Volker Seitz / 17.07.2017 / 06:05 / Foto: Seitz / 7 / Seite ausdrucken

G20 und Afrika: Die Meister der Floskel

Der "Bonner Aufruf" ist ein Zusammenschluss von Experten und in Afrika-Fragen engagierten  Menschen, die zu folgendem Schluss gekommen sind:  "Nach einem halben Jahrhundert personeller und finanzieller Entwicklungshilfe für Afrika stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat. Die Ergebnisse sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben." Jetzt hat sich der Sprecherkreis des „Bonner Aufrufs“ das Abschluss-Kommuniqué des G20-Gipfels in Sachen Afrika angesehen. Hier seine Erklärung:

"In der Erklärung der Teilnehmer des G20-Gipfels vom 7. und 8. Juli in Hamburg zu den Themen Afrika und Migration werden in oft allgemeinen Floskeln und teilweise unverständlichen Formulierungen Ziele und Forderungen aufgelistet. So will man zur Schaffung von menschenwürdigen Beschäftigungsmöglichkeiten in Afrika und zur Beseitigung von Armut und Ungleichheit als Ursachen von Migration in gemeinsamen Anstrengungen  „nachhaltiges, inklusives Wirtschaftswachstum sowie nachhaltige, inklusive Entwicklung“ fördern. Doch wie sollen die Wünsche und Ankündigungen  konkret umgesetzt werden?

Die Forderung nach Partnerschaften der G20-Staaten mit wirklich reformwilligen afrikanischen Ländern wie Äthiopien, Senegal oder Tunesien ist gut. Doch was soll geschehen? Die unverbindliche Antwort in der Erklärung: „Wir unterstützen die Ziele der Partnerschaft durch ergänzende Initiativen und ermutigen den Privatsektor, die wirtschaftlichen Möglichkeiten Afrikas zu nutzen und zur Förderung von nachhaltigem Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen.“

Private Investitionen sind der Schlüssel für jede Entwicklung. Das bedeutet Investitionen in Ausbildung, die für die kommende Generation entscheidend ist, sowie Investitionen in Landwirtschaft und Gewerbe. Private Investitionen zu mobilisieren, wird auch in der Erklärung als Ziel genannt, aber nicht konkretisiert. Das wichtige Thema Landwirtschaft bleibt in der Erklärung völlig außen vor und Ausbildung wird nur unter dem Stichwort „Unterstützung im Bildungsbereich“ gestreift.

Die Formulierung „Sichere, geordnete und reguläre Migration kann erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen und Vorteile bergen“ sollte bei uns dazu führen, jetzt endlich ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen.   

Sehr gut ist, dass die Gipfelteilnehmer „die Eigenverantwortung der afrikanischen Länder“ betonen. Dazu müssen sich diese Länder allerdings auch ernsthaft mit dem ungebremsten Bevölkerungswachstum auseinandersetzen. Die Bevölkerungsexplosion in Afrika macht jeden wirtschaftlichen Fortschritt zunichte". 

Dr. Hans Christoph Buch, Schriftsteller und Afrika-Kenner/ Volker Franzen, ehem. Sprecher GTZ, BDI, Bundesmin. für Wirtschaft/ Kurt Gerhardt, Journalist, ehem. DED-Landesdirektor, Niger/ Dr. Hans F. Illy, Professor für Politikwissenschaft und Afrikastudien/ Volker Seitz, 17 Jahre Diplomat in Afrika, Autor („Afrika wird armregiert“)/ Elke Zarth, Unternehmerin, Segou/Mali       

Foto: Seitz

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B.Klingemann / 18.07.2017

Gut erkannt, Herr Seitz! Meine Lieblingsworte und -floskeln sind “nachhaltig”, “inklusiv”, “Chancen und Vorteile”, “Bildungsbereich”, “Beseitigung von Armut und Ungleichheit”. Si tacuissent, philosophi mansissent.

Andreas Stadler / 17.07.2017

Der Gipfel war und ist so oder so zutiefst undemokratisch, da niemand nachprüfen kann, was die Herren und Damen dort wirklich beraten haben. Die Presse bei der Besprechung weitgehend ausgeschlossen. Das ist an sich nicht schlimm, eher die Regel bei Regierungsgesprächen, aber dafür eine Großstadt in den Ausnahmezustand zu versetzen, das ist undemokratisch.

Marcus Hallmoser / 17.07.2017

Warum zum Teufel sollen wir in den dichtbesiedelten Hochtechnologie-EU-Staaten, bspw. Deutschland mit ca. 225 Ew/km², uns Gedanken um eine “Einwanderungsgesetz” machen, damit massenhaft unqualifizierte Leute aus dem mässig besiedelten Afrika [ca. 60 Ew/km², nach Abzug der Wüstenfläche] zu uns kommen können, die nicht mal die laschen Kriterien der Blue Card erfüllen?

Wolfgang Richter / 17.07.2017

So wie sich Ihre Berliner Arroganz einfach mal im Alleingang zur Welt - Klimarettung aufgemacht hat, das Ziel ausgegeben hat, den deutschen Atommüll für 1 Million Jahre sicher und rückholbar einzulagern, wird jetzt Afrika als Gesamtprojekt von ihr gerettet. Und dann muß der Rest der Welt dran glauben. Da nach den vorliegenden Demoskopen-Aussagen an der weiteren Regentschaft offenbar keine Zweifel bestehen, dem führbaren Wähler sei dank, wird die Welt sich dran gewöhnen müssen, daß eine Raute ihr alternativlos auf den guten Weg verhilft.

Volker Seitz / 17.07.2017

@ Wilfried Cremer Der hohe Bevölkerungsanstieg verursacht Konfliktpotential: durch mangelnde Ernährungssicherheit, Wasserknappheit, Druck auf Gesundheits- und Bildungssysteme, Arbeitslosigkeit. Außerdem steigt bei einer höheren Population und Verteilungskämpfen die Aggression. Der Entwicklungsstand eines Landes hängt eng mit dem Bevölkerungswachstum zusammen. Mit einer erfolgreichen Familienplanung hat zum Beispiel in Vietnam der nachhaltige wirtschaftliche Aufstieg begonnen. Es ist eine Tatsache, dass die Bevölkerung in Afrika doppelt so rasch wächst wie die Wirtschaft. Wer aber die Reduktion der Geburtenzahlen in Afrika fordert, wird bei uns immer noch des Neokolonialismus oder Rassismus verdächtigt und in die rechte Ecke gestellt. Obwohl Afrika extrem hohe Geburtenraten hat, kann ich mich in den letzten 30 Jahren an keine Diskussion über die notwendige Reduktion der Geburtenzahlen erinnern. Es herrscht bei uns weiter Ratlosigkeit. Familienplanung und Empfängnisverhütung sind „kulturell sensible Bereiche“. Viele Kinder zu haben ist in Afrika ein Symbol für Männlichkeit. Die Frauen, je nach Bildung der Familienplanung gegenüber aufgeschlossen, sind dem Willen der Männer ausgeliefert. Für viele Politiker hängt zudem ihre Macht vom Kinderreichtum ihrer Volksgruppe ab. Eine junge Bevölkerung wirkt sich für afrikanische Länder nur positiv aus, wenn sie die Perspektive auf sichere Arbeitsplätze hat. Heute sind nach UN-Angaben mindestens 60 % der 15 bis 24jährigen in Afrika arbeitslos. Dies bleibt ein ernstes Problem für den Kontinant und wegen der Migrantenströme auch für Europa. Moderne Mittel zur Familienplanung werden vor allem in Westafrika kaum genutzt, da sie mit dem Islam als unvereinbar angesehen werden. Noch immer preisen afrikanische Traditionalisten den Kinderreichtum als festen Bestandteil ihrer Kultur. Den Frauen wird die aktive Rolle in der Familienplanung verwehrt.

Dirk Jungnickel / 17.07.2017

Ob tatsächlich private Investitionen in Afrika primär d e r Schlüssel für jede Entwicklung wären, sei dahin gestellt. Längst schon ist die Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika gescheitert. Das ist inzwischen eine Binse. Nur über Bildung sind Verhaltensweisen (z.B. Ablehnung von Verhütung sowie Promiskuität) ) zu beeinflussen.  Auch die falsche und unzeitgemäße Ansicht, die Kinderzahl hätte etwas mit Reichtum zu tun, kann nur über nachhaltige Aufklärung infrage gestellt und mit sozialen staatlichen Leistungen kompensiert werden.  Dem steht leider die weit verbreitete Korruption im Wege. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass mentale Unterschiede hier Hürden aufbauen, die oft übersehen und beiseite geschoben werden.  Eine afrikanische Sozialisation ist nun mal eine völlig andere als eine europäische. Dies kann man nicht als Tourist erfahren. Während der Arbeit in einem Krankenhaus in Malawi war ich seinerzeit sehr nahe an den Problemen ... Beschäftigten sich die G - 20 - Protestler mit diesen Aspekten ???  Die “Eigenverantwortung der afrikanischen Länder” (Gipfelteilnehmer ) ist eine Selbstverständlichkeit,  ihre Umsetzung und die Überwindung der Hindernisse womöglich eine Jahrhundertaufgabe.

Wilfried Cremer / 17.07.2017

Vorschriften zur Geburtenkontrolle von außen sowie die Vorstellung, Afrikaner seien nicht genauso zur Enthaltsamkeit fähig wie “Wir Weißen”, sind kolonialistisch bzw. rassistisch.

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