Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 03.04.2008 / 14:27 / / Seite ausdrucken

Gehirnakrobaten

Lieber Leser, machen Sie bitte mit bei einem kleinen Experiment: Berühren Sie mit Ihren Zeigefingern ganz sanft Ihre Stirn, und zwar genau zwischen den Augen und dem Haaransatz. Merken Sie es schon? Jetzt beginnt nämlich positive Energie durch Ihren Körper zu fließen. Vom Hypothalamus zum vorderen Teil des Gehirns, genau da, wo das rationale Denken stattfindet.

Hat es schon gewirkt? Prima, dann machen wir gleich die nächste Übung hinterher. Diesmal massieren Sie bitte mit einer Hand die Stellen neben Ihrem Brustbein, während die andere Hand um Ihren Bauchnabel kreist. Ja, das tut gut. Sie fühlen es, wie sich Ihre rechte und Ihre linke Gehirnhälfte miteinander verbinden. Sauerstoff durchströmt Ihr Gehirn, das nun auch besser mit Blut versorgt wird. Außerdem wandert elektromagnetische Energie durch Ihren Körper.

So, fühlen Sie sich jetzt entspannt? Oder doch eher auf den Arm genommen? Was Sie gerade versucht haben, das ist eine neue Trendgymnastik, die von Amerika aus ihren Siegeszug angetreten und gerade Großbritannien erreicht hat. Der Name des Programms: Brain Gym.

Mit Brain Gym, so behaupten jedenfalls seine Erfinder, soll man durch ein paar kleinere Bewegungen positive Energie freisetzen können, das Gehirn besser durchbluten, Konzentrationsstörungen abbauen, das Nervensystem anregen und vieles mehr. Zwar gibt es dafür überhaupt keine wissenschaftlichen Beweise, aber das hält die Gehirngymnastiker nicht davon ab, ihre (teuren) Kurse als neue Wundermedizin anzupreisen. Inzwischen wird Brain Gym an Dutzenden britischen Schulen eingesetzt, wo Lehrer mit ihren Schülern die Brain Gym-Übungen im Unterricht absolvieren.

Die Wissenschaftsinitiative Sense About Science hat die Behauptungen der Brain Gym-Bewegung einmal der Reihe nach überprüft und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht nur nicht belegt, sondern teilweise schlicht unwahr sind. Den Schulkindern wird von ihren Lehrern eine neue Pseudowissenschaft vermittelt, die ihnen eine vollkommen falsche Vorstellung davon gibt, wie der menschliche Körper funktioniert. Und ganz nebenbei werden nicht unerhebliche Summen für diese Brain Gym-Übungen ausgegeben, die den Schulen an anderer Stelle fehlen. Britische Wissenschaftler sind jedenfalls entsetzt, dass ausgerechnet an den Schulen des Landes ein neuer Aberglaube um sich greift.

Aber sie sollten sich nicht weiter aufregen. Wenn sie den kleinen Finger der rechten Hand in ihrem Bauchnabel drehen und sich mit der linken Hand mehrfach sachte auf den Hinterkopf schlagen, dann wird bestimmt alles wieder gut. Spüren Sie auch die Entspannung, die sich von ihrer Gallenblase her ausbreitet?

 

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