Volker Seitz / 03.04.2018 / 06:20 / Foto: Nacho Anazawa / 6 / Seite ausdrucken

Gefälschte Medikamente töten viele tausende Afrikaner

Medikamentenfälschung ist eine immense Gefahr. Für viele Afrikaner sind Medikamente unerschwinglich. Deshalb greifen sie auf billige, oft gefälschte und deshalb gefährliche Arzneien zurück. Tagtäglich werden Unmengen gefälschter Medikamente durch Afrikas Häfen geschleust. Jedes Jahr sterben tausende Menschen an gefälschten Medikamenten, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Dahinter steckt viel kriminelle Energie. Wer Medikamente bei Straßenhändlern kauft, kann davon ausgehen, Fälschungen zu erwerben. Fälscher haben leichtes Spiel. Ihre Kundschaft ist groß und leichtgläubig. „Apotheker ohne Grenzen“ berichtete auf seiner Homepage, in Tansania seien im Straßenhandel Schmerzmittel als Malariamedikamente umetikettiert und teuer verkauft worden.

Es gibt kaum Überwachungssysteme und Strafverfolgung durch die Behörden. Lebenswichtige Medikamente gegen Malaria, Krebs und HIV und auch Antibiotika werden in Afrika nach wie vor am häufigsten gefälscht. In vielen Fällen enthalten gefälschte Medikamente keinen Wirkstoff – oder die Zusammensetzungen weichen vom Original ab. Medikamentenfälscher verdienen mit ihren Mitteln oft mehr Geld als Drogenhändler. Laut WHO mehr als 60 Milliarden Euro pro Jahr. Durch mangelhafte Hygiene in den Produktionsanlagen (meist in China, Nigeria und Indien) können Bakterien oder Reste anderer Wirkstoffe, die zuvor in der Anlage produziert wurden, in ein Medikament gelangen. Bei Antibiotika werden Bakterien resistent und verbreiten sich schnell.

Gefährlich sind aber nicht nur verunreinigte Arzneimittel oder solche mit gefährlichen Zusätzen. Ein mindestens so großes Problem ist die falsche Dosis. Der Basler Medizinprofessor Andreas Widmer spricht von „mafiösen Machenschaften“ im Zusammenhang mit Medikamentenfälschungen. Seine Forschungen deuten darauf hin, dass in Tansania multiresistente Erreger sehr häufig sind. Auf der chinesischen Internetplattform Alibaba gibt es Antibiotika schon ab 70 Dollar für 25 kg. In Nigeria sollen bis zu 60 Prozent der Medikamente den falschen, gar keinen oder die falsche Menge Wirkstoff enthalten. Die Fälscher nehmen skrupellos in Kauf, Gesundheit und Leben der Patienten zu gefährden. Eine weitere Gruppe mangelhafter Arzneimittel geht auf schlechte Lagerung zurück. Schätzungen zufolge sterben bis zu eine Million Menschen jedes Jahr an gefälschten und gepanschten Medikamenten. 

Jede dritte Tablette ist gefährlich

Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie nimmt das Thema in ihrem Erzählband „Heimsuchungen“ (S. Fischer 2009, S. 96) auf: „Vielleicht hatte Ikenna gehört, wie Ebere im Krankenhaus gelegen hatte und immer schwächer geworden war, wie der Arzt sich gewundert hatte, wieso sie sich nach der Verabreichung von Medikamenten nicht erholte, wie verzweifelt ich gewesen war, wie keiner von uns wusste, dass die Medikamente nutzlos waren, bis es zu spät war.“ 

42 Prozent der Medikamente im subsaharischen Afrika gelten als gefälscht. Das heißt, dass beispielsweise jede dritte Tablette entweder wirkungslos oder sogar gefährlich ist. Nirgendwo sonst ist das Problem so gravierend. In Asien und Russland geht man von einem Anteil von 10 bis 20 Prozent gefälschter Medikamente aus, in Nordamerika und Europa von 1 Prozent. „Das sind grobe Schätzungen, die auf den Funden von Zoll und Polizei beruhen“, schreibt David Signer am 21.10.2017, Neue Züricher Zeitung Online. Seit 2013 beobachtet die WHO gezielt Fälle von gefälschten Medikamenten und warnt die Staaten. Selten werden die Warnungen so ernst genommen wie im westafrikanischen Benin. Am 13. März 2018 wurden in Cotonou sieben Pharmagroßhändler wegen 94 Tonnen gefälschter Medikamente zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Um Fälschungen rascher und effizienter auf die Spur zu kommen, arbeiten Pharmazeuten von der Universität Würzburg mit dem Missionsärztlichen Institut Würzburg, dem Deutschen Institut für ärztliche Mission (Difäm. Tübingen) zusammen. Sie haben ein tragbares Labor entwickelt. Dieses „Minilab“ zeigt aber nur an, ob der richtige Wirkstoff in einem Medikament steckt. Es kann nicht getestet werden, ob er auch in ausreichender Menge enthalten ist. Diözesan- und Krankenhausapotheken in Ghana, Kamerun und Nigeria nutzen die Minilabs, um gefälschte Medikamente zu entdecken. Mit Unterstützung der Bill and Melinda Gates Foundation und der London School of Hygiene and Tropical Medicine helfen Minilabs bei der Malariabekämpfung in Tansania. 

In vielen Fällen bleibt die Kriminalität unentdeckt. Der Kampf gegen Fälscher sei schwierig – vor allem, weil viele Behörden kaum in der Lage seien, einzugreifen. Schmuggler in Afrika kämen meist milde davon. „Die Gerichte verhängen oft lächerliche Strafen, weil sich das Gesetz auf den Verstoß gegen intellektuelles Eigentum bezieht, anstatt auf die gesundheitliche Gefährdung durch den Schmuggel“, meint Ana Hinojosa von der Weltzollunion (WZO). Interpol hat 2013 mit finanzieller Unterstützung der 29 größten Pharmafirmen weltweit ein Programm gegen Kriminalität in der Pharmazie gestartet. Mit den 4,5 Millionen Euro sollen unter anderem lokale Ermittler trainiert werden. Letztlich helfen aber gegen die Fälschungen nur mehr Investitionen in die Gesundheitssysteme und eine funktionierende und korruptionsfreie Arzneimittelaufsicht, die mit Zoll, Polizei und Ärzten zusammenarbeitet. Nur so kann der Sumpf der Arzneimittelfälschungen trockengelegt werden.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Nacho Anazawa via Wikimedia Commons

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Karla Kuhn / 03.04.2018

WOHER kommen denn diese Medikamente ?  Wenn es so ist, wie Sie schreiben, WARUM wird weltweit nichts dagegen unternommen ? Kann es sein, daß es ein sehr lukrativer Markt ist ? Übrigens, nicht nur in Afrika sondern weltweit tauchen immer wieder gefälschte Medikamente auf. Ich schließe mich auch dem Leserbrief von Herrn Eduard an, der es genau auf den Punkt bringt. Warum müssen wir uns immer und immer wieder um Afrika kümmern ?? Können die Menschen dort nicht ohne Nanny leben ?? Ich glaube , daß sie sehr gut imstande sind dazu. Aber bereute Hilfe scheint lukrativer zu sein.  Fangen wir doch endlich mal im eigenen Lande an, da gibt es bis zum Sankt Nimmerleinstag genug zu tun !!

Tatjana Meisinger / 03.04.2018

Leider ist die Pharma-Idustrie mit ihrer Lobby eine der stärksten der Welt. So ist der Kampf dagegen mit dem gegen die Windmühlen vergleichbar. Die Waffen-Lobby ist ihr williger Lieferant (die Waffen - ja ganz besonders die irakischen Massenvernichtungswaffen (Sarkasmus aus) - liefern den Bedarf). Also dagegen anzukämpfen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Umso mehr weiß ich zu schätzen, dass es dennoch Menschen gibt, die sich diesem Kampf verschrieben haben. Können wir, einfache Otto-Normalverbraucher, in irgend einer Weise diesen Kampf unterstützen? Ohne möglichst der Pharma-Industrie in die Hände zu spielen? Denn ich habe nämlich ein Beispiel aus Russland: die Menschen, die sich an den Fälschungen die Finger und sonstige lebenswichtige Organe “verbrannt” haben, sind bereit Unsummen für echte Medikamente zu zahlen (egal, ob sie dafür die Wohnung, eine Niere oder ihren Nächsten verkaufen). Diese Menschen zahlen sich dumm und dämlich für die “sauberen” Medikamente und/oder geraten zum gößten Teil an noch fiesere Ars…... Händler. Alles die Frage des Geldes. Solange sich damit so viel Geld verdienen lässt (der Waffenlobby sei Dank ist die Quelle der Kranken unerschöpflich), sehe ich KEINE Möglichkeit es zu bekämpfen. Die Sterbehilfe - bzw. die Abwesenheit dieser -  ist auch ein (weit entfernter) Arm davon. Daher wird sie auch nie in Deutschland legalisiert. Für die Pharma-Industrie ist es eben besser, so ein “Zuccini” vom Menschen mit Hilfe vom teuren “Dünger” am Leben zu erhalten, als eine Seele ziehen zu lassen. Ich - für mich ganz persönlich - würde mir wünschen, dass falls ich in den Zustand des akuten “echten” Medikamentenmangels komme (altersbedingt ist es noch nicht soweit), ich doch noch die Wahl habe, dies zum Wohle meiner Verwandten aus freien Stücken und würdevoll zu beenden. Und nicht wie ein Stück Gemüse an den Schläuchen weiter gezüchtet werde.

U. Unger / 03.04.2018

Herr Seitz, bisher fand ich alle Artikel höchst einleuchtend, stringent geschrieben. Hier fehlt mir die bei Ihnen erwartete echte Schlussfolgerung. Wie abgesichert ist die Herkunft der Medikamente? Nicht auch möglicherweise Türkei, wie Sportartikel? Gibt es nicht ausreichend Entwicklungshelfer mit Arzneikenntnissen? Muß die Groko helfen? Ist in Afrika der Bildungsstand gefallen? Sind Sie, wie schon von Kommentatoren angemerkt, auf eine Kampagne der erwähnten Organisationen oder Pharmaindustrie eingestiegen? Bitte bleiben Sie am Thema, damit ich wieder von Ihren reichhaltigen Erfahrungen profitiere. Nach Ihren Analysen bisher, nehme ich an, dass auch Afrikaner und Ihre Regierungen beteiligt sind. @ Karl Eduard, ich sehe es ähnlich, als Problem, dass eigenverantwortlich angegangen werden sollte. Die geleitete Entwicklungshilfe ist fehlgeleitet.

Karl Eduard / 03.04.2018

In Deutschland nennen sich die gefälschten Medikamente Globuli und sie sind in jeder Apotheke erhältlich.  Und es ist ein lukratives Geschäft. Bei aller gewünschten Betroffenheit, die dieser Artikel hervorrufen soll, muß ich leider kritisieren, daß er ein gewisses rassistisches Geschmäckle hat. So, als wäre Afrika nicht in der Lage, sich um Afrika zu kümmern. Wie jemand, der den weißen Mann benötigt, der ihn an die Hand nimmt und ihm sagt, was er tun und lassen soll. Ich weiß auch gar nicht, wie hat Europa es eigentlich geschafft, nach dem ersten Dreißigjährigen Krieg, wieder auf die Beine zu kommen, ohne gütige Mary Poppins. Sollten wir das anderen Kontinenten nicht auch zugestehen? Und warum gerade wieder Afrika und nicht Asien? Die armen Chinesen kurieren sich immer noch mit ulkigen Pülverchen aus Tiegerhoden und haben Mao und Millionen Tote überlebt, die Japaner sind sogar nach 2 Atombomenabwürfen und diversen Tsunamies fitter als wir. Es liest sich ja fast so, als würde Afrika als minderintelligent angesehen und bräuchte betreutes Wohnen und Leben.

K. Gebauer / 03.04.2018

Bei uns nennt man das dann Homöopathie :-D

Albert Pflüger / 03.04.2018

Das Problem ist sicher echt. Allerdings kann man den Zahlen der WHO nicht trauen. Die befleißigt sich sehr merkwürdiger statistischer Methoden, auch die 10000 Dieseltoten sind auf ihrem Mist gewachsen, und da werden mit manipulierten Zahlen gern undurchsichtige Ziele verfolgt.

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