Früher Kommunist, heute Vorausschau-Kommissar

EU-Kommissar für „strategische Vorausschau“ nennt sich der Posten, den Ursula von der Leyen mit dem Slowaken Maroš Šefčovič besetzt hat. Er hat eine Bilderbuch-Karriere von der Kommunistischen Partei nach Brüssel hinter sich.

In unserer Serie zu den EU-Kommissaren geht es weiter mit Maroš Šefčovič, dem Vize-Kommissar für „Interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau“. Der 1966 in Bratislava geborene Diplomat, Jurist und mittlerweile parteilose Politiker ist schon seit 2009 Mitglied der Europäischen Kommission.

Allerdings war Šefčovič nicht immer parteilos, sondern trat 1989, kurz vor dem Systemwechsel, der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bei. Studiert hatte er in Moskau (Internationale Beziehungen) und Bratislava (Jura), seiner Geburtsstadt. Ab 1990 stand er im diplomatischen Dienst der CSSR, ab 1993 der Slowakei. Nach Stationen in Harare und Ottawa war er u.a. Botschafter in Tel Aviv, Generaldirektor in der Abteilung „Europäische Angelegenheiten“ des slowakischen Außenministeriums sowie Ständiger Vertreter seines Landes bei der EU und kam 2009 als Nachrücker in die EU-Kommission. Dort war er zunächst für Bildung, Jugend und Kultur zuständig, dann für Interinstitutionelle Beziehungen und Verwaltung und damit als Personalchef für 25.000 Kommissions-Mitarbeiter verantwortlich. 2014 wurde er Kommissar für die Energieunion. 2019 unterlag er als Präsidentschaftskandidat in der Slowakei der Bürgerrechtlerin Zuzana Caputova in einer Stichwahl.

Šefčovič kann also als durchaus ehrgeizig, karriereorientiert und durchsetzungsstark gelten. 2018 hatte er sogar vor, Junckers Nachfolger zu werden und sich deswegen bei den Sozialdemokraten im Europaparlament als Spitzenkandidat für die Europawahl beworben. Bekanntlich kam es anders. Šefčovič spricht fließend Englisch, Russisch und Französisch. „Big Maros“, wie er auch genannt wird, ist in der Kommission nun nicht nur für die Beziehungen zu den anderen EU-Institutionen, für den Blick in die Zukunft und für die Überwachung des Brexit-Abkommens zuständig, sondern er soll sich auch um die Schweiz kümmern, wozu Kommissionschefin Ursula von der Leyen offenbar weniger Lust hat. Ob ihm dabei hilft, dass er in seinem fünfjährigen Studium am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, der Diplomaten-Kaderschmiede in der Sowjetunion, auf eine Funktionärslaufbahn vorbereitet worden ist? 

Beeindruckendes Pensum 

Auf der offiziellen Webseite der EU-Kommission sowie im persönlichen „Mission letter“ von Ursula von der Leyen an Šefčovič werden vor allem folgende Zuständigkeitsbereiche Šefčovičs aufgeführt: Führende Rolle bei interinstitutionellen Beziehungen, besserer Rechtsetzung (Linkund strategischer Vorausschau (Link). Sicherstellung der Einhaltung der Rahmenvereinbarung zwischen der Kommission und dem Parlament. Lenkung der Arbeiten zur Entwicklung des jährlichen Arbeitsprogramms der Kommission (Link). Erstellung des jährlichen Foresight-Berichts, in dem es u.a. um die angestrebte Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 und um Strategien zur Stärkung der „weltweiten Führungsrolle“ der EU geht (Link). Koordinierung der Arbeit der Kommission an der Europäischen Batterieallianz (EBA) (Link), deren Auftrag in der Rohstoff-Sicherung bis hin zur Batterieproduktion für die Erreichung der Klimaneutralität besteht. Mitwirkung an der Konferenz zur Zukunft Europas (Link), Koordinierung der Arbeit der Kommission in Bezug auf Legislativvorschläge. Gesamtverantwortung für die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten, beratenden Gremien und der Europäischen Bürgerbeauftragten. Vorsitz der REFIT-Plattform (Linkfür ein einfacheres EU-Recht mit geringeren Kosten. Vertretung der Kommission im „Rat für Allgemeine Angelegenheiten“ des Europäischen Rats. Ko-Vorsitz und Vertretung der Europäischen Union im Partnerschaftsrat aufgrund des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Großbritannien. Beziehungen zu Andorra, Island, Monaco, Norwegen, Liechtenstein, San Marino und eben der Schweiz.

Ein beeindruckendes Pensum. Erfüllter wäre Šefčovičs Karriere im Dienste der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei wahrscheinlich auch nicht ausgefallen. In seinem Kernressort, der „strategischen Vorausschau“, geht es darum, „Trends, Risiken, neue Fragestellungen und deren mögliche Auswirkungen und Chancen vorauszusehen und nützliche Erkenntnisse für die strategische Planung, Politikgestaltung und Vorsorge zu gewinnen; neue Initiativen zu erarbeiten und bestehende Initiativen der Kommission im Einklang mit dem überarbeiteten Instrumentarium für eine bessere Rechtsetzung zu überprüfen.“ Von der Leyen hat hohe Erwartungen an ihre Vize-Kommissare formuliert. In ihrem „Mission letter“ hält sie fest:

„Lieber Maroš, bei den letzten Europawahlen haben sich die Menschen in Europa in Rekordzahl an der Wahl beteiligt. Sie haben uns den Auftrag erteilt, bei den großen Fragen unserer Zeit, die die Zukunft unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft und unseres Planeten bestimmen, entschlossen und ehrgeizig zu handeln. Das Coronavirus hat Europa und die Welt in ihren Grundfesten erschüttert und die Gesundheits- und Sozialsysteme, unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften sowie unsere Art des Zusammenlebens und -arbeitens auf die Probe gestellt. Veränderungen des Klimas, der digitalen Technologien und der Geopolitik haben bereits tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben der Europäer. Wir sind Zeuge großer Veränderungen, die von den globalen Machtstrukturen bis hin zur lokalen Politik reichen.“

Und sie betont noch einmal: „Unsere Aufgabe als Europäische Kommission ist es, eine Führungsrolle zu übernehmen, die Chancen zu ergreifen und die Herausforderungen zu bewältigen, die diese Veränderungen mit sich bringe.“ Ob Šefčovič diesen Erwartungen gerecht wird? Folgt man seinen öffentlichen Äußerungen, ist von der Leyen sicher zufrieden mit ihm.

Ukraine-Wideraufbau mit „sauberen“ Technologien 

Aktuell sind von Šefčovič eine Rede zur Batterieallianz vom 1. März sowie eine Presserklärung nach der zweiten offiziellen Sitzung des Lenkungsausschusses der EU-Energieplattform vom 2. März auf der Kommissionswebseite abrufbar. Doch interessanter ist, was Šefčovič am 14. Februar in Washington beim Atlantic Council sagte. Hier ein Auszug seiner dortigen Ansprache:

„Angesichts unserer übermäßigen Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen und der Tatsache, dass die Ukraine eine der Hauptrouten für den Transport von Gas nach Europa ist, mussten wir uns schnell anpassen und diversifizieren. Also haben wir unseren Energieverbrauch gesenkt - mit Gaseinsparungen von 20 % - und uns alternativen Gaslieferanten zugewandt. Doch das hatte seinen Preis. In einigen EU-Ländern stiegen die Strompreise für die Haushalte um mehr als 60 %. Unsere Unternehmen mussten mit einem Anstieg der Gaspreise um bis zu 270 % fertig werden. Deshalb plant die EU zum ersten Mal einen gemeinsamen Gaseinkauf, bei dem sie ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale wirft - ein Unterfangen, das ich zu koordinieren hatte. Wir hoffen, dass wir bis April damit beginnen können - zum Nutzen nicht nur der EU, sondern auch der Ukraine und Moldawiens. Wir haben bei vielen Gelegenheiten gesagt, dass wir der Ukraine so lange zur Seite stehen werden, wie es nötig ist. Das gilt natürlich auch jetzt, wo wir uns dem Wiederaufbau zuwenden. In einigen Bereichen fangen wir nicht bei Null an und machen trotz des Krieges Fortschritte. Ich spreche hier vor allem von sauberen Technologien wie Batterien und wichtigen Mineralien. 

Šefčovič ist gedanklich also schon mit dem Wiederaufbau der Ukraine mit „sauberen Technologien“ beschäftigt. In die gleiche Richtung ging er am 15. Februar beim Center for Strategic and International Studies. Der „Inflation Reduction Act", auf den sich Šefčovič darin bezieht, sieht Milliardenhilfen für Klima-Technologien in den USA vor und ist auch für europäische Unternehmen höchst attraktiv. In Deutschland plane laut Industrie- und Handelskammer bereits jedes zehnte Unternehmen Produktionsverlagerungen in die USA. Dass zur Abwanderung europäischer Unternehmen in die USA gerade auch die EU-Politik selbst beitragen könnte, zieht Šefčovič offenbar nicht in Betracht. Doch warum sollten Konzerne in der EU bleiben, wenn hier etwa das Verbrennerverbot, horrende Energiepreise sowie erdrückende Kosten für Gebäudesanierungen im Rahmen des europäischen Green Deal drohen? 

Foto: EU2017EE Estonian Presidency CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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