Internationale Gipfeltreffen sind schwer gefragt. In dieser Woche fand der G20-Gipfel in Brasilien statt, auf dem wieder einmal eine umfassende politische Erklärung abgegeben wurde. Konkretes sucht man darin vergebens. Deutschland spielte mit, einer schert aus: Argentiniens Milei.
Der Mangel an klaren Botschaften in der Abschluss-Erklärung verdeutlicht die zugrundeliegenden Spannungen zwischen den teilnehmenden Ländern des G20-Gipfels. Im Vorfeld des Gipfels hatte die französische Tageszeitung Le Monde in einem bissigen Kommentar den linken brasilianischen Präsidenten Lula da Silva scharf angegriffen und behauptet, dass Brasilien „Moskau schont und sich Peking annähert“.
Die Spannungen beziehen sich jedoch nicht nur auf die Ukraine. Eine von Lulas fixen Ideen war es, die G20 dazu zu drängen, eine globale Besteuerung der Einkommen von Milliardären in Höhe von zwei Prozent einzuführen. Am Ende gelang es ihm, die Steuer in die Abschlusserklärung aufzunehmen, doch nach heftigem Widerstand Argentiniens, das nun von dem Liberalen Javier Milei angeführt wird, wurde die G20-Erklärung nur mit teilweiser Ablehnung Argentiniens zu bestimmten Punkten angenommen.
Es ist bezeichnend für die hoffnungslos linke Denkweise in Westeuropa, dass teilnehmende Länder wie Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien damit, sowie mit den Inhalten der vorherigen UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, zufrieden zu sein schienen.
In einer Rede wetterte Milei dagegen und bezeichnete sie als „supranationales Programm sozialistischer Natur“. Er wandte sich auch gegen UN-Vorschläge zur Regulierung von "Hassreden" in sozialen Medien und bezeichnete diese als Eingriff in die nationale Souveränität.
Milei argumentierte weiter: „Heute wird die internationale Gemeinschaft von einem System der Auferlegung regiert, nicht von einem der symmetrischen und autonomen Zusammenarbeit.“ Er warnte: „Wenn es um eine stärkere staatliche Einmischung in die Wirtschaft geht, rechnen Sie nicht mit uns.“
Argentinien löst Chile als marktwirtschaftsfreundlichstes Land ab
Mileis Erfolg im eigenen Land ist immer schwerer zu leugnen. Im vergangenen Monat sank die Inflation auf unter drei Prozent im Monatsvergleich. Das ist immer noch schrecklich, aber es ist das erste Mal seit November 2021, dass sie unter drei Prozent liegt. Das bedeutet einen großen Rückgang im Vergleich zu vor einem Jahr, als Milei gewählt wurde.
Es ist aufschlussreich, dass Argentinien Chile als das marktfreundlichste Land Lateinamerikas ablöst. Die Privatisierung des chilenischen Rentensystems, bei der die Menschen größtenteils für ihre eigene Rente sparen, anstatt auf eine große Zahl junger Steuerzahler zu hoffen, hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Chilenen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, von mehr als der Hälfte der Bevölkerung auf weniger als ein Zehntel gesunken ist.
In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich die chilenische Politik jedoch geändert, und das Land ist zu einem gemischten Rentensystem übergegangen. Im Jahr 2021 wählte das Land sogar einen militanten Linken, Gabriel Boric, zum Präsidenten. In diesem Jahr kam es zu einem groß angelegten Korruptionsskandal, der an Chiles Ruf als am zweitwenigsten korruptes Land Lateinamerikas hinter Uruguay kratzte. In diesem Sommer wurde Luis Hermosilla, ein Strafverteidiger mit engen Beziehungen zu prominenten Wirtschaftsführern und hochrangigen Politikern aus dem gesamten politischen Spektrum Chiles, wegen Bestechung, Geldwäsche und Steuerbetrug angeklagt.
Der Fall war auch Anlass für den Rücktritt des Leiters der chilenischen Kriminalpolizei, Sergio Muñoz, nachdem ihm von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wurde, vertrauliche Informationen über laufende Ermittlungen an Hermosilla weitergegeben zu haben. Eine dieser Ermittlungen steht im Zusammenhang mit der Vergabe von Glücksspiellizenzen an die Kasino- und Ferienanlagenkette "Enjoy“. Moneda Patria Investments, ein Unternehmen mit politischen Verbindungen zur rechten Seite des politischen Spektrums, würde offenbar von diesen Lizenzen profitieren.
Eine gerichtliche Untersuchung befasste sich mit der Angelegenheit und prüfte, ob die von der rechtsgerichteten Regierung damals eingeführte Gesetzgebung Moneda begünstigte und ob sie das Unternehmen sogar vor dem Bankrott bewahrte. Sie wurde 2023 von einem Richter abgewiesen. In Kombination mit anderen Skandalen wird dies als ein Grund für die schweren Verluste angesehen, die Präsident Boric bei den jüngsten Kommunalwahlen erlitten hat.
Klima-Alarmismus
Eine weitere Priorität, die Lula voranzutreiben versuchte, war die Panikmache vor dem Klimawandel, als er die Gruppe der 20 führenden Volkswirtschaften aufforderte, die Netto-Null-Emissionen fünf bis zehn Jahre früher als geplant zu erreichen. Die Zeiten ändern sich jedoch. Der erwartete Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen im Jahr 2025 kann als schwerer Schlag für diejenigen angesehen werden, die versuchen, eine Klimapanik zu schüren.
Ein anderer Ansatz könnte darin bestehen, das Pariser Abkommen und seinen strafenden Ansatz durch ein „Klima- und Freiheitsabkommen“ zu ersetzen, bei dem die Unterzeichner eines solchen alternativen internationalen Abkommens von Handelsvorteilen profitieren würden, sofern sie eine klimafreundliche, marktwirtschaftliche Politik umsetzen. Eine Studie des Warsaw Enterprise Institute und gleichgesinnter Think Tanks erklärt, dass dies zu einer „Entbürokratisierung der Wirtschaft“ führen würde, zusammen mit „Steueränderungen (...), um Investitionen in PP&E (Property, Plant, and Equipment) profitabler zu machen, und zwar in einer Art und Weise, die den Unternehmen Anreize bietet, nicht nur ihre derzeitigen Kapazitäten zu erhalten, sondern auch zu modernisieren und neue Projekte zu entwickeln. Subventionen jeglicher Art sollten in geordneter und schrittweiser Weise abgeschafft werden“.
Weitere vorgeschlagene Maßnahmen, die die Unterzeichner eines solchen internationalen Abkommens einführen könnten, sind steuerfreie „CoVictory Bonds“ sowie gezielte Steuersenkungen (Clean Tax Cuts, CTCs) in den vier Sektoren, die für 80 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind – Verkehr, Energie und Strom, Industrie und Immobilien. Eine weitere mögliche Maßnahme sind Steuersenkungen zur Zerschlagung von Monopolen.
Selbst wenn ein solcher Vertrag nicht zustande käme, sorgt der neue Klimazoll der EU, der sogenannte „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM), bei Treffen wie dem G20-Gipfel für große Bedenken. Vor allem Indien hat sich gegen die Vorstellung gewandt, dass die EU Zölle auf Importe von Handelspartnern erheben würde, nur weil diese Länder es vorziehen, die kostspielige Klimapolitik der EU nicht zu kopieren.
Das Vereinigte Königreich erwägt derzeit, ob es CBAM übernehmen soll oder nicht, da es befürchtet, dass es sonst den Marktzugang zur EU verlieren könnte. Forscher der britischen Wachstumskommission haben davor gewarnt und schätzen, dass dies „zu einem Verlust des Pro-Kopf-BIP zwischen etwa 150 und 300 Pfund Sterling“ oder sogar bis zu 650 Pfund Sterling führen könnte, falls sich die Lieferketten auf die Produzenten mit den niedrigsten Kosten ausrichten würden.
Mercosur
Am Rande des G20-Gipfels kann man davon ausgehen, dass es zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Mitgliedern des lateinamerikanischen Handelsblocks Mercosur zahlreiche Abstimmungen über den möglichen Abschluss des EU-Mercosur-Handelsabkommens gegeben hat. Frankreich hat sich stark dagegen eingesetzt, aber es ist nicht sicher, ob es eine Sperrminorität finden kann.
Theoretisch hätte bereits eine Einigung erzielt werden müssen, doch die EU beschloss, die Gespräche wieder aufzunehmen, und verlangte plötzlich von ihren lateinamerikanischen Handelspartnern die Einhaltung einer ganzen Reihe zusätzlicher Umweltauflagen. Verständlicherweise wehrten sie sich dagegen.
Proteste gegen EU-Verordnung zur Entwaldung
Hinzu kamen Proteste, insbesondere aus Brasilien, gegen die EU-Entwaldungsverordnung, die alle möglichen zusätzlichen bürokratischen Auflagen für Einfuhren in die EU vorsieht, die die Entwaldung verschärfen könnten. Problematisch ist vor allem, dass sich die Gesetzgebung weigert, Anti-Abholzungsstandards von Handelspartnern anzuerkennen. Vor allem Malaysia und Indonesien fanden es besonders unfair, dass die EU sich im Gegensatz zum Vereinigten Königreich weigert, ihre Standards als gleichwertig anzuerkennen, obwohl Nichtregierungsorganisationen wie Global Forest Watch sie im Jahr 2023 dafür lobten, dass sie den Waldverlust stark reduziert haben.
Letzte Woche stimmte das Europäische Parlament dafür, die Verordnung um ein Jahr zu verschieben, nachdem auch Brasilien und die Vereinigten Staaten dies gefordert hatten. Die Abgeordneten stellten dabei fest, dass für Länder, die als „risikolos“ eingestuft werden, „deutlich weniger strenge Anforderungen gelten würden, da die Gefahr der Abholzung vernachlässigbar oder nicht vorhanden ist“. Der malaysische Palmölrat (MPOC) wies darauf hin, dass die Schaffung einer solchen „Kein-Risiko“-Kategorie „eine bequeme Ausweichmöglichkeit für den Gesetzgeber darstellen könnte, um einheimische Unternehmen von der Gesetzgebung auszunehmen, was einen Beigeschmack von wirtschaftlichem Protektionismus hat“, und fügte hinzu:
„Ein zweistufiger Regulierungsansatz – der europäische Unternehmen schützt, während ihre internationalen Handelspartner bestraft werden – wäre ein falsches Signal an die Welt, da Länder wie Malaysia so hart daran gearbeitet haben, die EU-Holzverordnung einzuhalten.“ Auch der brasilianische Bauernverband äußerte ähnliche Bedenken.
Dies zeigt, dass die Zeiten, in denen die EU ein mächtiger Akteur war, der auf die Öffnung des Handels auf internationaler Ebene drängte, lange vorbei sind. Auch bei den anstehenden Verhandlungen über die zusätzlichen US-Zölle, die Trump erheben will, wird er sicherlich darauf hinweisen, dass die EU-Zölle derzeit höher sind als die US-Zölle.
Fairerweise muss man sagen, dass auf den höchsten Ebenen der Europäischen Kommission einige Leute langsam erkennen, dass die EU auf dem falschen Weg ist. Im Frühjahr hielt Sabine Weyand, die leitende Beamtin in der Handelsabteilung der EU-Kommission, eine Rede, in der sie einräumte, dass die Handelspartner zunehmend infrage stellen, dass die EU mit ihrer Handelspolitik als „globaler Regulator“ agiert: „Der globale Süden und die Schwellen- und Entwicklungsländer wollen nicht einfach unsere Gesetzgebung kopieren und sagen: Wer hat euch zum Weltregulator ernannt? Ich denke also, dass wir die regulatorische Zusammenarbeit aufnehmen müssen. Wir müssen einen echten kooperativen Ansatz verfolgen.“
Bei vielen Gelegenheiten beginnt ein solcher „kooperativer“ Ansatz damit, dass die EU einfach ihre lästigen und protektionistischen Vorschriften abschafft.
Pieter Cleppe war Leiter des Brüsseler Büros des Think Tanks „Open Europe“. Er schreibt regelmäßig für Rundfunk- und Printmedien in ganz Europa und diskutiert häufig über die EU-Reform, die Flüchtlingskrise und die Eurokrise. Der gelernte Jurist war zuvor in Belgien als Rechtsanwalt tätig und arbeitete als Kabinettberater und Redner des belgischen Staatssekretärs für Verwaltungsreform.
Nachtrag/Korrektur: In einer ersten Fassung dieses Textes ist uns ein peinlicher Übersetzungefehler unterlaufen. Chile ist nicht das zweitkorrupteste Land in Südamerika, sondern das am zweitwenigsten (!) korrupte Land und somit Uruguay das am wenigsten korrupte Land. Bitte entschuldigen Sie den Fehler.