Im Februar 2024 tritt der Ukrainekrieg in sein drittes Jahr ein. Nach 20 Monaten besteht nun die ernsthafte Gefahr, dass Kiew der Nachschub ausgeht, wenn die Hilfe aus den USA ausbleibt. Das Schicksal der Ukraine entscheidet sich in Washington.
Die finanziellen Ressourcen der USA für die Ukraine stehen kurz vor der Erschöpfung. Neue Gelder müssen vom Kongress bewilligt werden, doch es gibt dort erheblichen Widerstand. In einem dringenden Appell hatte jüngst Shalanda Young, die Direktorin des nationalen Haushaltsamtes der USA, darauf reagiert.
Die von der US-Regierung bewilligten Mittel für die Ukraine werden laut Informationen in Washington bis zum Jahresende vollständig aufgebraucht sein. Diese Einsicht geht aus einem Schreiben hervor, das Young an die Führung beider Kongresskammern gerichtet hat.
Im Zeitraum der Fiskaljahre 2022 und 2023 haben die Vereinigten Staaten bis zu 113 Mrd. US-Dollar an direkter finanzieller Unterstützung an die Ukraine gewährt, wobei etwa die Hälfte dieser Summe aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums stammt, dessen Jahresbudget bei knapp 900 Mrd. liegt.
Wenn das US-Parlament nicht umgehend handelt, wird die Regierung ab Neujahr über keinerlei Mittel mehr verfügen, um weitere Waffen und Ausrüstung für die Ukraine zu beschaffen oder militärische Ausstattung aus eigenen Beständen an Kiew zu liefern. Das alarmierende Schreiben des Weißen Hauses wurde am vergangenen Montag veröffentlicht.
Darin warnte Shalanda Young, dass ein weiteres Zögern die Bemühungen der USA in der Auseinandersetzung mit Russland untergraben würde, sollte der Kongress bis zum Jahresende keine zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine bewilligen. Es gebe keinen magischen Topf, aus dem man weitere Mittel schöpfen könne.
Tatsächlich hat der US-Kongress nach der Wahl Mike Johnsons zum neuen Sprecher des Repräsentantenhauses am 25. Oktober 2023 kein Hilfspaket für die Ukraine mehr genehmigt; und auch das Datum für die Beratung des Gesetzentwurfs über die Mittel für Kiew wurde noch nicht festgelegt.
Ist die Kriegsführung mit verminderter Hilfe machbar?
Zuvor hatte Joe Biden um 106 Mrd. Dollar für Hilfe an Israel und die Ukraine gebeten, jedoch keine Unterstützung im Kongress erhalten. Das Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner die Mehrheit haben, stimmte nämlich nur für die Bereitstellung von Hilfe nur an Israel. Der Senat, der wiederum von den Demokraten kontrolliert wird, hat diese Initiative daraufhin blockiert.
Für Kiew bedingt das politischen Tauziehen in den USA eine bittere Realität. Während sich die bislang bereitgestellten Mittel allmählich dem Ende zuneigen, scheinen erneute Lieferungen, die dem bisherigen Umfang entsprechen, äußerst unwahrscheinlich. Ob eine Fortsetzung des Krieges mit verminderter Unterstützung noch möglich sein wird, ist unklar.
Zwar hatte Lloyd Austin während seines Novemberbesuchs in Kiew ein weiteres Hilfspaket in Höhe von 100 Millionen US-Dollar angekündigt. Dabei handelt es sich jedoch um Mittel, die Teil der bereits zuvor genehmigten Lieferungen ist.
Angesichts der aktuellen Lage findet Jake Sullivan, Sicherheitsberater des US-Präsidenten, deutliche Worte: „Wenn es keine Finanzierung für die Lieferung von Waffen an die Ukraine gibt, werden wir schlichtweg nicht in der Lage sein, die Waffenlieferungen fortzusetzen.“
Wie wenig Zeit bleibt, um die militärische Versorgung der Ukraine aufrechtzuerhalten, zeigt ein Blick auf den politischen Kalender. Sollte der Kongress nicht vor den am 14. Dezember 2023 beginnenden Weihnachtsferien eine Entscheidung fällen, wird dies erst in der zweiten Januarwoche des kommenden Jahres möglich sein. Der Senat und das Repräsentantenhaus werden ihre Arbeit nämlich erst am 8. bzw. 9. Januar 2024 wieder aufnehmen.
Um die Gefahr eines Verzugs abzuwenden, gab Chuck Schumer, seines Zeichens Fraktionsführer der Demokraten im Senat, am 5. Dezember 2023 bekannt, einen Antrag auf eine Abstimmung über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für nationale Sicherheitsziele eingereicht zu haben. Dies schließe die Unterstützung der Ukraine mit ein.
Warnung vor einem verlorenen Krieg
Unterdessen hat Andrij Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, davor gewarnt, dass sein Land ohne neue Lieferungen von US-Militärhilfe den Krieg zu verlieren drohe. Es werde für die Ukraine schwierig sein, an den bisherigen Positionen festzuhalten und den Kampf zu überstehen, äußerte er am 5. Dezember 2023 in einer Rede vor dem U.S. Institute of Peace in Washington.
Jermaks alarmierende Warnung erklang nur wenige Stunden, bevor Präsident Selenskyj eine geplante Videokonferenz mit US-Senatoren spontan abgesagt hatte, bei der er diese eigentlich über den Fortgang der Kämpfe informieren wollte. Wie Schumer erklärte, war ein dringender Notfall dafür verantwortlich.
Obwohl die Truppen Kiews im Osten des Landes aktuell unter großem Druck stehen, weigern sich die Republikaner, weiteren Hilfspaketen zuzustimmen. Am Montag, dem 5. Dezember 2023, wies Mike Johnson die Forderung der Demokraten nach zusätzlichen Hilfsgeldern in Höhe von mehreren Milliarden Dollar für die Ukraine scharf zurück.
„Die Regierung Biden hat es versäumt, substanziell auf unsere berechtigten Bedenken einzugehen – über das Fehlen einer klaren Strategie in der Ukraine, eines Weges zur Lösung des Konflikts oder eines Plans zur angemessenen Gewährleistung der Rechenschaftspflicht für die Hilfe der US-Steuerzahler“, schrieb der Politiker auf Facebook.
Warum aber lehnen die Republikaner weitere Zuwendungen ab?
Wie erwähnt, hat der amerikanische Kongress seit Kriegsbeginn Militär- und Wirtschaftshilfe für die Ukraine in Höhe von bis zu 113 Mrd. Dollar bewilligt. Diese Zuwendungen waren ohne Zweifel in der Hoffnung auf einen militärischen Sieg gegeben worden. Tatsächlich hatte es zwischenzeitlich durchaus Anlass zu Enthusiasmus gegeben – etwa nach dem Sieg bei Kiew oder nach der Befreiung Chersons.
Ernüchternde Bilanz
Umso ernüchternder dürfte sich daher die Erkenntnis auswirken, dass die ukrainische Sommeroffensive gescheitert ist. Bis auf einige Dörfer und kleinere Gebiete kann Kiew keinerlei Geländegewinne vorweisen. Tausende Soldaten sind gefallen, viel Material ist verlorengegangen. Das strategische Ziel eines Durchbruchs zum Asowschen Meer wurde nicht erreicht.
Dafür zeichnen im Rückblick vor allem folgende Gründe verantwortlich:
- Die Errichtung dicht gestaffelter russischer Verteidigungslinien sowie die Verminung der vorgelagerten Gebiete;
- Die russische Luftüberlegenheit;
- Die Mobilisierung von 300.000 Reservisten ab Oktober 2022;
- Die Errichtung einer Kriegswirtschaft in Russland;
- Der inflationäre Einsatz von Menschleben durch den russischen Generalstab;
- Die absolutistische Herrschaft der russischen Staatsführung;
- Die unzureichende Fähigkeit des ukrainischen Heeres zum Kampf der verbundenen Waffen;
- Zunehmende Probleme Kiews bei der Mobilisierung neuer Soldaten;
- Korruption in der ukrainischen Militärverwaltung;
- Spannungen zwischen Präsident Selenskyj, Generalstabschef Walerij Saluschnyj und anderen hochrangigen Politikern.
Der Frage nach den Ursachen für das Scheitern der ukrainischen Offensive wird aktuell auch in den USA diskutiert. In diesem Zusammenhang hat die Washington Post eine umfangreichen Analyse publiziert, die zuvor geheime Einschätzungen von Militär- und Geheimdiensten enthält.
Als Kardinalfehler wird hier vor allem die Entscheidung Kiews betrachtet, an drei Fronten gleichzeitig anzugreifen: und zwar in südlicher Richtung auf Melitopol sowie im Osten auf Berdjansk in der Oblast Saporischschja und auf Bachmut in der Oblast Donezk.
Washington habe vor einer derartigen Zersplitterung der Kräfte gewarnt. Und sei der Auffassung gewesen, ein einziger, in Richtung Melitopol vorgetragener Angriff hätte zu einem Durchbruch zum Asowschen Meer führen können. Hierfür habe ein Zeitfenster von 60 bis 90 Tagen offen gestanden. Die Erfolgschancen einer solchen Operation hätten amerikanische Geheimdienste mit 50 Prozent angegeben. Kiew habe dieses Vorgehen jedoch abgelehnt und sich für den Kampf an mehreren Frontabschnitten gleichzeitig entschieden.
Das Scheitern der Sommeroffensive
Wie auch immer man die einzelnen Aspekte gewichten mag. Trotz veritabler Erfolge besteht am Scheitern von Kiews Gegenoffensive kein Zweifel. Der im Sommer bestehende Enthusiasmus ist verflogen. Selenskyj konnte sein Versprechen, das Jahr 2023 werde im Zeichen des Sieges stehen, nicht einlösen. Eine Befreiung der von Russland annektierten Gebiete einschließlich der Krim scheint derweil unrealistisch.
Nach Ansicht von Frederick Kagan, Direktor des Critical Threats Project am American Enterprise Institute und ehemaliger Professor an der US-Militärakademie, haben die Verzögerungen bei der Finanzierung bereits Auswirkungen auf die ukrainische Front. Die Gegenoffensive gegen Russland laufe aus, und künftige Militäroperationen zur Rückgewinnung verlorener Gebiete seien fraglich.
„Die Ukrainer werden eine schwierige Entscheidung treffen müssen. Wenn sie nicht sicher sind, dass sie von den USA etwas anderes bekommen, werden sie versuchen müssen, an dem festzuhalten, was sie haben“, äußerte der Militärexperte.
Kagan sagte auch, die ukrainische Armee benötige Panzer, gepanzerte Mannschaftstransporter, Kampfjets, Drohnen und Langstreckenwaffen. Die USA seien das einzige Land, das diese Ausrüstung schnell und in den Mengen liefern könne, die die Ukraine 2024 benötige.
Die aktuelle Blockade der Republikaner trifft Kiew insofern hart, als es in beiden Häusern des Kongresses eigentlich eine parteiübergreifende Mehrheit gab, die zusätzliche Hilfe für die Ukraine befürwortete; trotzdem haben die Republikaner am 6. Dezember 2023 den vorliegenden Antrag zur Unterstützung Kiews einstimmig abgelehnt. Schumer sprach von einem ernsten Moment, der bleibende Folgen für das 21. Jahrhundert haben werde.
Das von Joe Biden geforderte Hilfspaket hat zudem einen Makel. Seine Mittel sind nicht nur für die Ukraine, Israel und Taiwan gedacht, sondern auch zur Verstärkung der US-Grenze zu Mexiko. Der letzte Ausgabenposten ist der umstrittenste, da sich die Demokraten gegen eine härtere Einwanderungspolitik der Republikaner wehren.
Geld aus China leihen, um es der Ukraine zu geben?
Schon am Dienstagnachmittag soll laut US-Medien auf einem geheimen Briefing über das Hilfspaket Bidens ein erbitterter Streit ausgebrochen sein. Die Republikaner hätten den Demokraten vorgeworfen, ihre Forderung nach mehr Geld für die Verstärkung der Grenze zu ignorieren.
„Die Vereinigten Staaten werden in diesem Jahr ein Defizit von über 2,5 Billionen Dollar haben“, erklärte der republikanische Kongressabgeordnete Matt Rosendale am Dienstag gegenüber dem BBC-Korrespondenten James Kumarasamy. „Warum sollten die Menschen in den Vereinigten Staaten also Geld von China leihen, um es der Ukraine zu geben? Das ist nicht in unserem Interesse.“
Obwohl oder vielleicht gerade, weil die Zukunft der Ukraine weiterhin in der Schwebe hängt, hat das Weiße Haus am 6. Dezember 2023 bekanntgegeben, dem Land kurzfristig Mittel in Höhe von 175 Millionen US-Dollar bereitzustellen. In der betreffenden Pressemitteilung heißt es, das Paket nutze die begrenzten Ressourcen, die noch verfügbar seien, um der Ukraine zu helfen.
Hierzu würden im Rahmen zuvor angeordneter Mittelreduzierungen Waffen und Ausrüstung im Wert von bis zu 175 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Enthalten seien Luftabwehrmunition, Munition für hochbewegliche Artillerieraketensysteme, Artilleriemunition, Hochgeschwindigkeits-Anti-Radiationsraketen, Panzerabwehrraketen, Kleinwaffenmunition, Sprengmunition zur Beseitigung von Hindernissen, Ausrüstung zum Schutz kritischer nationaler Infrastrukturen sowie Ersatzteile, zusätzliche Ausrüstung, Dienstleistungen, Ausbildung und Transport.
Obwohl es sich dabei nur um einen Tropfen auf den heißen Stein handelt, hat der Kreml prompt reagiert. Am 7. Dezember 2023 erklärte Dmitrij Peskow während einer Auslandsreise Wladimir Putins in Riad: „Die Mantras über die fortgesetzte bedingungslose Unterstützung der Ukraine sind nichts Neues. Aber jetzt sind sie belastet durch Bemühungen um die Finanzierung. Offensichtlich gibt es hier Probleme.“
Peskow betonte, es sei offensichtlich, dass derzeit insbesondere die USA interne Widersprüche im Zusammenhang mit der Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer weiteren gedankenlosen Verbrennung von Dutzenden Milliarden Dollar an der Spitze des ukrainischen Krieges durchliefen.
„Sicherlich werden diese Widersprüche später auch die verbliebenen klaren Köpfe in den europäischen Hauptstädten heimsuchen. Alle sprechen darüber, dass dieser Krieg beendet werden sollte, aber sie würden es vorziehen, ihn mit einer Niederlage Russlands zu beenden. Und das, was auf dem Schlachtfeld passiert, spricht genau über die Unmöglichkeit und eher die Unvermeidlichkeit des Gegenteils", fügte Peskow hinzu.
Das Schicksal der Ukraine liegt nun faktisch in den Händen der Vereinigten Staaten. Sollte der Kongress Kiew weitere Unterstützung verweigern, würde dies nicht nur eine Tragödie für das geschundene Land darstellen, sondern auch eine ironische Wendung des Schicksals bedeuten.
Ausgerechnet eine der ältesten demokratischen Institutionen unserer Zeit (Eröffnung am 4. März 1789) hätte einer Diktatur mit faschistoiden Merkmalen zum Triumph verholfen.