Henryk M. Broder / 30.03.2020 / 14:00 / Foto: Dirk Ingo Franke / 60 / Seite ausdrucken

Geld alle und die Datenbank geknackt – das ist Berlin

Wenn Sie wissen wollen, wie ernst die Lage ist, dann schauen Sie sich ein Interview mit Detlef Scheele, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, an, das am 27.3. in einem ZDF-Corona-Spezial zu sehen war. Hier ab 3:30. Wie stehe es denn um das schnelle und unbürokratische Vorgehen, das den Antragstellern versprochen wurde, will der Moderator wissen, worauf Scheele, der sich gegen die soziale Kälte mit einem schwarzen Schal schützt, antwortet: "Wir haben jetzt rasant steigende Kurzarbeiter-Anzeigen, wir haben jetzt 70.000", in normalen Zeiten seien es 1.000, wobei er zu sagen vergisst, ob sich die Zahlen auf einen Tag oder eine Woche beziehen oder auf die Zeit, seit er das Amt übernommen hat. Jedenfalls "geht es rasant nach oben", und es tue ihm leid, "wenn es im Einzelfall so sein sollte, dann melden Sie sich bei uns, gucken Sie in die Online-Unterstützung, wir beraten Sie gerne, gar keine Frage". Denn: "Wir freuen uns über die Anzeigen, weil jeder, der in Kurzarbeit geht, ist ein verhinderter Arbeitsloser, dafür sind wir da, und das ist das Mittel der Wahl, mit dem wir zumindest den Beschäftigten helfen können, ihren Arbeitsplatz zu erhalten."

Versuchen Sie bitte, die Logik dieses Satzes zu finden, und wenn Sie es geschafft haben, dann geben Sie uns Bescheid. "Jeder, der in Kurzarbeit geht, ist ein verhinderter Arbeitsloser", das klingt wie "Jeder, der vom Dach springt, ist ein verhinderter Sozialhilfeempfänger", und so könnte es auch gemeint sein. 

Jetzt persönlich zur Arbeitsagentur zu gehen, sagt der Moderator, sei "keine gute Idee", allerdings sei das Anrufen auch nicht einfach, "die Telefonleitungen sind überlastet", was sollten die Antragsteller tun?

Das Telefonnetz, antwortet der Chef der Arbeitsagentur, sei "in den letzten Wochen in ganz Deutschland stark überlastet gewesen", 11.000 Mitarbeiter der Arbeitsagentur würden von zuhause arbeiten, "das belastet das Netz", da könne man sich nicht wundern, "und deshalb bieten wir an, online zu gucken", da gebe es viele Kanäle. "Und wir rufen zurück, wenn Sie niemand erreichen und auf die Voice-Box sprechen, dann antworten wir, da haben wir eine nahezu 100-prozentige Rückrufquote, ich glaube, das ist in Zeiten wie diesen verständlich". Für die Kurzarbeiteranträge seien jetzt 4.000 Mitarbeiter da, "wir tun, was wir können, es tut uns leid, wenn es im Einzelfall Probleme gibt, wir arbeiten das gerne nach". Außerdem sei Geld "kein limitierender Faktor", irgendann wäre zwar die Rücklage weg, aber "wir zahlen aus, wir zahlen pünktlich aus und wir bemühen uns, so schnell wie irgend möglich".

Kurzarbeiter retten die Statistik

Das sind doch alles gute Nachrichten für alle Kurzarbeiter, die mit ihren Anträgen auf Kurzarbeitergeld dafür sorgen, dass die Arbeitslosenzahlen nicht durch die Decke gehen. Gute Nachrichten gab es auch für die vielen Selbstständigen in Berlin – Musiker, Grafiker, kleine Dienstleister –, denen vom Senat ebenfalls schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen wurde. In der Praxis sah das so aus:

Heute nachmittag war ich im Copy-Shop, und Charly, der Inhaber, wollte wissen, ob ich meine Fördermittel schon beantragt hätte. Hatte ich nicht. Bislang hieß es ja, Solo-Selbständige und Künstler könnten 5000 Euro beantragen und bekommen. Inzwischen heißt es übrigens: bis zu 5000 Euro. Wenn man Pech hat, werden es am Ende nur 500. Man kann den Antrag nicht einfach so stellen, sondern muß sich in eine virtuelle Warteschlange einreihen. Das hat Charly gemacht, er hat sich eingereiht. Vor ihm warteten 87.000, den Antrag überhaupt erst stellen zu dürfen. 87.000! Der Nachbar von Charly, ein Libyer, der einen kleinen Sandwich-Laden betreibt, war viel schneller und ganz vorn in der Schlange. Er kam dran. Jeder, der das Glück hat, an den Antrag zu kommen, hat genau 35 Minuten Zeit. In den 35 Minuten muß alles ausgefüllt sein. Der Libyer hat Probleme mit dem Behördendeutsch, darum bat er Charly um Hilfe. Beide versuchten in Windeseile diesen Antrag auszufüllen, scheiterten aber an den Schrägstrichen der Steuernummer. Die Schrägstriche gingen nicht, auch keine Minuszeichen. Die Nummer hintereinander weg einzugeben, ging schief. Vielleicht haben sie in der Eile die Zahlen verwechselt. Dann waren die 35 Minuten um, und der Libyer flog aus dem Wartesystem. Er ist jetzt wieder ganz nach hinten gerutscht. Wenn man irgendwann dran ist, bekommt man übrigens eine Mail. Das kann auch nachts um drei sein. Ab dann laufen die 35 Minuten. Wenn man verpennt, hat man eben Pech gehabt und darf wieder von vorne anfangen. 

Pleiten, Pech und Pannen

Es kam aber noch besser. Schneller als erwartet, war das Geld für die Kredite alle. Die Berliner Investitionsbank, formell eine Anstalt des öffentlichen Rechts, in Wirklichkeit ein landeseigenes Unternehmen, gab Ende der vergangenen Woche bekannt, sie setze bis auf Weiteres die Annahme weiterer Anträge aus, "um mit den Senatsverwaltungen für Wiirtschaft, Energie und Betriebe das weitere Vorgehen zu beraten". Die vom Senat bereitgestellten 100 Millionen Euro würden nicht reichen. "Wenn alle Anträge, die momentan kundenseitig in Bearbeitung sind, bewilligt würden, beliefe sich das Volumen auf mehr als 300 Millionen Euro." Hier.

Obendrauf gab es noch eine Datenpanne. "Nutzer konnten den Antrag auf Corona-Hilfe zwar ausfüllen und abschicken. Doch als sie den Antrag als Kopie herunterladen wollten, erhielten sie nicht ihren Antrag, sondern den einer fremden Person – inklusive Adresse, Steuernummer und Bankverbindung."

Ja, das ist Berlin, die einzige Hauptstadt in Europa, die das BIP des Landes in die Tiefe drückt. "Ohne Berlin ginge es Deutschland besser", schrieb DIE WELT schon 2016. Man möchte lieber in Dinslaken besoffen abhängen, als in Berlin auf Hilfe angewiesen sein. 

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Leserpost

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Heike Richter / 30.03.2020

“Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf.” Ich denke Ochs und Esel haben gar kein Interesse daran. Der Sozialismus siecht !

Karlheinz Patek / 30.03.2020

Klasse, ich arbeite schon an der Logik dieses Satzes, am Anfang des Artikels, bitte rechnen Sie nicht vor Ende nächsten Jahres mit einem Ergebnis. Ja Berlin, soll ich jetzt Mitleid haben, was haben die Pseudo-1-Mann-Konzerne denn gewählt, mehrheitlich in der Vergangenheit. Und jetzt haltet es gefälligst aus da oben, ihr dämlichen Träumer. Immer schön Haltung zeigen und verliert nicht eure inneren Werte, vielleicht braucht ihr sie noch. Ich bin mir auch sicher dass es zu irgendwelchen Rückschlüssen bezüglich des Wahlverhaltens intellektuell auch nicht mehr reicht. Ich war dreimal in Berlin in der letzten Zeit, das reicht mir, ich möchte da oben nicht begraben sein, die wären nämlich auch dazu überfordert. Das links-grüne Glücksuniversum scheint noch nicht realisiert zu sein, nirgendwo liegen die Nerven so blank wie in diesem linksversifften Kaff. Mich amüsiert das, danke für den Artikel.

A. Ostrovsky / 30.03.2020

Hat denn wirklich jemand geglaubt, eine Behörde, zumal in Berlin, würde irgendwas auf die Reihe bekommen, was nich vollständiger Unsinn ist? Und das selbst in einer existenziellen Krise, wo all davon faseln, dass wir jetzt ganz eng zusammenrücken. Ich bedauere, dass ich das klar benennen muss, aber es geht ja n ht anders: DAS ist NICHT UNSER Staat. Das ist der Staat der Beamten, Prominenten, Flüchtlinge und Islamisten. War so nicht gedacht, aber nun ist es eben mal so.

Dieter Kief / 30.03.2020

18-Uhr-Nachrichten Schweizer Rundfunk: Alle Anträge auf CO-19 Hilfskredite der Schweizerischen Unternehmen sind seit heute bearbeitet. Die Kreditsumme beträgt zehn Milliarden Franken. Der Bundesrat (= die Regierung, dk) berät über eine mögliche Weiterführung der Maßnahme… Kingt irgendwie toll, stimmts?

Klaus Herbert FRITZ / 30.03.2020

Lieber Herr Broder, nun sind sie halt da, die vielen Geldanträge,  und sooo überraschend ??? viele,  jetzt ist er halt weg, der Speck ! Wer traut sich da noch singen ....“ich habe so heimweh nach dem Kurfürstendamm, ich hab so heimweh nach meinem Berlin”.... ?  Na wer denn schon,, ...der rot-rot-grüne Senat samt Bagage (hier ursprünglich gemeint, nämlich der zahlreich ausgehaltene Hofstaat des demselben)

B.Jacob / 30.03.2020

Es war doch klar, das Merkel als Weihnachtsmann für alle, um Königin der UNO zu werden, sich total verzockt hat. Aber es gäbe Möglichkeiten noch etwas zu retten. Keine Gelder mehr für die Antifa, genaue Überprüfung von Flüchtlingen nach GG, um Wirtschaftsflüchtlinge wieder nach Hause zu schicken, Nutzung des europäischen Gesetzes, die Grenzen wegen einer Pandemie zu schließen, Streichung der Gelder für Geschwätz Wissenschaftler, das Politiker mit ihren großen Lobby Nebenverdiensten auch an den Sozialausgaben von Krankenkassen beteiligen, von denen sie frei gestellt waren und so weiter. Entschuldigung ich muss k…

Marco Stein / 30.03.2020

Die Hysterie treibt Blüten.  2017/18 starben ca. 25000 Menschen in Deutschland während der hefigsten Grippewelle seit über 30 Jahre. 2,5 Millionen Erkrankte damals. Da hieß es einfach “die Grippe ist dieses Jahr besonders heftig”. Gottlob ist Corona nicht so schlimm wie Ebola oder die Pest. Ich vermag mir nicht vorzustellen, was bei solch einer Pandemie hier los wäre.

Carlos Häberle / 30.03.2020

Ich habe mir das „Soforthilfe-Corona“ Formular ausgedruckt und durchgelesen. Witzige Sache. Da wird z.B. nach dem Grund für die existenzbedrohliche Wirtschaftslage gefragt. Wie gesagt…das Ding nennt sich „Soforthilfe-Corona“, also was könnte wohl der Grund sein? Dazu gibt es aber auch noch eine Fußnote, und in der ist zu lesen, dass ein schlichter Verweis auf die Corona-Pandemie, kein Grund für diese Soforthilfe ist. Nur gut, dass ich Angestellter bin und dieses Formular nicht ausfülle muss. Ich bin übrigens sicher, dass unsere Regierung in dieser Krise ihr Bestes gibt. Aber genau das macht mir auch Sorgen. Denn das was dabei rumkommt, ist an Dilettantismus kaum zu überbieten. Oder um es mit den Worten von Horst Schlämmer zu sagen: „Ich sage nicht, dass ich das besser kann. Aber schlechter mach ich das auf keinen Fall.“

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