Kürzlich wieder in die Hände gefallen: „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ des deutsch-jüdischen Autors Jakob Wassermann(1873 - 1934). Beeindruckend, was er nachträglich zu dem feinsinnig aufbereiteten, bis heute umstrittenen Fall des Findlings schrieb:
„Die Idee des ‚Caspar Hauser‘ war, zu zeigen, wie Menschen aller Grade der Entwicklung des Gemüts und des Geistes, vom rohesten bis zum verfeinertsten Typus, der zwecksüchtige Streber wie der philosophische Kopf, der servile Augendiener wie der Apostel der Humanität, der bezahlte Scherge wie der besserungssüchtige Pädagoge, das sinnlich erglühte Weib wie der edle Repräsentant der irdischen Gerechtigkeit, wie sie alle vollkommen stumpf und vollkommen hilflos dem Phänomen der Unschuld gegenüberstehen, wie sie nicht zu fassen vermögen, dass etwas dergleichen überhaupt auf Erden wandelt, wie sie ihm ihre unreinen oder durch den Willen getrübten Absichten unterschieben, es zum Werkzeug ihrer Ränke und Prinzipien machen, dieses oder jenes Gesetz mit ihm erhärten, dies oder jenes Geschehnis an ihm darlegen wollen, aber nie es selbst gewahren, das einzige, einmalige, herrliche Bild der Gottheit, sondern das Holde, Zarte, Traumhafte seines Wesens besudeln, sich vordringlich und schänderisch an ihm vergreifen und schließlich morden.“
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade auch die Bücher solch brillant analytischer Gesellschaftskritiker und Schreibkünstler der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Ihre Wachheit und psychologische Auffassungsgabe hat sie immunisiert gegen jegliche Heuchelei; man konnte ihnen nichts vormachen, sie sind nicht manipulierbar, sondern unbeirrbar gewesen. Dass man heute das diktatorische Unterdrückungsmittel des Bücherverbots ausreichend aufgearbeitet hat, steht außer Frage. Auf einem anderen Blatt steht, welche Konsequenzen aktuell daraus gezogen werden.
Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks Luftwurzel
Link zum Fundstück