An Deutschland haben sich schon viele die Zähne aus gebissen. Am meisten die Deutschen selbst. Vermutlich ist es der Idealismus der Deutschen, in dem sie krude und gefährliche Ideen hypen und sich dann ganz toll dabei finden, der das Land regelmäßig in den Abgrund treibt.
Warum, Frau Arfa, ist es wichtig, dass Sie ... Deutschland “als Enkeltochter von Holocaust-Überlebenden” den Spiegel vorhalten? Wäre Ihre - auch meiner Meinung nach - richtige Argumentation weniger richtig, wenn Sie den Spiegel schlicht als Orit Arfa vorhalten würden? Wenn “ein irakischer Asylbewerber ein unschuldiges jüdisches Mädchen umbringt” ist das auch für jeden nicht jüdischen, redlichen Deutschen auch ein schlimmes, trauriges und inakzeptables Verbrechen. Indem Sie in diesem Zusammenhang besonders betonen, dass Ihre Großeltern Holocaust-Überlebende waren, Sie Jüdin sind und neben der Deutschen auch die Israelische Staatsbürgerschaft besitzen, verstärken Sie auf sehr subtile Weise ein diffuses Schuldgefühl heute lebender Deutscher, dass Ursache der - auch von mir so gesehenen - Deutschen Desorientierung ist, und gegen das Sie ja gerade - zu Recht - Argumentieren. Der mögliche Nebenaspekt der Erwähnung Ihrer Familiengeschichte, nämlich Ihre besondere Betroffenheit von den Ereignissen zu betonen, tritt da in den Hintergrund.
In den meisten Familien - zumindest in der unseren - wird ohnehin auch über die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern geredet. Das beschränkt sich aber nicht auf deren Verhalten in den berüchtigten 12 Jahren und darf nicht dazu führen, dass sich die Kinder für deren möglicherweise schlimme Taten schuldig fühlen. Schuldig ist nur der Täter. Gerade die Juden haben doch erlebt, was für fürchterliche Folgen ihre angebliche Erbschuld am Tod von Jesus (“Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“) für sie selbst hatte. Wollen sie nach diesen Erfahrungen wirklich ein anderes Volk - alle Deutschen dieser und aller folgenden Generationen - ebenfalls in ein Erbschuldgefängnis sperren, mit all den bekannten schrecklichen Folgen?
Die Deutschen sind heute so drauf, dass sie immer der Welt zeigen möchten, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Sie wollen es jeden Recht machen oder zumindest das Gefühl vermitteln, es jeden Recht machen zu wollen. Auch möchten sie jeden zeigen, dass sie sich selber gerne zurücknehmen und dass das Schicksal der anderen ihnen immer wichtig ist. Im Ausland kommt das aber oft aufdringlich, anmaßend, moralisierend, lehrmeisterisch und bevormundend rüber und nur relativ wenige hierzulande bemerken das.
Zeit ist Geld. Gott bewahre, meine mir verbliebene Geld-Zeit würde ich niemals mit dem Lesen von Strunz verschwenden. Auf einer Uhr als Nussschale währt ein Menschenleben zwölf Stunden. Nach maximalem zoom-out umfasst die Uhr den gesamten Kosmos. Und in Demut vor den Maßstäben anerkennen wir uns sodann selbst als unendlich viel weniger als einen scheißenden Vogel oder einen zeitgenössischen Völkermörder. One of these mornings you’re gonna rise up singing And you’ll spread your wings and you’ll take to the sky
Ein super Beitrag, liebe Frau Arfa! Was Sie schreiben, hat viel mit der Wertevermittlung zu tun. Deutsche Politiker und links-grüne Wortführer öffentlich-rechtlicher Medien beschwören unablässig »europäische Werte«, während ihr einziger Wert in Wirklichkeit ein absoluter Werte-Relativismus ist. Faktisch sägen sie an europäischen Werten wie keine Generation zuvor. Die neuesten Varianten sind »Ehe für alle« und (besonders von Seiten der Linken, Grünen und Liberalen ) die Forderung nicht nur von Straffreiheit (diese ist längst Gesetz), sondern eines deklarierten »Rechts« auf die Tötung ungeborener Kinder. In zwei Ländern der EU ist die »Euthanasie« von Kindern und Jugendlichen heute »legal« - vor wenigen Jahren noch ein »Beispiel der Nazi-Barbarei«. Im europäischen Parlament und in einigen Parlamenten der Mitgliedsstaaten wird heute über Menschenrechte und Grundwerte abstimmt, die bisher als unveräußerlich galten, oder als »unantastbar« (wie z.B. das Leben ungeborener Kinder). Zurecht schreibt Rémi Brague [Professor für Philosophie an der Sorbonne und an der Ludwig-Maximilians Universität München]: „Ich frage mich, ob »an Europa glauben« nicht der vollendetste Ausdruck eines absoluten Unglaubens ist und Europa ein Hort des Nihilismus“ [Aus: «Modérément moderne», Flammarion, Paris, März 2014]. Nur dieser Nihilismus (eine multikulturalistische Werte-Indifferenz) macht es begreiflich, dass die kulturelle Dimension der millionenfachen muslimischen Immigration von Politik und Medien völlig vernachläsdigt wird. Was europäische Werte in Wahrheit sind, hat Rémi Brague mit der Exzellenz der europäischen Philosophen in der »Pariser Erklärung« vom 7. Oktober 2017 zusammengefasst [googeln].
Ach Frau Arfa, was haben sie für schöne Träume !
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