Zugegeben, es ist meist langweilig, Bill Gates zuzuhören, einem Mann mit zu viel Zeit, zu viel Geld und zu viel Sendungsbewusstsein. Dass er sich nun nach der Weltimpfung dem Weltklima rettend zuwenden will, bereitet mir auch einige Sorgen. Und nicht nur mir griesgrämigem Weltklimarettungsskeptiker. Wie ein Fuchs, der in den Hühnerstall gefahren ist, hat Gates nämlich eine ketzerische Idee verbreitet, über die unsere EEG-gemästeten Energiewender nun schnell eine dicke Decke gönnerhafter Korrekturen werfen müssen. Gates glaubt nämlich daran und erzählt nun uns, das Klima lasse sich mit Hilfe der Kernkraft retten. How dare you!
„Mythos Atomkraft: Bill Gates irrt gleich fünffach“* titelt das Handelsblatt, und die Autoren Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen möchten Gates’ Idee, im Kampf gegen den Klimawandel auch auf Atomenergie zu setzen, gleich zurück in „die Mottenkiste” befördern. Die von ihrer eigenen Bedeutung ergriffene „Energieökonomin“ Kemfert ist bei solchen Manövern eine bewährte Allzweckwaffe und stets zur Stelle. Gehen wir also gleich in die Beweisstücke des Kemfertschen Faktenchecks und machen mit spitzer Feder Löcher ins schöne Framing der „fünf Irrtümer”.
Irrtum 1
„Atomenergie ist zwar CO2-ärmer als fossile Energien, aber keineswegs CO2-frei. Bei der Produktion der Kraftwerke, beim Abbau von Uran, beim jahrelangen Rückbau der Anlagen entstehen in erheblichem Umfang Treibhausgase.“
Es gibt leider überhaupt keine CO2-freien Prozesse in der Energiewirtschaft, auch bei Sonne, Wind und Wasser nicht. Gräbt man nur tief genug, findet man immer etwas. Und bei Kemferts „Erneuerbaren“ müssen wir nicht mal tief graben. Bis zum Betonfundament der Windräder würde schon genügen oder wir schauen auf die Erzeugung des benötigten Kupfers, Stahls, GFK, die Herstellungsprozesse der Solarzellen aus China und den Transport von dort nach Europa. Auch wäre da der Abbau von Kobalt und Neodym oder der Dieselkraftstoff, den die Fahrzeuge der Wartungstechniker verbrennen oder die Glykolbäder zur Abtauung vereister Windkraftanlagen. Der Erntefaktor der Windkraft und der Photovoltaik ist so mies, wie der Flächenverbrauch hoch ist. Vom Rückbau und der Entsorgung gar nicht zu reden. Die vielgelobte Energiewende hat die CO2-Bilanz Deutschlands be-, nicht entlastet.
Faktenchecker-Checker-Urteil: Faktenfreies Ablenkungsmanöver!
Irrtum 2
„Die vermeintlich größte Stärke der Atomkraftwerke liegt in ihrem 'Grundlast'-Beitrag. Das klingt nach nützlicher Ergänzung im Energiemix, weil erneuerbare Energien in der Stromproduktion schwanken. Doch Atomkraft ist selbst eine Energiequelle mit großen Ausschlägen, nicht nur durch Unfälle, sondern auch wegen vielfältiger Ausfallzeiten im 'Normalbetrieb'. Es gibt auch schon ausreichend Flexibilitätsoptionen für eine sichere Stromversorgung. Wer Digitalisierung und Klimaschutz zusammendenkt, kombiniert Energie- und Lastmanagement, flexible Nachfrage und mittelfristig Stromspeicher, die in kürzester Zeit Schwankungen ausgleichen. Erneuerbare Energien sind flexible Teamplayer.“
Die „vielfältigen Ausfallzeiten“ rühren nicht von den „Unfällen“ her, sondern sind Folge planmäßiger, Revision genannter Wartungsarbeiten. Findet jährlich statt, ist extrem gründlich und gehört zum Sicherheitskonzept und damit zur Betriebsgenehmigung. Im Gegensatz zu Sonne und Wind sind Revisionen gut planbar, insbesondere werden sie mit den Netzbetreibern abgestimmt. Die Ausfallzeiten sind zudem sehr kurz, und im Gegensatz zur Sonne und Wind laufen die Kernkraftwerke ansonsten bei Tag, Nacht, Sonnenschein und Flaute.
Kemfert und Hirschhausen versuchen, Sorgfalt auf die Ebene des Chaos zu ziehen, auf der sich ihre Windräder drehen und durch Vokabeln wie „Unfall“ Bilder von Fukushima in den Köpfen zu erzeugen. Der Rest ist inhaltsloses, poröses Politgebimmel mit leeren Floskeln. Nur bei „flexible Nachfrage“ sollte man hellhörig werden. Hier sind nämlich Sie gemeint, liebe Leser. Sie mit ihrem Wasserkocher, ihrem Tesla, ihrer Waschmaschine. Das Gegenstück zu den „flexiblen Teamplayern“ sind die Verbraucher. Motto: Räder müssen auch mal stillstehen für den Sieg.
Faktenchecker-Checker-Urteil: Fake-News, Framing und Verharmlosung.
Irrtum 3
„Atomenergie taugt nicht als Friedenstechnologie. Im Gegenteil. Die Technik ist seit 80 Jahren vor allem aus militärischen Motiven wichtig, ob im Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg oder im Iran und in Nordkorea heute. Auch die angeblich neue Technik der von Gates propagierten Reaktoren stammt aus den Anfängen militärischer Entwicklungen der Nachkriegszeit. Die redlichen Bemühungen internationaler Abkommen, das Problem der Atomwaffen zu minimieren, würden durch zusätzliche Atomkraftwerke konterkariert.“
Die Entwicklung der Photovoltaik stammt nicht zuletzt aus militärischen Satelliten-Programmen. Doch kein Stäubchen des Zweifels schafft es in diesem Fall auf die Argumente, denn die sind ja so sauber! Es spielt aber keine Rolle, ob die Kernenergie vor 80 Jahren militärisch begann, die Frage ist, ob sie heute noch dort steht, wo Kemfert sie hinschieben möchte. Neue Kraftwerkstypen mit passiver Sicherheit und mit schnellen statt langsamen Neutronen hätten zudem gänzlich andere Zerfallsketten und eigneten sich überhaupt nicht für die Anreicherung zum Zweck der Waffenproduktion.
Die Technologie ist da, wir setzten sie nur nicht ein, weil wir auf Panikmacher, Angstverbreiter und EEG-Profiteure wie Kemfert hören. Das Bild, welches Kemfert und Hirschhausen von der Kernenergie zeichnen, hat mit der Realität etwa so viel zu tun wie die Windmühlen mit modernen Windkraftanlagen.
Faktenchecker-Checker-Urteil: Ablenkungsmanöver! Gates spricht von Kernenergie und Kemfert versteht „Atombomben”. Über die Zeitbombe EEG am Fundament der Industrie spricht sie lieber nicht.
Irrtum 4
„Auch die von Gates‘ Unternehmen TerraPower propagierten Reaktorkonzepte sind nicht frei von Gefahren. Sie verwenden die Technologie des Schnellen Brüters, die von fast allen Ländern, die damit experimentierten, inzwischen aufgegeben wurde. Der Laufwellenreaktor benötigt Werkstoffe und Kühlmittel, die bis heute nicht kommerziell verfügbar sind. Und auch die Mini-Reaktoren müssen irgendwann aufwendig zurückgebaut werden.“
Wie hinterhältig! Die Argumentation befindet sich hier etwa auf dem Niveau, auf welchem Greenpeace gern Pirouetten dreht: Der genetisch veränderte „Golden Rice“ hätte den Vitaminmangel in Asien nicht beheben können, sagte Greenpeace. Dabei war es der Einfluss von Greenpeace, der dessen Anbau verhinderte. Wir sind in den 1980er Jahren de facto aus der Atomenergie, der Forschung und der technischen Umsetzung in Kraftwerken ausgestiegen. Das akkumulierte Wissen ist mangels Perspektive längst abgewandert und weitergezogen. Auf Druck einer uninformierten und in Panik versetzten Öffentlichkeit und einer gewissen grünen Partei.
Der „schnelle Brüter“ wird gebaut, nur eben nicht in Deutschland. Im Kühlturm von Kalkar dreht sich nun ein zukunftssicheres Kettenkarussell, während China und Russland in Kraftwerken neuerer Generation den „Abfall“ aus den Druck- und Siedewasserreaktoren der 1960er und 70er Jahre bald zur Energiegewinnung nutzen werden. Hat man statt einer Millionen Jahre gefährlichem Strahlungsmüll am Ende nur noch ein paar hundert Jahre lange Zerfallsketten vor sich, erscheinen auch Endlagerung und Rückbau älterer Anlagen gar nicht mehr so undurchführbar.
Faktenchecker-Checker-Urteil: unwissenschaftlicher, politisch motivierter Skeptizismus.
Irrtum 5
„Die Kosten von Kleinreaktoren sind nicht niedriger, sondern höher. Deswegen hat man einst begonnen, große statt kleine Reaktoren zu bauen. Nur mit Subventionen oder staatlichen Geldern können Reaktoren gebaut werden. Bisher sind alle Atom-Start-ups nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwunden – aus immer denselben Gründen: Risiko, Müll und Kosten. In den Zeiträumen, die für Klimaschutz besonders wichtig sind, den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten, sind die von Gates verfolgten Konzepte irrelevant. Was zählt, ist die konsequente Umsetzung der Energiewende als komplexes Gemeinschaftswerk. Im Zusammenspiel liefern die erneuerbaren Energien all das, was Gates erreichen will: Versorgungssicherheit, Dezentralität, Klimaschutz und Frieden. Sie sind deutlich weniger risikobehaftet, preiswerter und bereits heute einsatzfähig. Nutzen wir einfach konsequent, was wir schon haben!“
Echt jetzt? Subventionsneid? Da neidet der Säufer dem Junkie den Joint. In Sachen Subventionen würde ich ja anstelle der Wind- und Sonnenanbeter im Strompreisweltmeisterland den Ball ganz flach halten. Und über Kernkraft-Start-Ups wollen wir im Land der bankrotten Solarzellenproduktion auch lieber nicht reden. Zudem hat der Ausstieg aus der Kernenergie jede Innovation auf diesem Gebiet aus dem Land und seinen Universitäten vergrault. Hier wächst also nichts mehr, was auch nur ansatzweise ein Start-Up werden könnte.
Von all den unterstellten tollen Eigenschaften besitzen die „Erneuerbaren“ nur eines: Dezentralität. Sie verringern jedoch die Versorgungssicherheit, dienen nicht dem Klimaschutz und sorgen langfristig auch nicht für Frieden, weil sie durch Volatilität und Knappheit eher zu Verteilungskämpfen und wegen verschiedener knapper Ressourcen zu deren Herstellung zu Unruhen in den Ländern führen werden, wo Kobalt, Lithium und Neodym aus der Erde geholt werden. Über zahlreiche der ergiebigsten Vorkommen hat zudem China die Kontrolle.
Faktenchecker-Checker-Urteil: Lügen, Märchen und Verdrehungen.
Warum gerade jetzt Atomkraft zurückbauen?
Niemand behauptet, dass die Kernkraft eine risikolose Technologie ist. Wir sollten aber nicht auf die Versprechungen hereinfallen, die Energiewende sei risikolos und in ihrer aktuellen Form sogar alternativlos. In Kemferts Argumentation klafft, wenn man die Lage so betrachtet, wie sie sie immer darstellt, zudem eine riesige Logik-Lücke:
Wenn der Klimawandel tatsächlich eine Aufgabe gerade der nächsten Dekaden sein sollte, wie Kemfert behauptet, sollte die Menschheit dann nicht zunächst dieses Problem lösen? Und zwar mit den Mitteln, die sie jetzt gerade verlässlich zur Verfügung hat? Warum gerade jetzt mit dem Rückbau der letzten, gut funktionierenden und CO2-neutral zu betreibenden Kernkraftwerke beginnen, wenn wir doch bereits unter „Irrtum 1“ erfahren mussten, wie CO2-lastig das wäre? Drei der sechs letzten verbliebenen Kernkraftwerke Deutschlands sollen in diesem Jahr noch vom Netz gehen. Die Hälfte der verbliebenen Kapazität. Man kann 4 GW verlässliche Energie nicht durch leere Phrasen ersetzen.
* Falls der Link nicht funktionieren sollte, hier gibt es den Artikel im Web-Archiv.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.