Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 16.03.2007 / 21:27 / 0 / Seite ausdrucken

Gabriels Logik

Ich habe mir gerade noch einmal die Tagesschau-Meldung zum G8-Umweltministertreffen angesehen, bei dem Sigmar Gabriel seine Behauptung vom täglichen Verlust der 150 Arten aufgestellt hat. Diese Behauptung mag ja schon harter Tobak gewesen sein, aber auch sonst gab Herr Gabriel da merkwürdige Dinge von sich. So berichtet die Tagesschau:

Die führenden Industrieländer wollen auch den Kampf gegen das Artensterben entschlossen vorantreiben. Dazu vereinbarten die G8-Umweltminister am ersten Tag ihrer Konferenz die so genannte Potsdam-Initiative. Sie sieht eine Studie über die wirtschaftlichen Folgen des Artensterbens in allen Einzelheiten sowie einen Bericht über Entwicklung und Stand der weltweiten Vernichtung von Tieren, Wälder und Pflanzen vor.

In der Studie sollen konkret die Kosten des Verlusts an Artenvielfalt in Relation zu den Kosten einer wirksamen Erhaltung gestellt werden. “Jeden Tag verlieren wir 150 Arten”, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. “Wir löschen die Datenbank der Natur in einer nie gekannten Geschwindigkeit”, warnte er. Dieser Verlust schlage sich auch wirtschaftlich nieder: 40 Prozent des Welthandels würden auf der Grundlage der Nutzung natürlicher Ressourcen abgewickelt.

Mag sein, dass wir 40 Prozent des Welthandels auf Grundlage der Nutzung natürlicher Ressourcen abwickeln, aber was hat das mit Artenvielfalt zu tun? Ein großer Teil dieser 40 Prozent dürfte auf eine relativ überschaubare Zahl landwirtschaftlicher Produkte (Getreide, Früchte etc.) entfallen. Der Zusammenhang zur Artenvielfalt wäre daher nur sehr indirekt - bestenfalls.

Die wirtschaftliche Bestandsaufnahme soll ähnlich aufgebaut werden wie der Bericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern über die immensen Kosten der globalen Erwärmung. Der Artenschutz-Bericht solle noch vor der UN-Artenschutz-Runde im Mai 2008 in Bonn vorgelegt werden. Zudem solle das Thema auch auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben werden, die Anfang Juni in Heiligendamm bei Rostock zum G8-Gipfel zusammenkommen, betonte Gabriel.

Dass Sterns Bericht von den allermeisten Ökonomen inzwischen als mangelhaft angesehen wird, scheint Herrn Gabriel und die Tagesschau nicht zu irritieren. Für beide steht fest, dass die Kosten der globalen Erwärmung “immens” sind. Aber wenn Sterns Methodologie nun auch auf das Artensterben angewandt wird (Stichwort: Diskontierung zukünftiger Kosten und Nutzen mit einem Satz von 0,1 Prozent), dann ist das Ergebnis der Studie bereits vorhersehbar ... und wird genau den Wünschen der Umweltminister entsprechen.

An dem derzeitigen Minister-Treffen in Potsdam nehmen erstmals auch die wichtigen Schwellenländer China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika teil. Damit bringe die Konferenz die Verursacher von zwei Dritteln der Treibhaus-Emissionen zusammen, sagte Gabriel. Der Umweltminister und der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Achim Steiner, erklärten, die Industrieländer wollten zu Gunsten der Entwicklungsländer einen wirtschaftlichen und ökologischen “Interessenausgleich” schaffen. Dazu könne man an einen staatlichen Fonds denken, der sich aus marktwirtschaftlichen Instrumenten in den Industrieländern speise, sagte Gabriel.

Übersetzen wir das einmal aus der Sprache internationaler Umweltdiplomatie, dann kann nur gemeint sein, dass die Industrieländer den ärmeren Ländern Geld zahlen sollen. Wofür genau, weiß man nicht, aber bezüglich der Herkunft des Geldes gibt es schon eine Idee: “Marktwirtschaftliche Instrumente” sollen dafür sorgen. Die haben in diesem Fall nichts mit Marktwirtschaft zu tun, sondern mit dem Auferlegen von Steuern und Abgaben. Ist doch toll: Wenn demnächst mal wieder eine Steuererhöhung ansteht, dann sagt die Regierung einfach, dass es sich dabei um ein marktwirtschaftliches Instrument handelt. Stimmt zwar nicht, klingt aber besser.

Wirklich ärgerlich ist nicht, dass Gabriel diesen Unfug von sich gibt, sondern dass er dann auch noch in den Medien unkommentiert und ungeprüft weiterverbreitet wird.

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