Markus C. Kerber, Gastautor / 30.08.2024 / 06:10 / Foto: Imago / 45 / Seite ausdrucken

Gabriel als Entertainer des industriellen Niedergangs

Bei ThyssenKrupp Stahl zeigt Sigmar Gabriel, wie man einen Standort abwickelt. Der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD wird so zum Entertainer des industriellen Niedergangs der deutschen Stahlindustrie.

Um Sprüche war Sigmar Gabriel, Sozialdemokrat, ehemaliger Außen-, Umwelt- und Wirtschaftsminister noch nie verlegen. Dieses Talent hat er sich von seinem Vorbild Gerhard Schröder abgeguckt, dem er sich menschlich nach wie vor verbunden fühlt. Als er zu Anfang diesen Monats als Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssen Stahlsparte zugeben musste, dass sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bei der Stahl-Tochtergesellschaft noch nicht über die Abwicklungsmodalitäten geeinigt haben, sprach er davon, eine „erste Halbzeit“ sei bewältigt worden. 

Im Kern geht es um die Fragestellung, wieviel Geld die Stahl-Tochtergesellschaft vom Mutterkonzern bekommt, um verkauft zu werden. Dass sie verkauft wird und damit ein unersetzlicher Edelstahlhersteller unter nicht-deutsche Kontrolle fallen wird, steht nach Meinung des Mutterkonzerns seit langem fest. Warum die Stahlsparte bei Thyssen, einstmals von dem legendären Vorstandsvorsitzenden Dieter Spethmann auf Vordermann gebracht und Vorzeigeunternehmen, heute marode ist, hat unterschiedliche Gründe. Dazu gehört die Energiepolitik (Energiekosten) der von Habeck & Co propagierten Transformation der Wirtschaft. Ebenso dürfte die unterbliebene handelspolitische Antwort auf die Billigstähle zu Dumpingpreisen aus China dazu gehören. Dazu gehört aber auch das System paritätischer Mitbestimmung, das strukturelle Veränderungen in Unternehmen mit Anpassungsschwierigkeiten viel zu spät und nicht radikal genug vornimmt. 

Nun hat sich sogar der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky bei Thyssen eingekauft. Die Konzernspitze ist froh, die Stahlsparte, die sehr beschäftigungsintensiv und damit arbeitskampfgeneigt ist, so schnell wie möglich loszuwerden. 

Das Wort Selbstkritik sprechen Politiker nur selten aus

Da früher oder später doch Kündigungen anstehen, und diese bittere Wahrheit weder Gabriel noch die Gewerkschaften und schon gar nicht das Konzernmanagement den Beteiligten jetzt nahebringen will, eröffnet der stets schlagfertige Politiker Gabriel ein neues Feld: Für die zweite Halbzeit soll ein Wirtschaftsgutachten über die langfristige Sicherung der Stahlstandorte des Thyssenkonzerns Auskunft geben. Indessen wäre Gabriel sehr gut positioniert, um als ehemaliger Wirtschafts- und Umweltminister Auskunft über die Standortverschlechterungen für die deutschen Stahlkocher zu geben.

Er müsste angesichts der von ihm mit initiierten Grün-Roten Politik schamrot anlaufen und mea culpa schreien. Von all dem ist nichts zu hören. Das Wort Selbstkritik sprechen Politiker nur selten aus. Gabriel würde es nie über die Lippen kommen. 

Dabei hatte Bundes- und Landesregierung viel Geld in die Hand genommen um die wasserstoffbasierte Erzeugung von Stahl von Thyssen zu fördern. Alles für die Katz? Oder alles nur für Daniel Kretinsky, den reichen Selfmademan aus Tschechien. 

Dass ein Luftikus wie Gabriel noch das Vertrauen der Industriegewerkschaft IG Metall hat, ist erstaunlich. Die kluge Frau Brenner, ihres Zeichens die erste Frau an der Spitze dieser mächtigen Organisation, müsste doch längst erkannt haben, dass Gabriel auf ganz anderen Hochzeiten tanzt und sich für die industrielle Zukunft der 27.000 Stahlarbeiter einen Dreck interessiert. So wird die Abwicklung der Stahlsparte von Thyssen auf Raten unwiderruflich kommen und Gabriel wird zu jedem Liquidationsschritt einen flotten Spruch präsentieren. 

Der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD wird so zum Entertainer des industriellen Niedergangs der deutschen Stahlindustrie.  Wie lange schaut die Chefin der IG Metall, Frau Brenner, diesem Treiben noch zu ?

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Er gründete das Institut für Verteidigungstechnologie, Militärökonomik und Geopolitik (www.ivsg.de) und den Thinktank Europolis.

Der Verfasser ist Autor der Schrift „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“, die hier im Achgut-Shop erworben werden kann.

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Lutz Herzer / 30.08.2024

Die Qualitäten des Herrn Gabriel als Entertainer sind mir glatt noch in persönlicher Erinnerung. Es war im Oktober 2016 in der mündlichen Verhandlung über die Eilanträge gegen CETA vor dem Bundesverfassungsgericht, bei der ich als Beobachter anwesend war. Sigmar Gabriel nahm als Bundeswirtschaftsminister teil und wies sich gleich zu Beginn als Erfahrungsjurist aus. Als im weiteren Verlauf der Rechtsbeistand der Bundesregierung, Prof. Dr. Franz Mayer, bei der Auslegung einer speziellen Textpassage des CETA auch nicht mehr weiter wusste, stand Gabriel auf und erklärte allen Beteiligten, wie der Text zu deuten sei. In den fünf Stunden der Verhandlung sorgte er mehrmals für laute Lacher durch den ganzen Saal. Es fehlte nur noch der dreifache Karnevalstusch. Redegewand ist er durchaus, aber inhaltlich ist ihm nichts zu peinlich.

Gus Schiller / 30.08.2024

E. Feldhahn; dafür dass Siggi nicht wirklich etwas gelernt hat,  hatte er immer gut bezahlte, einflussreiche Jobs. Nicht nur Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Holger Kammel / 30.08.2024

Im Nachsatz, das Einzige, was mir im Zusammenhang mit Gabriel einfällt, ist sein Auftritt mit dem Eisbärenjungen Knut. Gott war das peinlich, kein Wunder, daß das Tier früh starb. Vermutlich schwer traumatisiert und suizidal veranlagt. Alle anderen Eisbären sollen seitdem bemüht sein, ihre Farbe zu ändern, um als Braunbären oder Grizzlies durchzugehen.  Wird fälschlicherweise dem Klimawandel zugeschrieben. Wobei die sterbende und verhungernde Population der Eisbären ungeahnte Ausmaße annimmt. “Frißt ein Eisbär einen Pinguin…”

Holger Kammel / 30.08.2024

Bei der Misere von Thyssen Krupp sollte man eins nicht vergessen, die unglaublichen Investitionen in ein Stahlwerk in Brasilien und ein Walzwerk in den USA, getätigt zu einem Zeitpunkt, als die Rohstoff- und Halbzeugpreise den entsprechenden Konzernen Traumgewinne bescherten und Thyssen Krupp in Geld schwamm. “Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis.” Prinzipiell war die Idee nicht falsch, Produktionsstandorte zu den Rohstoffquellen und den Abnehmern zu verlegen, aber die Ausführung offenbarte ein Ausmaß an Inkompetenz, das seinesgleichen sucht. Endergebnis: 10 versenkte Milliarden. Danach war der Laden schwindsüchtig und lebte aus der Substanz. Wer von den heutigen Trotzköpfen damals schon verantwortlich und mitschuldig war, weiß ich nicht. Den Dummschwätzern, die von überholten Industrien sprechen, sei eines gesagt, Qualifizierte Stahlherstellung ist auch heute noch Hochtechnologie. Speziell die Fähigkeiten deutscher oder qualifizierter europäischer Hersteller waren immer ein Standortvorteil. Da gibt es viele Variabeln, Zugfestigkeit, Kalt- und Warmverformbarkeit zur Verarbeitung und mechanische Widerstandsfähigkeit im Anwendungsfall, Schweißbarkeit, Korrosionsbeständigkeit. Die deutsche Edelstahltabelle umfaßt ca. 50 Sorten, die internationale liegt bei, wenn ich mich nicht irre, 17 oder 18. Ich bin kein Spezialist, ich bin Berg-, kein Hüttenmann.  Eins ist gewiß, der Wohlstand Deutschlands beruht(e) in nicht geringem Maße auf den Fähigkeiten der hochqualifizierten Facharbeiter, die mehr wissen und können, als in vielen anderen Ländern Ingenieure, absolut kompetenten Ingenieuren, teilweise auch Chemikern, und leider nur ehemals fähigen Unternehmern, speziell in dieser Sparte. “Der Fisch fängt vom Kopf her zu stinken an.”

Stephen Grundli / 30.08.2024

Also wenn der Autor tatsächlich eine “Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin” hält, dann erstaunt es doch, dass er Herrn Gabriel lediglich für einen Show-Entertainer hält und geißeln will, aber einen ganz entscheidenden Aspekt nicht erwähnt. Auf den ganz wichtigen Aspekt der Tätigkeit und vorallem der Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds der Aktiengesellschaft wird in diesem Artikel nicht hingewiesen: Herr Gabriel und auch andere SPD-Bonzen sind als Organmitglieder einer Aktiengesellschaft nämlich ganz eindeutig u.a. mit ihrem persönlichen Vermögen für die verschuldeten Fehlentscheidungen und Aktienverluste der Aktionäre haftbar! Soll heißen: Wenn Herrn Gabriel in der Ausführung seines Amtes verschuldete Fehler unterlaufen wären,  was nachzuweisen ist, die zu einem Verlust der Aktiengesellschaft führten, dann können Aktionäre die Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder auch persönlich für einen unmittelbar dadurch verursachten Kursverlust haftbar machen.  Interessant ist das Thema “Gabriel” & Co. also allein nur, ob es entsprechende Haftungsvorwürfe gegen die Organmitglieder gibt, was aber zu belegen ist. Dann macht der Artikel auch erst Sinn und verliert sich nicht in sinnleerer Polemik. Aber vielleicht hat Herr Gabriel noch andere lukrative Mandate als Organmitglied inne, die soviel “Nebenverdienste” abwerfen, dass er wie einst Herr Abs damit schon gut ausgesorgt hat, ohne auch nur ansatzweise von der Materie und dem Unternehmensgegenstand etwas zu verstehen.

J. Harms / 30.08.2024

Ich frage mich bei “Siggi Pop” was für einen Charakter muß solch eine Lichtgestalt der “Sozialdemokratie” eigendlich haben? Selbst für Gammelfleisch Tönnies war er sich ja nicht zu schade… Expertise, scheint wie in der Politik, auch in der Wirtschaft wohl keine große Rolle mehr zu spielen. Hauptsache die eigene Kasse stimmt!

Eberhardt Feldhahn / 30.08.2024

Wie degeneriert und charakterlos viele Unternehmensführungen mittlerweile sind, beweist die Berufung dieser feisten Null zum Aufsichtsratsvorsitzenden eines deutschen Traditionsunternehmens. Vom Pop-Beauftragten zum Totengräber:typisch Sozialisten.

J. Dannenberg / 30.08.2024

Mehr als zuschauen kann die Chefin der IG Metall, Frau Brenner nicht. Soll sie die Hütte bestreiken lassen, die eh Pleite ist? Und nicht zu vergessen, die Soziologin Brenner ist SPD Mitglied. Das sagt doch alles.

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