Thilo Schneider / 18.01.2020 / 06:01 / Foto: kremlin.ru / 68 / Seite ausdrucken

Gaddafis Schatten in Berlin

Die Friedenskonferenz für ein Ende des Bürgerkriegs – oder wenigstens einen Waffenstillstand – in Moskau ist kürzlich geplatzt. General Khalifa Haftar ist abgereist, ohne ein entsprechendes Abkommen mit seinem Gegenspieler, dem als „international anerkannten“ adjektivierten Fayez Al-Serrajs unterzeichnet zu haben. Der nächste Anlauf für ein paar Tage Atempause von Kriegsverbrechen, Gräueln und Gemetzeln wird nun ausgerechnet dieses Wochenende in Berlin und ausgerechnet mit Heiko Maas als Gastgeber stattfinden. 

Für Haftar, der von Frankreich, Ägypten, Russland, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, gibt es auch keinen zwingenden Grund, einen Waffenstillstand oder einen Friedensvertrag zu unterzeichnen – er ist, nicht zuletzt auch dank tausender Söldner aus dem Tschad und dem Sudan, derzeit am Gewinnen, mag sich seine „Offensive“ genannte Versammlung diverser Warlords, Salafisten und schlichter Banditen auch für den Moment vor Tripolis festgefressen haben. Immerhin kontrolliert er mittlerweile knapp 85% des Landes, auch wenn sich diese Kontrolle in der Hauptsache auf Geröll und Sand und einige sehr große Ölfelder beschränkt. Ohne auf die vielfältigen Hintergründe, Frontwechsel, Intrigen und Täuschungen in diesem Konflikt einzugehen, müssten die Europäer, so sie denn mit einer Stimme (und einer Armee) sprechen würden, eigentlich spätestens jetzt intervenieren. 

Denn selbst wenn es zu einem echten Waffenstillstand käme, wären die Machtverhältnisse immer noch unklar. Beide Seiten würden die Atempause nutzen, um sich selbst mit den jeweiligen Verbündeten hochzurüsten und dann erneut aufeinander losgehen. Der letztliche Gewinner nach tausendfachem Mord und Totschlag bekäme dann alles, wie es guter kriegerischer Brauch ist. Dazwischen stecken tausende von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern, die sich irgendwie ihren Transfer nach Europa beschaffen wollen. Letztlich wird es also nicht gehen, wenn sich nicht die Supermächte USA und Russland darauf einigen, Libyen zu befrieden oder wenigstens Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei als „Hegemonialmächte ehrenhalber“ aus dem Konflikt herauszuhalten. 

Nur mit einer robusten militärischen Intervention

Die Europäer – oder, spezieller, die EU – die hier so gerne als „neutraler“ Vermittler auftreten möchte, sind selbst gespalten. Während die Franzosen Haftar unterstützen, setzen die Italiener als ehemalige Kolonialmacht auf Al-Serraj. Inwiefern beide Länder ihren jeweiligen Favoriten militärisch oder durch Waffenlieferungen unterstützen, ist unklar.  

Tatsächlich ist ein friedliches und geeintes Libyen für die Europäer von allerhöchstem Interesse. Zumal als Puffer vor den hunderttausenden von Flüchtlingen, aber auch als Gegenbeispiel zu den vielen islamischen „half-failed states“ an der nordafrikanischen Küste. Wenn es gelänge, Libyen zu einem einigermaßen demokratischen und wirtschaftlich florierenden Staat zu machen, dann hätte dies eine Signalwirkung weit über Libyen hinaus, andererseits wäre es dann auch die demokratische Pflicht Europas, auch eine gewählte islamische oder sogar islamistische Regierung anzuerkennen. Hinzu käme, dass die Europäer über entsprechende Vereinbarungen dann in der Lage wären, die afrikanischen Flüchtlingsströme zu kanalisieren, wenn nicht gar zu kontrollieren.  

Die Krux dabei ist, dass dies nur mit einer robusten militärischen Intervention und tatsächlich einer anschließenden militärischen Besatzung gelänge – denn zur Installation eines demokratischen Polit- und Verwaltungssystems nach europäischem Vorbild wäre eine Entwaffnung der diversen Milizen und Stämme unabdingbare Voraussetzung. Hierzu wiederum fehlen den Europäern sowohl Wille als auch militärische Mittel als auch die Bereitschaft, unvermeidliche Verluste ertragen zu können – von den dazu notwendigen diversen Brüchen völkerrechtsverbindlicher Vereinbarungen einmal ganz zu schweigen. Denn ein UN-Mandat für eine solche Intervention wird sich gegen den Widerstand von Russland oder China schwerlich erringen lassen.

Wahrscheinlicher ist daher das Szenario, dass Haftar früher oder später nach weiteren tausenden von Toten als Militärdiktator das Heft übernehmen wird, und es wird kommen, wie es immer kommt: Er und eine korrupte Clique werden sich eine Zeitlang der pekuniären Zuwendungen diverser Staaten, Regierungen und Regierungsorganisationen und internationaler Konzerne erfreuen dürfen, dann wird es wieder Aufstände und Rebellionen geben, weitere tausende Tote und Flüchtlinge und dann gibt es einen neuen „obersten Anführer des Volkes“. Libyen ist verloren – und diesmal wird Europa für seine Feigheit, Weichheit und Unentschlossenheit die Rechnung bezahlen. Und die wird hoch. Die Amerikaner werden diesmal nicht als Bürge einspringen. Die haben derzeit einen ganz anderen Brocken vor der Brust.   

 

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Heiko Engel / 18.01.2020

Der gesamte arabische Frühling ist verflogen. Die Absichten dahinter sind zur Makulatur verkommen. Das dpa - Bild mit Haftar und dem BAM ist aussagekräftig genug. Der BAM schaut Ego verliebt in die Kamera. Haftar sieht ihn an mit einer Mischung aus Verwirrung, ob der traurigen Tatsache, dass es sich bei dieser Figur um den BAM handelt, und einem Blick, den Katzen gut beherrschen: kann man das fressen ? Und die Levante und ihre Menschen haben weiterhin kaum eine Perspektive auf Inhalte. Zerrissen zwischen Psychopathen aus Religion, Pseudowirtschaft und Politik. Die vorhandenen Reichtümer, unter anderem auch die Sonnenscheindauer, werden verfrühstückt, um Flüchtlinge für Europa zu generieren und Gaunern und Selbstdarstellern wie Raketchen ein Podium zu bieten. Und die arabische Frau trägt lieber Kopftuch, um sich auch optisch für dem Islamismus zu opfern. Alles in Schall und Rauch aufgegangen. Zurück in die Steinzeit. Und dann kam folgendes: der BAM erschien und brachte die Segnungen aus Berlin. Ist schon wieder wie bei den Nazis: Die Weltherrschaft der Hausmeister, Lehrer und Formalakrobaten Part 2.. Zukunft und Entwicklung ? Was bitte soll das sein ?

Gudrun Dietzel / 18.01.2020

@Schäfer, @Strohbach, @Dairie, ich bin völlig Ihrer Meinung, daß ein Diktator (siehe Ghaddafi) mitunter besser ist als alles, was danach kommt. Aber seit Schröder und Fischer wird den Deutschen WIEDER eine Ethik untergejubelt, nach der es richtig sei, „am Hindukusch die Interessen Deutschlands“ (Peter Struck) zu verteidigen. Daß der Export der Revolution nicht funktioniert, hat schon Che Guevara in Bolivien am eigenen Leib zu spüren bekommen. Zurück zu Ghaddafi: Daß er ein durchgeknallter, seinen eigenen Interessen und denen seiner Familie, zugetaner Despot und Herrscher war (dem aber im Ausland der rote Teppich ausgerollt worden ist), ist klar. Aber daß es den Menschen unter ihm mit Sicherheit besser ging als heute auch. Im Frühjahr des „arabischen Frühlings“ hatten wir eine Reise nach Libyen gebucht, die durch die Ereignisse vom Reiseveranstalter storniert werden mußte. Auf dieses Land, das uns immer schon interessierte, waren wir im Gespräch in einem Marrakescher Hotel mit einem Hamburger Wissenschaftler (Geologen) gekommen. O-Ton des Mannes damals: Nirgendwo sind Sie so sicher wie in Libyen.

Roland Müller / 18.01.2020

Lieber Herr Schneider, der von Ihnen geforderte “robuste Militäreinsatz” hat auch nur das gleiche Ergebnis wie der Einsatz in Afghanistan oder in Mali zur Folge. Also Mord und Totschlag in Endlosschleife mit ein paar zusätzlichen Akteuren aus Europa.

Karsten Paulsen / 18.01.2020

Lybiens Bombadierung und die Ermordung Gaddafis richteten sich (erfolgreich) gegen die panafrikaische Idee Gaddafis. Der Westen hatte kein Interesse an einem Zusammenschluss arabischer und nordafrikanischer Staaten.

Jens Richter / 18.01.2020

@Richard Rosenhain So sehe ich das auch. Schon Helmut Schmidt hat das mal (vorsichtig) angesprochen, nömlich dass die westliche(!) Demokratie nicht heilioggesprochen werden darf. Und selbst für den Westen wünsche ich mir in letzter Zeit einen weisen König, der mit fester, gütiger Hand regiert. Platons Philosophenkönig wäre vielleicht besser als das gackernde Weibsvolk, das uns zur Zeit herumschubst. Frauen sind Meisterinnen der kleinen Gruppe bis zur Größe eines Kegelvereins (leckere Schnittchen machen…), aber wenn es um verantwortungsethische Entscheidungen geht, versagen sie. Eine Roth/Göring-Eckard, you name it, hätte zum Beispiel im Fall der der entführten Landshut-Maschine nicht die GSG9 mobilisiert, sondern einen Stuhlkreis anbefohlen, weil die Terroristen alle mal Kulleraugen hatten und jetzt verzweifelt sind.

Rudhart M. H. / 18.01.2020

Wenn Sie Kinder haben , Herr Schneider, dann empfehle ich Ihnen:  Schicken Sie sie hin! Die machen das schon ! Sicher ! ... und dann können Sie wieder mitreden .

Daniel Oehler / 18.01.2020

Für das blutige Chaos in Libyen ist Frankreich verantwortlich. Gaddafi wollte eine goldbasierte Währung für Afrika, um die Ökonomie des Kontinents zu stärken. Nun hält aber Frankreich eine ganze Reihe afrikanischer Länder in kolonialer Abhängigkeit von Paris, indem diese Länder gezwungen wurden, einen Kolonial-Franc als nationale Währung einzuführen und einen erheblichen Teil der Währungsreserven in Paris zu lagern. Gaddafis geplante Wohltat für Afrika wurde von den Möchtegernimperialisten in Paris als Bedrohung angesehen. Die Vorstöße Erdogans sind möglicherweise die Rache dafür, dass Gaddafi sich gegen eine EU-Beitritt der Türkei gestellt hatte, weil dies die Türkei zu einem Einfallstor des radikalen Islam in die EU machen und damit diese und den gesamten Mittelmeerraum, Libyen eingeschlossen, destabilisieren würde. Das beste für Afrika wäre, wen sich französische Kolonialisten, US-amerikanische Imperialisten und deutsche “Gutmenschen” vom Acker machen. Und Deutschland als Konferenzort zu afrikanischen Problemen geht schon mal gar nicht, solange die Politik in Berlin nicht bereit ist, den Völkermord in Südwestafrika als solchen anzuerkennen. Die Soldateska der Völkermordleugner hat in Afrika nichts verloren. Das gilt für Deutsche (Namibia, ehem. Südwestafrika), Türken (Armenier) und Belgier (Kongo) gleichermaßen.

B. Jacobs / 18.01.2020

Das Ziel des Westens war 2011 eindeutig nicht, den Menschen Libyens zu helfen, die schon den höchsten Lebensstandard in Afrika hatten, sondern Gaddafi zu stürzen, ein Marionettenregime zu installieren und die Kontrolle über Libyens natürliche Ressourcen zu erlangen und zu verhindern, das Gold gegen Oel den Petrodollar ablöste – letzteres war Gaddafis Ziel. Vor drei Jahren erklärte die NATO, dass die Mission in Libyen „eine der erfolgreichsten in der Geschichte der NATO“ war. Die Wahrheit ist, dass die Interventionen des Westens nichts als kolossale Fehlschläge in Libyen, Irak und Syrien bewirkt haben. Vor der Einmischung des Westens waren diese drei Länder die modernsten und säkularsten Staaten im Mittleren Osten und in Nordafrika, mit den am höchsten entwickelten Frauenrechten und den höchsten Lebensstandards.  Der militärische Überfall der NATO war vielleicht für Amerikas militärische Elite und die Erdölkonzerne ein überwältigender Erfolg, aber für die einfachen Menschen in Lybien war er ein Desaster. Heute ist Lybien ein Tummelplatz für Machtgelüstler und Terroristen, ein gespaltenes Land und das Zentrum des Migratenschmuggels nach Europa Und nun also soll mehr von der bereits verabreichten giftigen Medizin einer militärischen Intervention die Lösung sein? Und das, wo die Europäer wie auch die Weltmächte in der Unterstützung der Seiten im Bürgerkrieg gespalten sind und weiterhin jeder seine eigenen Interessen verfolgt? Ein „demokratisches System „ soll in einem Staat installiert werden,  dessen Menschen so nicht funktionieren und die von den zerstörerischen Segnungen der westlichen Kultur die Nase voll haben? Das kann nicht funktionieren. Ja, man kann wirklich nur hoffen, dass es eines Tages wieder einen obersten Anführer des Volkes gibt – einen , der von den Massen unterstützt wird und nicht nur vom Ausland und der eigenen korrupten Elite, einen , der den langen, mühsamen Weg dahin wieder antritt, wo Lybien schon einmal war - vor jener unsäglichen Intervention.

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