Henryk M. Broder / 03.02.2007 / 23:10 / 0 / Seite ausdrucken

Gelber, grüner, Grosser

Als ich erfuhr, dass ich den Börne-Preis bekommen sollte, war mein erster Gedanke: Was wird EHG, “die Tochter”, dazu sagen?  Und vor allem: Was wird sie unternehmen?
Hatte sie schon ihr Kosmetik-Köfferchen gepackt, um zur Preisverleihung nach Frankfurt zu fahren, so wie sie mir vor ein paar Wochen nach Zürich nachgereist war, um gegen meine Teilnahme an einer Diskussion über “Opfer und Täter” zu protestieren? Ich gebe zu: Der Schock saß tief, denn EHG hatte ein kleines schmutziges Geheimnis enthüllt, das ich seit fast 5o Jahren mit mir trage. “Broder”, rief sie in den voll besetzten Saal des Zürcher Literaturhauses, “Broder ist ein Immigrant, den hier niemand haben wollte!”

Tatsächlich hatte, als meine Eltern 1958 mit mir nach Köln gekommen waren, eine Volksabstimmung stattgefunden, ob wir bleiben dürften. Meine ältere Schwester muss so etwas geahnt haben und war deswegen von Wien, unserer ersten Station im Westen, gleich nach Israel abgehauen. Die Volksabstimmung ergab: Meine Eltern waren willkommen, mir dagegen wurde empfohlen, nach Polen zurück zu kehren. Ich ignorierte die Empfehlung und blieb. Hätte ich damals schon gewußt, dass “die Tochter” eines Tages die Senioren-Gruppe meiner Groupie-Gemeinde anführen würde, wäre meine Entscheidung vermutlich anders ausgefallen.

Ich rechne ja immer mit dem Schlimmsten. Aber diesmal kam es noch schlimmer. Statt der “Tochter” meldete sich Alfred Grosser zu Wort und dekretierte in der taz, die Verleihung der Börne-Preises an Broder wäre eine “Beleidigung des Humanismus”.  http://www.taz.de/pt/2007/02/03/a0193.1/text “Beleidigung des Humanismus” war schon gut, noch besser wäre nur noch “Schlag ins Gesicht der Menschheit” gewesen.

Grosser hatte grad kein Kleingeld zur Hand und mußte es mir mit großer Münze heimzahlen. Aber wofür? Ich hatte nichts über ihn geschrieben, auch nicht über seine Obsession, sich als einer der besonders mutigen alternativen Juden darzustellen, die nicht einmal wissen, wo Darfur liegt, die sich aber immerzu von der brutalen Politik Israels und den Verbrechen des Zionismus distanzieren müssen.  Wie zuletzt in der Zeitschrift “Internationale Politik”: “Ich wurde als Jude von den Deutschen verachtet – und glaubte nach Auschwitz doch an unsere gemeinsame Zukunft. Ich verstehe nicht, dass Juden heute andere verachten und sich das Recht nehmen, im Namen der Selbstverteidigung unbarmherzig Politik zu betreiben. Verständnis für die Leiden der anderen – gilt dieser Grundwert Europas nicht erst recht für Israel?” http://www.internationalepolitik.de/archiv/jahrgang2007/februar2007/warum-ich-israel-kritisiere.html

Juden verteidigen sich nicht etwa, sie treiben nur “im Namen der Selbstverteidigung” unbarmherzig Politik. Ganz anders dagegen Alfred Grosser, der im Namen des Humanismus unbarmherzig eigene Eitelkeiten pflegt.  In dem Text über Börne und Broder geht es vor allem darum, dass Focus mal einen Text von Grosser nicht abgedruckt hat.  Skandal! Zensur! Ende des Humanismus!

Setzen Alfred! Atme tief durch und beruhige dich! Wenn es wieder los geht, ist dir ein Fensterplatz sicher. In einem Abteil mit Hajo Meyer, Gerard Menuhin, Gilad Atzmon, Shraga Elam, Norman Finkelstein, Rolf Verleger und den anderen guten Juden, deren Leben im Wesentlichen darin besteht, sich dreimal am Tag von Israel zu distanzieren.
Jedem das Seine,  Alfred. Und vergiß nicht,  das letzte Buch von Rupert Neudeck auf die Reise mitzunehmen.

Dazu auch Alan Posener in seinem WamS-Blog:
http://www.welt.de/z/plog/blog.php/apocalypso/kritik_der_kritischen_kritik/2007/02/03/grosser_boerne_broder

Und die Berliner Zeitung:
“Broder provoziert nicht, er ist eine Provokation, aus ihm spricht nicht die Stimme der Vernunft, aus ihm spricht Henryk M. Broder.” http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/meinung/626141.html

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