Claudio Casula / 17.05.2022 / 15:00 / Foto: Facebook/Screenshot / 63 / Seite ausdrucken

Gender-Gaga: Wählende, die nicht wählen

Der Zeitgeist hat sich mittlerweile selbst dort breitgemacht, wo man früher für seine Sprache geschätzt wurde. Auch die woke ZEIT in Hamburg gendert brav. Und unfreiwillig komisch.

Den Genderismus in seinem Lauf hält weder Ochs‘ noch Esel auf. Leider. Obwohl, etwa dieser Umfrage zufolge, die weit überwiegende Mehrheit der Menschen die Sprachverhunzung unerträglich findet, machen die Ideologen unverdrossen weiter. Längst haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender das penetrante Binnen-I zu eigen gemacht, nerven mit dem als Knacklaut bekannten Glottisschlag, und einen längeren, durchgegenderten Artikel in der taz zu lesen, ist auch aus formalen Gründen eine veritable Zumutung. 

Zunehmend muss man sich durch Texte quälen, die das ganze Folterbesteck der Genderisten enthalten, sei es das erwähnte Binnen-I („KinderschänderInnen“), der Gender Gap (das ist dieser Unterstrich, den man auf der Tastatur nie auf Anhieb findet, wie bei „Proktolog_innen“), der Genderstern („Halsabschneider*innen“), der Doppelpunkt („Leichentaucher:innen“) oder der genderneutrale Plural in der Verlaufsform, mit dem Radio- und Fernsehkonsumenten („Hörende“, „Zuschauende“) ebenso genudelt werden wie Zeitungsleser („Lesende“). Und der nicht selten schwer irritiert. Nehmen wir an, zwei Olympia-Schwimmer verlassen ihr Quartier, überqueren die Straße und werden von einem 30-Tonner erfasst. Dann könnte die Schlagzeile „Schwimmende von LKW überfahren“ doch, gelinde gesagt, verstören. So wie „Tote Radfahrende bei der Tour de France“.

Womit wir bei Tilman Steffen angekommen sind, der in einem Artikel in der ZEIT über AfD-interne Streitigkeiten gestern folgenden Satz formulierte:

„Viele andere Wählende blieben dagegen diesmal zuhause.“

Steffen wollte nicht „Wähler“ schreiben (und aus irgendeinem Grund auch nicht Wahlberechtigte) und hat sich deshalb für den Begriff Wählende entschieden, der das Nomen im Partizip Präsens des Verbs wählen beschreibt. Nun sind grammatikalisch hiermit eigentlich die Leute gemeint, die jetzt gerade in diesem Moment wählen, also etwa den Wahlakt in der Kabine einer verranzten Schule vollziehen oder just in den eigenen vier Wänden den Wahlzettel ausfüllen. Wobei Wählende theoretisch natürlich auch vor einer Kuchentheke stehen können, um zu überlegen, welche der feilgebotenen Backwaren sie nun käuflich zu erwerben sich anschicken, und direkt danach sind sie eine Kaufentscheidung Treffende bzw. Bezahlende und Hinausgehende. Für Bekloppte jedenfalls, normale Menschen nennen sie „Kunden“.

Ach du liebe ZEIT, es sind Wahlunbeteiligte!

In Steffens Fall kommt erschwerend hinzu, dass es sich hier um einen Widerspruch in sich handelt, dass es Wählende, die zu Hause bleiben, per definitionem gar nicht geben kann, denn wer daheimbleibt, statt sich zum Wahllokal zu begeben, ist eben kein Wählender, es sei denn, er hat sich im letzten Moment für die Briefwahl entschieden, aber dann ist es zu spät, dann zählt die Stimme nicht mehr. Ansonsten haben wir es hier mit Wahlunbeteiligten zu tun. Oder mit Wahlmuffeln bzw. Wahlmüffelnden?

Außerdem hält der ZEIT-Autor die Genderei nicht durch. So spricht er von den erwähnten „Wählenden“ und auch von der „fluiden Gruppe der Wechselwählenden“, dann aber schreibt er „Russland-Versteher“ statt „Russland-Verstehende“, „Protestierer“ statt „Protestierende“, „AfD-Wahlkämpfer“ statt „AfD-Wahlkämpfende“ und zweimal rutschen ihm doch noch die „Wähler“ durch. Hehe.

Nachdem ich den unfreiwillig komischen Satz „Viele andere Wählende blieben dagegen diesmal zuhause“ über Twitter verbreitet hatte, was einige Heiterkeit hervorrief, nahm man bei ZEIT online übrigens eine Korrektur vor, nunmehr ist dort zu lesen: „Viele andere bisher Wählende blieben dagegen diesmal zu Hause.“ Was es, siehe oben, nicht wirklich besser macht. Der Zeitgeist, der am Speersort durch die Redaktionsräume wabert, lässt einem mittlerweile selbst ein Blatt, das früher auch für seine Sprache geschätzt wurde, gespenstisch erscheinen.

Foto: Facebook/Screenshot

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Leserpost

netiquette:

Elias Schwarz / 17.05.2022

Warum eigentlich Tilman Steffen (warum nicht Tilfrau Steff:in oder Tillende Steffen*innen)? Und von so vielen sinnlosen Buchstaben tun die Augen am Ende des Arbeitstag weh.

H. A. Barfus / 17.05.2022

Das ist alles nur Abhalten vom Klassenkampf

Gottfried Meier / 17.05.2022

Diese lästige Genderei hat sich mittlerweile auch in den privaten Medien breit gemacht.

Olaf Manns / 17.05.2022

Hahahahahahahaha…Caaaasuuuuula 4 President, wiiie geil is das denn mal wieder..

S. v. Belino / 17.05.2022

Welch köstlicher Artikel, werter Claudio Causa! Ich habe mehrfach laut lachen müssen, nein dürfen. You really made my day. - Unverzeihliche Inkonsequenz wie sie sich immer wieder in einer plötzlichen und überraschenden Rückkehr zum generischen Maskulinum offenbart, ist auch mir schon des öfteren aufgefallen. Und immer wieder amüsiert es mich. Es gibt allerdings einen, aber wirklich nur einen einzigen Vorteil, den man in der ansonsten so unerträglich albernen Gender-Korrektheit abgewinnen könnte. Im Grunde zwingt sie den Schreiber (auf das “Schreibenden” werden Sie bei mir vergeblich hoffen), logisch zu denken. Und zwar jedes Mal, wenn es gilt, einen Vorgang, eine Begebenheit, einen Sachverhalt oder was auch immer absolut gender-korrekt zu schildern. Dies dürfte auf Dauer die Schreiberei nicht unerheblich erschweren. Mal schauen, wie lange man diese Mühen in Berufsschreiber-Kreisen durchzuhalten gewillt oder imstande sein wird. Für die Notwendigkeit der Präsenz logischen Denkvermögens beim Aufsetzen gender-korrekter Schriftstücke haben Sie in Ihrem Artikel ebenso logisch wie originell den Beweis geliefert. Genial!

Wilfried Cremer / 17.05.2022

Hallo Herr Casula, das Gendern ist die weibliche Version des Vergewaltigens mit dem Pendant der Lust von abgewichsten Typen.

W. Renner / 17.05.2022

Wenn das mal kein Fortschritt ist, sein gefühltes Geschlecht frei wählen zu dürfen. Jetzt fehlt mir nur noch, nach gefühlter Tageslaune, Alter, Staatsangehörigkeit und Kontostand ebenfalls frei wählen zu dürfen. Diesbezüglich fühle ich mich nämlich auch schwerst diskriminiert und hoffe auf die queere Community zur Herstellung der Endgerechtigkeit.

Jochen Lindt / 17.05.2022

Gendern gegenderte Gendernde gegenderte Gendernde, gendern Gendernde Gendernde.

Paul Siemons / 17.05.2022

*Zunehmend muss man sich durch Texte quälen, die das ganze Folterbesteck der Genderisten enthalten* - MUSS man? Ich würde nicht einmal das Katzenklo mit Zeittazsz auslegen. Geschweige denn, diese Blätter lesen. Glauben Sie mir, das geht, und das sehr gut.

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