Geldsegen vom Staat

Von Helmut Ortner.

Immer weniger Mitglieder, aber immer mehr Geld vom Staat. Rund 594 Millionen Euro an „Staatsleistungen“ werden auch in diesem Jahr den Kirchen aufgrund von Regelungen aus dem 19. Jahrhundert überwiesen. Dabei sollten diese Zahlungen schon vor 102 Jahren abgeschafft werden. Doch passiert ist bislang nichts.

Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – versucht, die sogenannten „Staatsleistungen“ zu erklären, trifft man auf Kopfschütteln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staatliche Zahlungen, etwa für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, die ohnehin fast vollständig an Caritas oder Diakonie von öffentlichen Haushalten (also von allen Steuerzahlern) geleistet werden. Nein, die Kirchen bekommen das Geld als – salopp formuliert – „Ausgleichzahlungen“ aufgrund der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des „Heiligen Römischen Reichs“ säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Der Staat verpflichtete sich gegenüber den Kirchen im Gegenzug dazu, sie für ihre Verluste zu entschädigen und etwa den Unterhalt der Pfarrer sicherzustellen.

Sowohl die Weimarer Reichsverfassung (1919) als auch das Grundgesetz (1949) verlangen, dass diese Staatsleistungen beendet, d.h. abgelöst werden. Ein frommer Wunsch. Keine Regierung der letzten Jahrzehnte, gleich ob christ- sozialdemokratisch oder rot-grün, sah hier Handlungsbedarf. Die eherne Komplizenschaft von Staat und Kirche überdauerte alle Regierungen. Nun sind FDP und Grüne gemeinsam mit der SPD nicht mehr Opposition, sondern Regierung. Doch die Ampel schaltet nicht um: Der Entwurf wartet noch immer auf seine Umsetzung. Ein andauernder Verfassungsbruch.

Immerhin: Im März 2020 hatten Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke einen gemeinsamen „Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen“ in den Bundestag eingebracht. Er sah vor, dass sich die Ablösezahlung am Bewertungsgesetz orientieren und auf das 18,6-Fache des jeweiligen Zahlungsbetrages aus dem Jahr 2020 belaufen sollte. Zusätzlich sind 20 Jahre lang die bisherigen Staatsleistungen weiterzuzahlen. Mittlerweile belaufen sich diese Zahlungen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch sind, auf eine Gesamtsumme von nicht weniger als eine halbe Milliarde. Pro Jahr. Aus dem Geld aller Steuerzahler, ob religiös oder nicht. Insgesamt sollen seit Gründung der Bundesrepublik auf diesem Wege mindestens 19 Milliarden Euro in die Kirchenkassen geflossen sein.

2022: fast 600 Millionen Euro für die beiden großen Kirchen

Auch in diesem Jahr können sich die beiden großen Kirchen über einen staatlichen Geldsegen freuen: Rund 594 Millionen Euro werden in die Bundesländer überwiesen. Davon entfallen etwa 59 Prozent auf die evangelische und 41 Prozent auf die katholische Kirche. Das sehen die Haushaltspläne der Bundesländer (außer Bremen und Hamburg) vor, die die Humanistische Union (HU) seit Jahren auswertet. Die Zahlengaben beruhen auf den Haushaltsplänen der 14 Bundesländer (Hamburg und Bremen zahlen als ehemalige Freie und Hansestädte keine Staatsleistungen an die Kirchen).

Die Gesamtsumme der Zahlungen für das Jahr 2022 beläuft sich auf 594 Mio. Euro (594.017.50). Das ist gegenüber 2021 (581 Mio. Euro) ein Anstieg um 2,2 Prozent. Bei Annahme der gleichen Anstiegsrate – die aufgrund der jährlichen Anpassungsklauseln zu erwarten ist – werden die Staatsleistungen für 2023 die 600-Mio.-Marke übersteigen und schätzungsweise rund 607 Mio. Euro betragen.

Der aktuelle HU-Bericht verweist darauf, dass auch in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen „in keinem einzigen Bundesland die Abgeordneten die Staatsleistungen angesprochen, geschweige denn kritisch diskutiert haben“. Auch nicht in den Ländern, die – gemessen an ihrer Einwohnerzahl – extrem viel Geld für die beiden Kirchen vorsehen, wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt (40 Millionen Euro), Rheinland-Pfalz (66 Millionen Euro), Thüringen (28 Millionen Euro) oder Baden-Württemberg (137 Millionen Euro).

Mehr als 40 Prozent der Deutschen sind konfessionslos

Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ergeben sich kumuliert Zahlungen der 14 Länder von über 20 Milliarden Euro. Hinzu kommen vollständige staatliche Zahlungen für kirchliche Trägerschaften von Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen. Auch für Restaurierungen kirchlicher Immobilien sowie Kosten für den Denkmalschutz kommt Geld aus der Staatskasse. Darüber hinaus genießen die Kirchen umfangreiche Steuer- und Abgabenprivilegien. Auch auf das solide Finanzpolster, das die gesetzliche Kirchensteuer den Kirchen ohnehin garantiert, müssen sie zukünftig nicht verzichten. Allein im Jahr 2020 nahm die Katholische Kirche rund 6,45 Milliarden Euro und die Evangelische Kirche etwa 5,63 Milliarden Euro durch die Kirchensteuer ein.

In Zeiten, in denen die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen dramatisch zurückgehen (im Jahr 2020 traten rund 220.000 Personen aus der Evangelischen Kirche und ca. 221.000 Personen aus der Katholischen Kirche aus. Dieser Trend hat sich auch 2021 fortgesetzt: allein die Katholische Kirche verlor 360.000 Mitglieder), sind die horrenden Zahlungen der Staatsleistungen kaum mehr vermittelbar.

Tatsache ist: Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben in Konfessionsfreiheit. Vor 50 Jahren waren es in Deutschland unter vier Prozent, heute sind es über vierzig Prozent. Ihnen ist nicht länger zuzumuten, weiterhin die institutionelle Förderung exklusiv mit jährlichen Steigerungsraten aus allgemeinen Steuermitteln mitzufinanzieren. Die Ampel-Regierung sollte dem permanenten Verfassungsbruch ein Ende setzen.

 

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ (hierund „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“ (hier(April 2022). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

Foto: Raimond Spekking CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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M. Luther / 07.08.2022

Es fehlt der nicht unerhebliche Hinweis zum Interessenkonflikt, dass nämlich der Autor Helmut Ortner nicht nur als Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung “humanistischer Funktionär” und als solcher auf Kritik an den Kirchen gepolt ist. So einfach ist die Sache mit der Ablöse bekanntlich nicht, sonst wäre sie längst umgesetzt. Definierte Dienstleistungen bzw. Übernahme von z. B. sozialen und schulischen Leistungen, die Aufgabe des Staates sind, lassen sich marktgerecht vergüten. Was ist aber alleine mit der Bausubstanz des “Kulturerbes” Kirchengebäude und sonstiger kirchlicher Besitztümer, einschließlich Naturflächen? Möchte die Humanistische Union diese abgetragen und zugebaut sehen, um die nach Denkmalschutz und Naturschutz nötigen Unterhaltskosten zu vermeiden? Mal zusammengerechnet, was die dekmalgeschützten und kulturell, sozial und architektonisch wichtigen der weit über 40.000 Kirchengebäude jährlich an Sanierungskosten verschlingen? Die 600 Mio. strittigen Staatsleistungen wären rein theoretisch jährlich weniger als 15.000 Euro pro Kirchengebäude oder im Schnitt unter 13 Mio Euro für jede der 20 EKD-Gliedkirchen und der 27 katholischen Bistümer. Interessant, dass sich die Verbandshumanisten daran abarbeiten und nicht an den verschwendeten Impfstoff-Milliarden. Unabhängig von Sparpotential und möglichen Ablösezahlungen gibt es einen großen Bereich von Staatsinteressen, den die Kirchen besser und günstiger, da in hohem Maße ehrenamtlich und aus nicht-pekuniärer Motivaten, abdecken, als es dem Staat oder anderen Trägern möglich wäre. (Für ein Beispiel humanistischer Vorteilsnahme und Misswirtschaft einfach nach “AWO Frankfurt” googeln.) Eine Gesamtrechnung mit Folgekosten für den Staat bei finaler Ablöse taucht in der seit Jahren bekannten “humanistischen Propagandamappe” zufällig nicht auf, denn die Motivation hinter der ganzen Aktivität ist bekanntlich im Kern nicht, einfach nur “mehr Gerechtigkeit” für den Steuerzahler zu erreichen.

Elias Schwarz / 07.08.2022

Was die Kirchen alles für dieses Geld tun. Nur bitte keine Ermittlungen.

Max Kellner / 07.08.2022

Ich bin zwar auch genervt vom woken Kurs der Kirchen. Und denke speziell auf die Protestanten bezogen: “500 Jahre waren genug. Wir haben Euch gehört. Überlasst es jetzt wieder den Erwachsenen, den Katholiken.”  Auf der anderen Seite: Ehrlich? 19 Milliarden seit Gründung der Republik? Das ist ja lachhaft. Hätte ich nicht gedacht, daß es die Spezialisten für den ganz großen Auftritt und massivgoldenes Werkzeug so billig machen. Da könnte man sich ja glatt noch ein paar Konfessionen mehr leisten, bei den Schnäppchenpreisen. Mein Rat: Halten und die weitere Entwicklung beobachten.

Max Mütze / 07.08.2022

“Sprach der König zum Priester: Halte du sie dumm, ich halte sie arm.” -Unbekannt- Hand in Hand in unheiliger Symbiose ... na ja - ‘nur’ ~600 Mio - diese unverzichtbare staatliche Aufgabe lässt man sich schon was kosten ..

Gus Schiller / 07.08.2022

Neiddebatte! Die Kirchenfürsten müssen doch auch komfortabel leben so wie die Politikdarsteller, die z.T. noch nicht mal ihren Namen fehlerfrei schreiben können. Schicke Bude, Mercedes und Fahrer sind für Bischöfe obligatorisch. Und die Milliarden die Frollein Annallena Trampolin in alle Welt verteilt tun dem deutschen Michel viel mehr weh, als das Kleingeld für die Kirchen.

Ulrich Hering / 07.08.2022

Dieser Artikel ist weder vernünftig recherchiert, noch amüsant; daher die Fakten: 1) Mit dem Reichsdeputationshauptschluß (1803) wurden die kirchlichen Territorien weltlichen Fürstentümern zugeschlagen (sog. Mediatisierung); sonstiger Kirchenbe-sitz enteignet (sog. Säkularisation). Diese Einkünfte (für Seelsorge, Armenfürsorge, Schulen, Hochschulen, Baulasten und die Benefizien des Klerus) wurden von den Unterzeichnern des RDH in Gesamtrechtsnachfolge (GRF) zur Ablösung (nicht Abschaffung!) übernommen, aber die prekäre finanzielle Situation … So beschloß man, die Kirche einstweilen für den entgangenen Nießbrauch zu entschädigen 2) Die Staaten des Rhein- später Deutschen Bundes in der Bundesakte (1815) iVm. Wiener Schlußakte (1820) haben diese Verpflichtungen in GRF übernommen, aber die finanzielle Lage … 3) Zum 1.1.1871 trat das Deutsche Kaiserreich die GRF des Deutschen Bundes an und die Reichsländer sollten …, aber die finanzielle Lage – so blieb es wieder bei Nießbrauchsentschädigung. 4) Das Deutsche Reich trat mit der WRV die GRF des Dt. Kaiserreichs an; die WRV statuierte, die Reichsländer „sollen“ die Staatsleistungen ablösen (nicht abschaffen!), was Rechtslage bis 1949 war, aber die … 5) Die BRD trat in die GRF des Dt Reiches und die Bundesländer in die der Reichs-länder ein: Sie “sollen” Ablösen, nicht Abschaffen, aber die Finanzen … Das ein etwas verkürzter historico-iuridischer Abriß der Situation zwecks gebotener Vereinfachung; aber Wahrheit muß konstitutiv einfach sein, sonst könnten Herrschaften wie der Herr Autor nicht an ihr partizipieren.

Wilhelm Rommel / 07.08.2022

Tja, Herr Ortner, wahrlich ein Sachverhalt, der zum Himmel stinkt! Aber was soll’s: Solange die Schäfchen sämtlicher Konfessionen - und selbst Muselmänner, Hindus, Buddhisten und Agnostiker auf diese elegante Weise zur Kasse gebeten werden können: Pecunia non olet: Das wusste schon Vespasian, als er eine in Rom eine Latrinensteuer einführte… Und wenn ich mir dann das ewige Gegreine des “sanftlebenden Fleisches” d.h. der Talar- und Kuttenträger von ihren leeren Kirchenkassen vor Augen führe, wenn sie etwa mal ‘ne wackelige Kirchturmspitze in Ordnung bringen oder eingeheimste Kunst- und Kulturgüter schützen sollen: Zum Speiben…

Lutz Herrmann / 07.08.2022

Kirchenaustritt never felt this good.

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