede, aber bei richtigen Jobs ist man sehr schnell weg vom Fenster, wenn man nix erschafft—dann kann man nämlich auch nix verkaufen. Und bei biologischen Fakten bzw. bei allen Dingen, die die Natur um uns herum einfach mal so mitbringt, erschaffen wir natürlich nicht die Natur, indem wir kategorisieren, wohl aber erschaffen wir Verständnis von der Natur—z.B. in dem wir wissenschaftliche Theorien entwickeln. Doch wissenschaftliches Arbeiten ist natürlich nichts für die Laberfächer, die einfach irgendwelchen Blödsinn postulieren, der sich entweder ganz um eine Falsifizierbarkeit herum mogelt oder über alle Falsifizierungen arrogant hinweg setzt.

Michael Jansen / 23.07.2019

Ich gebe mir ja sonst immer Mühe, hier wohlformulierte und auch nicht ganz kurze Leserbriefe abzuliefern, aber da fällt mir nur ein simpler Spruch ein : Vom Wahnsinn umzingelt!” - So sieht also absolute Wohlstandsdegeneration aus.

Peter Wachter / 23.07.2019

Wegen der Pflege meiner Mutter bekam ich ein Schreiben vom Amt ” Für Soziales und Senioren”, das war mir nicht gendergerecht und ich antwortete dem Amt “Für Soziales und Seniles”, das ich leider just wegen geistiger und körperlicher Defizite, in Teilzeitarbeit wechsle und dann in Rente gehe. Antwort gab es noch nicht!

Barbara Stein / 23.07.2019

Man bzw. ich habe diese Erklärungen zu den Irrungen und Wirrungen der Professx Hornscheidt wie eine sehr schwer verdauliches Speise runtergewürgt. Als Nichtakademikerin ist es fast unmöglich, die Denkweise dieser verwirrten Professx nachzuvollziehen. Deshalb komme ich ganz kurz zu dem Schluß: DIE HABEN ALLE EINEN AN DER KLATSCHE !!!

Marco Nguitragool / 23.07.2019

Das Gendern ist genauso wie der Feminismus und andere psychopathische Auswüchse der neueren Zeit m.E. eine Spätfolge des jahrhundertelangen christlichen Jochs. Etliche Jahrhunderte lang hat man Menschen in irgendwelche Schubladen gepresst, weil das Christentum (wie alle monotheistischen Religionen—insbesondere auch der Islam) keine Toleranz kennt. Dieser Mangel an Toleranz ist m.E. krankhaft. Doch der nicht minder psychopathische Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung ist nun, die Schubladen abzuschaffen. Man sieht das gut daran, wie “Professx” Hornstein gegen “Kategorien” wettert. Nichts verstanden, dieser Mensch! Wenigstens nennt sich dieser Mensch nicht “Professor”, denn das wäre Anmaßung. “Professx” ist da vielleicht angemessener—kann ich aber nicht beurteilen, denn das Wort kenne ich nicht. Kategorien oder Schubladen abzuschaffen ist auf jeden Fall Schwachsinn, denn unser Denken basiert auf Abstraktion und Re-Konkretisierung. Ich bin vor Jahren in eine buddhistische Kultur ausgewandert. Hier kam es noch nie Menschen in den Sinn, andere in irgendwelche Schubladen hineinzupressen. Der Buddhismus lehrt—im Gegensatz zu den Monotheismen—Toleranz. Das ist die richtige Lösung des Problems! Denn Schubladen sind für unser Verständnis unserer Umgebung essentiell. Sie geben der Gesellschaft Struktur. Und wie die schillernde Kultur der Homo- und Transsexuellen hier seit etlichen Jahrhunderten (vermutlich sogar Jahrtausenden) beweist, kann man mit diesen Schubladen auch wunderbar spielen, wenn eine tolerante Gesellschaft sie nicht als Gefängnisse mißbraucht, wie das bis vor Kurzem im Westen der Fall war. Die Kriminalisierung sexueller Andersartigkeit war ja bis in die 1970er Jahre in Europa normal—hierzulande hingegen war sie das niemals.

Wolfgang Kaufmann / 23.07.2019

Die Inhalte sind völlig austauschbar. Es geht einzig und allein um die Lusthoheit über deutschen Schreibstuben. Und die Definitionsgewalt gehört nun mal den alten weißen Frauen aus dem intellektuellen Präkariat, bei denen der Ofen längst aus ist. Ups…, ich meine natürlich die Lufthoheit.

G. Schilling / 23.07.2019

Statt mit “Rumsülzen” Steuergelder einzustreichen, schlage ich vor dass solche Individuen einfach mal einige Jahre mit richtiger Arbeit ihr Geld VERDIENEN! Dann kommt man/frau/er/sie/es gar nicht erst auf so einen Mist.

Volker Kleinophorst / 23.07.2019

Früher Klapse, heute Professor sind. Wer das zu hart und unhöflich findet, dem empfehle ich die Webseite dieser/dieses “was auch immer”. Sie haben ganz recht Herr Grimm: Die Quote bleibt natürlich.

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