Thilo Sarrazin / 07.04.2025 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 69 / Seite ausdrucken

Geld ist kein Universalpflaster

Viel eher als neue Schulden braucht Deutschland eine mentale Neubesinnung auf Leistung und Anstrengung. Die dafür notwendigen Mentalitäten fallen nicht vom Himmel, sie sind vielmehr ein Produkt des gesellschaftlichen Klimas.

Als der scheidende Bundestag am 18. März die Reform der Schuldenbremse beschloss und damit zusätzliche Schulden von 1,5 Billionen Euro ermöglichte, war viel von staatlicher „Vorsorge“ die Rede. Sicherlich, eine leistungsfähige Landesverteidigung und eine moderne funktionsfähige Infrastruktur sind elementare Elemente staatlicher Daseinsvorsorge, aber müssen sie deshalb auf Kredit finanziert werden? Der gesamte Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und die Aufrüstung der Bundeswehr zu einer Präsenzarmee mit 500.000 Soldaten und 5.000 Panzern erfolgten schließlich bis 1970 aus laufenden Steuermitteln - ohne eine nennenswerte Staatsverschuldung.

Leider hat der deutsche Staat in den letzten 50 Jahren großflächig von der Daseinsvorsorge zum Sozialkonsum umgeschichtet. Der amtlich ermittelte Anteil der Sozialleistungen am Sozialprodukt, die sogenannte Sozialleistungsquote, stieg seit 1960 von 18 Prozent auf 30 Prozent. Sozialleistungen verdrängten Schienen, Brücken, Panzer und Soldaten. Weil das geburtenarme Deutschland fortlaufend älter wird, war das ein Stück weit unvermeidlich, aber vorsorgend war es nicht. Das Unvermeidliche wurde zudem noch durch ideologische motivierte Modewellen und allerlei Willkür unnötig verteuert. Gleichzeitig aber gehen die Probleme viel tiefer als Geld und sind deshalb mit Geld allein, schuldenfinanziert oder nicht, nur begrenzt heilbar.

Für viele ist es aber auch bequem, sich in falsche Kausalitäten zu flüchten.- so als ob Geld ein Universalpflaster sei, mit dem man strukturelle Mängel heilen könne.  Dazu ein Beispiel: Zu meiner Zeit als Berliner Finanzsenator mussten alle kräftig sparen, auch die Bezirke, die im Bundesland Berlin die kommunalen Aufgaben wahrnehmen. Während das Personal der Schulen vom Land bezahlt wird und neue Schulgebäude vom Land finanziert werden, obliegt der Unterhalt der Schulgebäude als kommunale Aufgabe den Bezirken: Der grün regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hielt auch in der Haushaltskrise an utopischen Projekten fest und vernachlässigte deshalb den Bauunterhalt. Dortige Schulen waren besonders marode.

Im Nachbarbezirk Neukölln gab der Bezirksbürgermeister Hainz Buschkowsky dem Bauunterhalt den Vorrang. Die dortigen Schulgebäude waren durchweg in einem guten Zustand. Das war erfreulich, änderte aber nichts daran, dass die Bildungsleistung der Schüler in Neukölln genauso katastrophal war wie in Friedrichshain-Kreuzberg. Diese hängt nämlich nicht vom Zustand der Schulgebäude, sondern von der Herkunft und Zusammensetzung der Schüler, den Lehrplänen, der Qualität der Schulaufsicht und der Qualifikation der Lehrer ab.

Mehr Geld bedeutet nicht bessere Bildung

Mehr Geld für Schulgebäude bedeutet also nicht automatisch eine bessere Bildung. Bis Mitte des vierten Schuljahrs hatte ich in einem 70 Jahre alten schlecht gehaltenen Schulgebäude umschichtig Nachmittagsunterricht, wegen der Kriegszerstörungen war das Gebäude nämlich doppelt belegt. Das tat der Lernleistung offenbar keinen Abbruch, wie meine damaligen Schulhefte zeigen. Sicherheit in Rechtschreibung und schriftlicher Division war offenbar weitgehend unabhängig vom Gebäudezustand, und das ist heute nicht anders.

Viel eher als neue Schulden braucht Deutschland eine mentale Neubesinnung auf Leistung und Anstrengung, wenn der weitere Abstieg gebremst werden soll. Bezogen auf die Bildung bedeutet das: Sanierte Schulgebäude müssen ergänzt werden durch ehrgeizige Lehrpläne, leistungsorientierte Lehrkräfte, eine Kultur der Anstrengung und Disziplin. 

Die dafür notwendigen Mentalitäten fallen nicht vom Himmel, sie sind vielmehr ein Produkt des gesellschaftlichen Klimas. Vorsorgende Politik prägt das gesellschaftliche Klima und drückt ihm seinen Stempel auf, anstatt sich ihm opportunistisch treiben zu lassen. Dazu gehört eine Abgaben- und Sozialpolitik, die Anstrengung belohnt und Faulheit bestraft. Dazu gehört eine Einwanderungspolitik, die die Tüchtigsten gewinnt und die Flucht in den Sozialstaat unattraktiv macht. Mehr Geld allein ist gut, aber es reicht nicht. Wenn unter einem künftigen Bundeskanzler Merz kein Mentalitätswechsel stattfindet, wird auch seine Regierung den Niedergang weiterverwalten. Die SPD und die beharrenden Kräfte in der CDU werden ihn auf ein „Weiter so“ verpflichten wollen. Wenn hier seine Widerstandskraft unzureichend ist, wird er scheitern.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

 

Dr. Thilo Sarrazin, geb.1945 in Gera, aufgewachsen in Recklinghausen. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Bonn. Er bekleidete zahlreiche politische Ämter und war unter anderem von 2002 bis 2009 Senator für Finanzen im Land Berlin. Sein im August 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ löste eine anhaltende Diskussion aus und wurde zum meistverkauften deutschen Sachbuch seit 1945.

Foto: Achgut.com

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Leserpost

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Lutz Liebezeit / 07.04.2025

Geld ist nicht wichtig, doch beruhigt es die Nerven und man muß es schon besitzen, um’s zum Fenster rauszuwerfen. Ora et labora - bete und arbeite! Der Erfolg des Westens lag im Protestantismus. Das hat Emmanuel Todd sehr überzeugend herausgearbeitet. Der Niedergang des Westens begann mit dem Verfall des Protestantismus. Der Protestantismus erreichte mit der Ehe für Alle seinen Nullzustand. Die BRD war das Goldene Zeitalter Europas und der Wirtschaft, obwohl die Nihilisten schon mächtig daran arbeiteten, die Kirchen zu zerstören. Auf den Straßen stehen heute die Marktschreier, wie weiland in Jerusalem, und bieten die Bibel an wie fahles Bier. Meines Erachtens müßte sich die Kirche erneuern und den Glauben an die Wirklichkeit anpassen. Jesus war ein Römer und das Christentum hat seine Wurzeln im Oströmischen Reich (Byzantinisches Reich) bei den Griechen. Die “Jungfrau” Maria ist Blödsinn und heißt, die junge Frau Maria war schwanger, ehe er sie heimholte. Die übernatürliche Geburt ist was für Spökenkieker. Das sagen auch die Juden. Das oströmische Reich war die wirtschaftlich erfolgreichste Provinz des Römischen Reichs mit der Hauptstadt Konstantinopel. Die Briefe an die sieben Gemeinden in Asia gingen an die Griechen. So kann man das auch in der Bibel lesen. Heute leben da die Türken, Konstantinopel heißt heute Istanbul.  Mit einer sachlogischen Darstellung des Christentums wäre eine wirkliche Erneuerung möglich. Das Christentum muß sich vom Judentum emanzipieren. Das Judentum ist wie Zeus, Odin, Manito, Osiris völkisch und gibt den Juden Identität. Die nationalen Mythen sind inkonziliant, der Herrgott ist konziliant. Das ist der Unterschied. Man sperrt sich, weil man glaubt, zu verlieren. Dabei ist das Gegenteil der Fall.  Der Herrgott hat mehr Facetten. Auf zu neuen Ufern!

Bremmhuber Sepp / 07.04.2025

Schöne Sonntagsrede die leider im digitalen Nirvana verschwinden wird. Neubesinnung auf Leistung und Anstrengung? Wollen Sie mich verarschen? Für was? Dieses Drecks Land kann mich mal!

H. Hoffmeister / 07.04.2025

Herr Sarrazin, Kennen Sie den amerikanischen Kinofilm “Idiocracy” ? In diesem ist der gesellschaftliche Zustand in Szene gesetzt, dem wir uns hierzulande mit hoher Geschwindigkeit nähern. Gab es nicht erst vor wenigen Tagen die Tarifeinigung im Öffentlichen Dienst, die eine saftige Lohnerhöhung, mehr Weihnachtsgeld und ein zusätzlichen Urlaubstag vorsieht ? Die Gruppe mit der geringsten Produktivität, der geringsten Jahresarbeitszeit, dem höchsten Krankenstand und dem höchsten Urlaubsanspruch bekommt wieder einmal mehr vom Kuchen, den immer weniger werdende Nettowertschöpfer erarbeiten müssen. Ihr Aufsatz beschreibt ein anderes Universum.

Bernd Gottschalk / 07.04.2025

...Leistungsbereitschaft wird in Deutschland von den Steuern aufgefressen… sie entwickelt sich im Elternhaus - garantiert nicht in der Schule mit vollversorgten, verbeamteten Lehrern, die täglich das genaue Gegenteil von Leistung und selbstverantwortlichem Handeln/Unternehmertum widerspiegeln…

S.Buch / 07.04.2025

Das gesellschaftliche Klima richtet sich zuvorderst nach den materiellen Gegebenheiten. Sozialismus ist Leben aus dem Bestand (größtmögliche Verschuldung gehört dazu). Ist der Bestand aufgebraucht, sind die materiellen Gegebenheiten so ungünstig, dass sich das gesellschaftliche Klima aus der Notwendigkeit heraus wieder hin zu Leistung und Anstrengung wandeln muss. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die politischen Rahmenbedingungen (wieder) stimmen. Ein Blick nach Kuba reicht, um zu sehen, was passiert, wenn das nicht der Fall ist. Dann ist langes Siechtum - manche nennen es Renaturierung -garantiert. Bekanntlich ist das die Agenda der linksgrünen deutschen und EU-“Eliten” (also alles ex AfD).

W.Leich / 07.04.2025

Es wird schwierig werden die heutige Jugend, die in Wohlstand geboren wurde und in den letzten Jahren nicht genügend Anreize für Leistung bekommen hat, auf ein leistungsorientiertes Handeln zu motivieren. Der Staat hat sich immer mehr zum Vollkaskoversorger mutiert und die Eigenverantwortung wurde vernachlässigt. Man könnte es auch Wohlstandsdekadenz nennen. Große Völker sind so untergegangen, den Römern war es wohlstandstrunken wie sie waren letztlich egal ob sie von fremden Mächten erobert wurden, Hauptsache Wohlstand ! /// Die Bereitschaft für eine Wehrpflicht oder ein verpflichtendes Dienstjahr wird von den jungen Leuten heute als Affrond empfunden. In den Nachkriegsjahren wurde an 6 Tagen in der Woche gearbeitet und in die Schule gegangen und der Wehrdienst war quasi obligatorisch. So konnte der Wiederaufbau gelingen. Wer aber nie das entbehrliche Leben der 50er Jahre gesehen hat kann den Wohlstand der 20er Jahre gar nicht schätzen. Wohlstand scheint eben einfach so da zu sein! - Ob diese Mentalität denn auch tragen sollte ?

Walter Weimar / 07.04.2025

Es ist immer wieder das gleiche, alte weiße Männer erklären den Schaden, und deren Behebung, den sie selber in jungen Jahren mit getragen haben.

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