Hans Ulrich Gumbrecht schrieb jüngst in der NZZ einen Beitrag darüber, dass der Sommer 2020 das Ende der Intellektuellen besiegelt habe, weil sie bloß noch nachbeten würden, was Politiker, Virologen und Antirassisten vorgäben:
„Es hätte unsere hohe Zeit werden können. Denn die Gegenwart der Pandemie und ihres gar nicht so leicht investierbaren Freizeit-Überschusses musste ja in einen hungrigen Markt für meinungsbildende Stimmen münden, wie wir Intellektuellen sie pflegen. Und tatsächlich lechzten die Leser nach Reflexion und Orientierung. Doch noch nie in den zweieinhalb Jahrhunderten, seit die Öffentlichkeit als ein Forum für alle Menschen entstanden ist, haben wir Intellektuellen so erbärmlich ausgesehen wie im Sommer 2020. Der Hunger des Publikums schlug bald in aggressive Langeweile um – in Europa und Amerika jedenfalls, den klassischen Intellektuellenkontinenten.
Während jenes Frühlings wachsender Ungewissheiten, an den wir uns mittlerweile wie an eine entrückte Vergangenheit erinnern, reagierten einige von uns zum letzten Mal mit dem bewährten Reflex, Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Es hiess, das Virus mit dem royalen Namen sei nichts als ein von Politikern zum Ziel gesteigerter Selbstermächtigung verstreutes Gerücht.
In dem Mass aber, wie das Publikum mit Panik auf die ersten einschlägigen Todesmeldungen und Berichte von Erstickungsqualen reagierte, sind wir Intellektuellen dann folgsam auf die ethisch-moralische Unterstützung von sozialer Distanz und Maskenpflicht eingeschwenkt.“
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