Erik Lommatzsch, Gastautor / 11.12.2022 / 10:00 / Foto: Imago / 8 / Seite ausdrucken

Für Freunde des bitteren Auflachens

Mit „Tau. Betrachtungen“ hat Stephan Krawczyk ein Buch vorgelegt, das man über weite Strecken nicht unbedingt zur Hebung der Stimmung empfehlen würde – ansonsten allerdings schon.

Stephan Krawczyk spielt Gitarre, singt und schreibt. Eine schöne Kostprobe, bei der alle drei Fähigkeiten zum Einsatz kommen (bzw. beckmesserisch: zum Einsatz kommen oder zum Einsatz gekommen sind – da das Schreiben des Liedtextes vorangegangen sein muss), findet man hier.

Mit „Tau. Betrachtungen“ hat Krawczyk nun ein Buch vorgelegt, das man über weite Strecken nicht unbedingt zur Hebung der Stimmung empfehlen würde – ansonsten allerdings schon, besonders für Freunde des bitteren Auflachens. In einer Reihe von kurzen, selten den Umfang von zwei Seiten überschreitenden Texten sind Gedanken, Erlebnisse, Beobachtungen und Weitergesponnenes festgehalten – Persönliches, eingeflochtene Erinnerungen, an der Substanz Kratzendes, vor allem aber über den Zustand und den Lauf der Welt, über den Weg, auf den sich die Mehrheitsgesellschaft begeben hat oder auf den sie sich hat schicken lassen. Viel Aphoristisches ist dabei. Mallorca, wo Krawczyk einen Wohnsitz hat, ist oft Ort der verarbeiteten Eindrücke. Die DDR, aus der er als Oppositioneller 1988 in die Bundesrepublik abgeschoben wurde, bietet ihm Vergleiche zu gegenwärtigen Tendenzen; der Erhalt der Sprache, die gerade den Bach runter gehe, ist ihm ein Anliegen.

Krawczyks pointiert formuliertes Unbehagen ist dem entsprechend geneigten Leser vertraut, so heißt es etwa: Der Mensch muß von seiner Schädlichkeit überzeugt sein, um die Klimarettung als finale Rettung seiner Selbst zu begreifen, als den Einzug ins Paradies der Klimagerechtigkeit, Klimafolgen und Klimaneutralität, aus dem Klimalügner durch Klimasolidarität, Klimaschutz und Klimakollaps getilgt sind, wo, für das Klima zu sterben, ein Märtyrertod ist. Dem Toten wird postum der Große Genderstern mit Nanolaub und digitalem unendlich gültigen Impfzertifikat verliehen. Endlich Ruhe.

Die arg überspitzte Unbedingtheit – sofern man Unbedingtheit überspitzen kann – ist das Element des Autors, allerdings fällt Widerspruch selbst dem knochentrockenen Ernstnehmer schwer, wenn Krawczyk von Hygienefaschismus spricht oder schreibt: Wie sich die SED in PDS und dann in Die Linke umbenannt hat, müßte auch der Stasi in ihren Häutungen ein Name gegeben werden. Aktuell heißt sie Staat – eine Mehrheiten schaffende Maschine. Die Mehrheit will, was die Mehrheit wollen soll. Spätestens seitdem die maßgeblichen deutschen Massenmedien Geld vom Staat bekommen, gehört Demokratie verboten.

Ab in den Park

Krawczyk argwöhnt, dass Orwells Dystopie „1984“ möglicherweise von einigen besonders Ehrgeizigen als Utopie verstanden wird und beklagt, dass seinerzeit das Buch „Esel-Erziehung“ ausverkauft gewesen sei – Kein Wunder, daß es viele ungezogene Esel gibt. Sie wachsen nach. Es kommen immer neue. Krawczyk kann beruhigt sein, das Werk ist wieder lieferbar.

In mancher der unsäglichen Corona-Maßnahmen ist für ihn unter Umständen tatsächlich zukunftsweisendes Potenzial vorhanden. So werde vieles unternommen, um die Mehrheit immer gleicher zu machen. Wahrscheinlich läuft es auf eine stinklangweilige Menschheit hinaus. Dann freut man sich, einen mit Maske zu treffen, weil das gelangweilte Gesicht verdeckt ist.

Der Besuch eines Drogeriemarktes führt Krawczyk zur Frage, wer sich eigentlich ausdenke, was gebraucht werde. Die alten weißen Männer kommen gut weg bei ihm, es mache ihn nicht gerade zuversichtlich, sich das Gemeinwesen ohne sie vorzustellen. Regionen in Deutschland kennt er, in denen man ein Gedicht vortragen könne, in welches das Wort Neger eingebaut sei – ohne dass das Publikum danach gleich zwei Regenbögen und eine Sonnenblume beten müsse. Und es geht auch ein klein wenig poetisch, zumindest gemessen an den meisten Passagen dieses Buches: Ich danke der Schöpfung, daß alles so wunderbar klappt, und rufe der Wissenschaft und auch der Forschung zu: Es reicht! Schon lange! Hört endlich auf damit, die Materie zu foltern. Ein Urknall hat ihr gereicht. Sie will ihre Ruhe haben. Setzt euch in den Park und staunt.

Der Lebenssinn ist Krawczyk ein starrer Geselle. Selbst wenn der schon lange ausrangiert gehört, bleibt er im intimen Rechtfertigungsgebäude hocken und schreibt diskrete Dekrete über sinnvolle Freizeitgestaltung. In diesem Sinne wohl am besten: Ab in den Park (das geht auch zu dieser Jahreszeit) – vielleicht ja mit dem Buch „Tau“ (das in der EXIL-Reihe des Buchhauses Loschwitz erschienen ist und hier erworben werden kann). Oder einfach nur zum Staunen.

Foto: Imago

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Leserpost

netiquette:

Ulrich Schellbach / 12.12.2022

@Siegfried Ulrich: Nehmen Sie bitte Tellkamp als Synonym für Harald Schmidt und Krawczyk für Stefan Raab und berücksichtigen in diesem Zusammenhang die Aussage Schmidts im “Grünen Salon” am 26.06.2000: “Was hat es für den Papst bedeutet, als Luther kam?” Zwischen Tellkamp und dem anderen ist das Wasser schlicht und einfach viel zu tief…

Arne Ausländer / 11.12.2022

@Helmut Driesel: Ich habe in den 1980ern mal mit Stephan Krawczyk gesprochen, nach einem Konzert im Studentenklub. Da fand ich ihn auch ganz o.k., wie ja auch seine Musik. Seltsam erschien mir aber schon die Aktion bei der Liebknecht-Luxemburg-Demo im Januar 1988, selbst als Protest für unseren Geschmack damals viel zu systemnah. Was kümmerten wir uns denn um diese SED-interne Kultveranstaltung? Und dann das ausgehandelte Exil in England… War es Zufall, daß sich 1990 ein Kommilitone im Theologiestudium, um seiner Enttarnung als Stasi-IM auszuweichen, auch gerade nach England verzog? Vielleicht. Aber m.W. hat sich nach 1990 niemand der Beteiligten auf allen Seiten über die Gründe geäußert, warum man ausgerechnet auf England verfiel. Auch weiß ich nicht,was es für Stasileute attraktiv macht. Oder warum Hitlers Halbbruder vor dem 1. Weltkrieg jahrelang in Liverpool hängenblieb, anstatt - wie damals üblicher - rüber nach Amerika zu fahren. Aber gut möglich, daß das alles nichts zu bedeuten hat. Wie auch dieses Buch wohl eher Nostalgiegefühle bedienen dürfte. Mit vernünftiger Kritik, die vorhersehbar und doch sympatisch anecken wird, passend zu dem, was Krawczyk damals gesungen und gesagt hatte. - Ja, wir müssen uns Gedanken über Auswege machen. Das ist so viel wichtiger. Oder wenigstens in natürlicher Umgebung etwas für die seelische Gesundheit tun.

sybille eden / 11.12.2022

Zuviel Gehirnakrobatik kann auch schädlich sein.

Gisela Rückert / 11.12.2022

Ich fand die Auszüge ausgesprochen treffend und gut.

Ludwig Luhmann / 11.12.2022

Jaja ...“Der Mensch muß von seiner Schädlichkeit überzeugt sein, um die Klimarettung als finale Rettung seiner Selbst zu begreifen, als den Einzug ins Paradies der Klimagerechtigkeit, Klimafolgen und Klimaneutralität, aus dem Klimalügner durch Klimasolidarität, Klimaschutz und Klimakollaps getilgt sind, wo, für das Klima zu sterben, ein Märtyrertod ist. Dem Toten wird postum der Große Genderstern mit Nanolaub und digitalem unendlich gültigen Impfzertifikat verliehen. Endlich Ruhe.”—- “Zero Carbon” bedeutet, für das Klima Massenversuchsuntermenschen zu töten. Und “Zero Covid” bedeutet dasselbe. - Die Sex Pistols haben sich vor 45 Jahren einen Spaß daraus gemacht, “Cash from Chaos” zu generieren. Gretas Slogan ” I want you to panic” ist zwar auch ein genialer Slogan, allerdings ist er absolut spaßfrei. Wir befinden uns seit 2020 im Zeitalter des “Cash from Death”! Wer keine Lust mehr hat, ein Buch zu lesen oder sogar zu schreiben, hat vielleicht etwas erkannt, was er seibst nicht wahrhaben will. How to unsee the presence of the future horror ..?

Hjalmar Kreutzer / 11.12.2022

Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Wie betet man einen Regenbogen? „Ich mal mir die Welt, widewidewie sie mir gefällt“? Wie betet man eine Sonnenblume? „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich ...“?

Helmut Driesel / 11.12.2022

  Na ja, was soll man sagen, er war Berufsmusiker. Ehemaliges SED-Mitglied, studiert und ausgetreten, alles richtig gemacht. Ich fand ihn früher mal richtig gut und sympathisch. Aber nach der Wende wirkte der irgendwie durchgeknallt. Drogen etwa?  Die anderen, mit ihm befreundeten Oppositionellen wirkten in derselben Zeit besonders gelassen und zufrieden mit dem Lauf der Dinge. Denen war besser zuzuhören. Eigentlich war es doch aber zum Verrücktwerden. Es ist ja nicht verboten, Bücher zu schreiben und den Leuten seine innere Zerrissenheit um die Ohren zu hauen. Aber ich sehe es als Rückzugsgefecht, wenn nicht als letzte Schlacht. Als Aufbäumen vor dem Untergang. Ich werde sowas nicht lesen, ganz bestimmt nicht. Man muss lesen, was hilft, nichts nach innen Gewandtes, vor allem keine kryptische Poesie, auch auf den letzten Metern. Oder einfach spazieren gehen. Bitte nichts zum bitteren Auflachen mehr.

Siegfried Ulrich / 11.12.2022

Dann wird Stefan Krawczyk sich ja bald mit Uwe Tellkamp als Schicksalsgenossen treffen können…

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