Es geschieht beim Baumblütenfest in Werder. Oder beim Stimmen Festival in Lörrach. Beim Auftritt von Udo Lindenberg in Düsseldorf. Bei der Street Parade in Zürich: Wegen Terrorgefahr werden bei Festivals und Konzerten Sicherheitskonzepte angepasst. Betonblöcke, Leibesvisitationen, intensive Taschenkontrollen, Polizisten vor Ort. Eine Regelung, die scheinbar auch zur Sicherheit beitragen soll, ist besonders interessant: Kostüme dürfen an einem Gamer-Event nicht zu freizügig sein.
In Köln findet im August die "Gamescom" statt, mit 345.000 Besuchern die weltweit grösste Messe für Video- und Computerspiele. Die "Gamescom" ist für Videospiel-Freaks so etwas wie die "Tendence" für Freunde von perfekten Dampfkochtöpfen: Da treffen sich Gleichgesinnte, man kann entdecken, ausprobieren, philosophieren. Es gibt dort auch Gratis-Kugelschreiber zum Mitnehmen. Die "Gamescom" lebt vor allem auch von den Cosplayern – als Gamefigur oder Manga verkleidete Besucher. Vereint in ihrer Fantasy-Nostalgie bieten sie eine einzigartige Show, eine bunte Mischung aus Fantasy Girl, Wonderwoman, Spiderman, Ork und vielen anderen reizvollen Gestalten.
Nun hat die Gamescom die Richtlinien zu den Kostümen überarbeitet, im Katalog 2017 heisst es unter anderem, Stachel bei Armbändern müssen stumpf sein, Dekoschwerter sind nicht erlaubt, zu freizügige Kostüme auch nicht: "Oberkörper, Intimbereich und Gesäss müssen mit ausreichend Kleidung bedeckt sein." Gemäss den Veranstaltern sei Letzteres keine Änderung gegenüber dem Vorjahr. Die Massnahmen sind Teil der 2016 gestarteten Sicherheitsoffensive. Laut der Website "pcgameshardware.de" geht es nicht nur darum, dass die Kostüme und Ausrüstung verletzen können, man will auch die Terrorgefahr möglichst klein halten.
Jungen Leuten wird der Stoffanteil ihrer Kostüme vorgeschrieben
Ich bin ja keine Sicherheitsexpertin. Aber wäre es bezüglich Kleidung nicht sinnvoller, die Leute kämen so freizügig wie möglich? Je weniger Kleidung sie tragen, desto weniger können sie gefährliche Gegenstände aufs Gelände schmuggeln. Vor allem aber erschliesst sich mir der Zusammenhang zwischen freizügigen Outfits und Terrorgefahr nicht sofort. Zuerst ging ich davon aus, dass die Bestimmung wegen der jüngeren Besucher gilt, denen der Anblick von zu viel nackter Haut offenbar nicht zugemutet werden kann. Fotos aber von früheren "Gamescom"-Ausgaben lassen eindeutig keine Freizügigkeits-Regeln erkennen – Damen führen pralle Dekolletees vor, Hotpants und Bikini, die mehr zeigen als verdecken; die typische Lara Croft trägt nun mal keine Burka und auch keinen Habit.
Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass die Freizügigkeits-Richtlinien im Kontext stehen zu dem relativ neuen Phänomen der Islamistenbedrohung bei westlichen Grossanlässen, die ja bekanntlich allem, was wir lustig finden, nicht ganz sachlich gesonnen sind, darunter fallen auch Videospiele und sexy Outfits. Eine doppelte Provokation, die man vielleicht durch ein Verbot von Letzterem verringern möchte (wobei ja schon unsere reine Existenz eine Reizung für sie darstellt).
Weil ich es für sozial nicht sehr ergiebig halte, jungen Leuten an einem Rollen- und Computerspiel-Festival im 21. Jahrhundert den Stoffanteil ihrer Kostüme vorzuschreiben, und falls die Veranstalter damit tatsächlich die Terrorgefahr geringer halten wollen, habe ich einen besseren Vorschlag: Man sollte die "Gamescom" einfach auf das Austragungsdatum der "Venus" legen. Findet sie nämlich zur selben Zeit wie die Erotikmesse statt, greift wegen der Freizügigkeit garantiert keiner die Gamer Community an.
Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin bei der Basler Zeitung, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen. Man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter.