Hier wird Luther reichlich idealisiert: Er begehrte zwar gegen Papst und Kaiser auf, seine Lehre konnte sich letztendlich aber nur durchsetzen, weil die deutschen Fürsten (mit den Enteignungen des Kirchenbesitzes durchaus zu ihrem eignenen Vorteil) in ihren Ländern die Reformation einführten: Cuis regio, eius religio. Ob das für die Untertanen die “Freiheit eines Christenmenschen” bedeutet hat, kann bezweifelt werden. Das Luthertum war von Anfang an Staatskirchentum, in den skandinavischen Ländern offiziell bis ins 20. Jahrhundert hinein; in Deutschland zumindest de facto, siehe “Kulturkampf”, und nie gegen die Obrigkeit, siehe “Deutsche Christen”. Die Political Correctness der heutigen Amtskirche reiht sich da nahtlos ein. Luther hätte auch dafür sprachmächtige Rechtfertigungen gefunden - er war nicht das freie Individuum, das nur Gott und seinem Gewissen verantwortlich ist, sondern ein angstbesetzter Charakter, der Sicherheit suchte. Insofern typisch deutsch, und er gehört zu Deutschland.
„Europa entstand…vor allem aus dem Geist des Christentums, denn aus dem Geist des Christentums, insbesondere der Trinität, erwuchsen die Aufklärung, die Idee der Menschenrechte, die modernen Wissenschaften und die großen technischen und zivilisatorischen Erfolge… Europa wird christlich sein, oder es wird nicht sein. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass alle Europäer Christen zu sein haben…sondern das verweist allein…auf christliche Grundlage und Identität unserer bürgerlichen Werte. Vergisst Europa diese, vergisst es sich selbst.“ Wer so formuliert, hat sich nie mit der antiken Kultur beschäftigt, weiß nichts vom Transfer der arabischen Kultur nach Mitteleuropa im 12. und 13. Jahrhundert, und hat wenig Ahnung von der Aufklärung, deren Denker nahezu alle politischer Werte heutiger Zeit formulierten. Ein wenig mehr Tiefgang darf man schon erwarten.
Dass nun „insbesondere (aus) der Trinität die Aufklärung erwuchs“, wie Herr Mai behauptet, ist kaum zu „glauben“! Oder gilt der Satz nicht mehr: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Die Achse tut wahrlich gut daran, Texte zum Thema Reformation zu wiederholen. Dem prononcierten Text von Vera Lengsfeld ist nichts hinzuzufügen, und die Verweise auf Klaus Rüdiger Mais ” Gehört Luther zu Deutschland ? ” sind mehr als berechtigt. - Wenn es gestattet ist erlaube ich mir noch eine Empfehlung: Heimo Schwilks “Luther: Der Zorn Gottes - Biografie” . Hier stehen Lebensweg und Glaube im Vordergrund. Schwilk macht zu Recht Front gegen die “weichgespülte” Luther - Version von Käßmann & Co. Und er rückt das Gottesbild im Sinne Luthers zurecht, indem er Gottes Gnade, die Erlösung und Gott selbst als Mysterium darstellt, das durchaus auch die Gottesfurcht einschließt.
Gehört Luther zu Deutschland? Ja, aber möglicherweise nicht mehr sehr lange. Die Ev. Kirche tut derzeit alles, um dem religiös motivierten islamischen Totalitarismus die Tore der ‚feste Burg‘ zu öffnen. So ist es nicht mal ausgeschlossen, daß sie eines Tages zusammen mit den land- und eigentumnehmenden Neusiedlern aus dem Orient Deutschland abermals in ein Chaos stürzen könnte, das dem 30jährigen Krieg sehr ähnlich sähe. Politisierende Theologen und Glaubenseiferer waren schon immer (und sind es bis heute) ein großes Unglück für jeglichen Landfrieden.
Sehr geehrte Frau Lengsfeld, Dieses mal muss ich vehement widersprechen. Europa ist nicht wegen, Stunden trotz des Christentums zu dem geworden, was wir heute alle schätzen. Es waren - und sind - Dogmatismus, Engstirnigkeit und angebliche Unfehlbarkeit der eigenen Ideen schon immer die Feinde der Freiheit und gleichzeitig die bestimmenden Merkmale aller monotheistischen Religionen. Keine andere Idee neben sich zu dulden hat den Fortschritt verhindert. Die wurde erst durch die Entmachtung der KircheN in der Aufklärung in Europa zum Motor von Wissenschaft und Verbesserung. Wir sind deshalb weiter entwickelt, weil wir andere Ideen tolerieren, und das tun wir erst seit die Kirche nicht mehr die komplette Macht hat. In einer besseren Welt gibt es nicht mehr, Stunden weniger Religion in der Öffentlichkeit, den Religion sollte meiner Meinung nach Privatsache sein. Sie haben allerdings Recht, dass andere Religionen das noch weniger können als das Christentum. Wir sollten alle gemeinsam für eine Welt ohne lähmende Dogmen und rückständige Allmachtsphantasien kämpfen, ob nun von Gotteskriegern, Ökoperfektionisten oder (Inter)-nationalsozialisten.
Alles Martin oder was? Natürlich gehört Luther zu Deutschland. Schauen Sie mal, sehr geehrte Frau Lengsfeld, was heute dazu auf T-Online steht: “Prolog: Das Jubiläumsjahr überrascht mit Luther-Tomaten (besonders bissfest), Martin Luther als Playmobilfigur (die sich besser verkauft als Darth Vader, ironischerweise die dunkle Seite der Macht) und Luther-Socken (für besonders Standhafte). Nur Luther-Kondome mit der Aufschrift „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ waren der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dann doch zu viel. Immerhin gibt es am Dienstag einen eigenen Feiertag zu Ehren der Reformation. Erstaunliches also ist geschehen, in einem Land, in dem das christliche Abendland neuerdings gern bemüht wird, die Religion laut Kirchenmitgliedschaft aber auf dem Rückzug ist.” Und noch mehr lesenswertes. Besser kann man über Luther nicht schreiben. Luthers Freiheit war aber keine Freiheit für Atheisten oder die Anhänger anderer Gottheiten. Auch Sie müssen irgendwann noch einsehen, dass Freiheit Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bedeutet, nicht etwa Denk- oder Meinungsfreiheit. Was insofern viel mit klassischer Thermodynamik zu tun hat. Es tut mir leid, mit Ihren Freiheitssätzen kann ich nicht anfangen. Mit Luther schon.
Luther hielt seine Sicht der Freiheit aber auch für alternativlos. Das kam nicht nur in seinem Antisemitismus zum Ausdruck. Er wollte der einzige, der größte Reformator sein. Sonst hätte er das, was er tatsächlich wurde, nämlich Spalter des Christentums bis in unzählige Denominationen, gebilligt. Er ist ein Urtyp der Selbstberufung. Und da, wo es ihm half, war auch er unterwürfig gegenüber Fürsten. Sein Absegnen hochherrschaftlicher Bigamie ist eine Metapher für die Reformation als geistlichem Ehebruch. Die Entstehung des modernen Europa beruht nicht auf der sogenannten Reformation, sondern (unter anderem) auf der Reibung an ihr. Aus Frankreich, Italien und anderen vorwiegend katholischen Regionen kamen bekanntlich ebenfalls wichtige Anstöße.
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