Henryk M. Broder / 26.02.2019 / 06:21 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 106 / Seite ausdrucken

Früher war alles besser. Ich auch.

Ich bekomme viele Zuschriften von Lesern, die sich über meine Texte ärgern oder freuen, die sich bedanken oder irgndetwas zurechtrücken wollen. Neulich habe ich in einem Artikel Robert Lembke mit Heinz Maegerlein verwechselt. Nicht schön, aber auch kein Beinbruch. Kann schon mal passieren, ich habe auch Mühe, Roberto Blanco und Andy Borg auseinanderzuhalten. 

Hassbriefe bekomme ich so gut wie keine, einen bis zwei pro Woche. Sie sind meist ellenlang und enden fast immer mit dem gleichen Satz: "Sie sind es nicht wert, dass man sich mit ihnen beschäftigt!" Oder: "Es wird Zeit, dass Sie nach Polen zurückgehen!" Oder nach Israel. So lange sich da keine eindeutige Tendenz herausgebildet hat, fahre ich am liebsten nach Island oder an das Sneeker Meer in Holland. 

Kollegen, die sich mit mir bzw. dem beschäftigen, was ich schreibe, sind sich dagegen weitgehend einig. Früher war ich besser, viel besser, da habe ich mich für irgendeine gerechte Sache eingesetzt, ich war mal "ein journalistisches Genie", während ich heute "falsch abgebogen" bin. Bei einer solchen Gelegenheit verglich mich der delirierende Salonkommunist mit Albert Einstein, der sei, ebenso wie ich, auch ein "Genie", allerdings ein überschätztes, gewesen. Es sei ihm nicht gelungen, "eine einheitliche Feldtheorie zu finden und so seine längst vollendete Karriere noch einmal zu bekrönen". Ja, so geht es mir auch.

Was bedeutet es also, wenn mir immer wieder attestiert wird, ich sei früher "gut" oder "besser" gewesen, heute dagegen ein irrlichternder alter Mann? Habe ich zu viel "Dschungelcamp" gesehen oder sind meine Rezensenten vom Roten Libanesen auf die Acker-Kratzdistel umgestiegen? Schauen wir einmal zurück.

Dabei war er früher doch einer von uns!

Als ich mich Ende Februar 1981 in der ZEIT (!) von meinen linken Freunden, die mehr oder weniger antisemtisch versaut waren, verabschiedete, waren die Reaktionen verheerend. Wie konnte ich nur brave Linke des vererbten Antisemitismus beschuldigen? Einen linken Antisemitismus könne es nicht geben, riefen sie mir im Chor zu, Antisemitismus sei immer "rechts". 

So tönte es mir auch entgegen, als 1986 „Der ewige Antisemit" erschien. Unmöglich, dieser Broder, dabei war er früher doch besser, einer von uns! Es dauerte 24 Jahre, bis sich ein junger Linker zu einem verhaltenen Lob  durchgerungen hatte, wobei er sich die Relativierung nicht verkneifen konnte, ich wäre „über das Ziel hinaus" geschossen. Der Mann ist heute Minister in Meck-Pomm, also am Ziel seiner Träume.

Die Geschichte wiederholte sich wie ein Tag im Leben von Phil Connors. 1991, als DER SPIEGEL meinen Text „Unser Kampf" gut genug fand, um ihn abzudrucken; 2002, als "Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror" herauskam über die deutschen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001; 2006, als die taz „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken" zum Anlass nahm, über mich zu schreiben, Broder gehe "genau so vor wie ein islamistischer Scharfmacher, nur eben spiegelverkehrt“; 2011, als Patrick Bahners, Feuilletonchef der FAZ mich zu einem der „Panikmacher" erklärte, die "Angst vor dem Islam" schüren würden; und danach immer wieder aus beliebigen Anstößen.

Inzwischen bin auch ich davon überzeugt, dass ich früher besser war. Weil früher alles besser war. Die FAZ, die Politik, das Wetter, das Fernsehen, der Bommerlunder, Ostern und Weihnachten. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Klaus-Dieter Zeidler / 26.02.2019

Solange ich Broder lese ist alles in Ordnung! Wenn ich es nicht mehr tue, ist es nur noch die NZZ. Danach kommt dann nichts mehr.

Dirk Jungnickel / 26.02.2019

Neulich träumte mir:  Eine große Festivität mit noch größerem Strassenumzug. Dschingdarassabum.  Inmitten ein Baldachin (Traghimmel) unter dem abwechselnd sich Promis, vor allem Politiker, tummelten.  Ansehnliche und Unansehnliche. Weibliche und Männliche. Immer wieder aufbrandender Jubel und Hochrufe an den Strassenseiten. Obwohl die unter dem Baldachin nackt waren. Dann ein kindlicher Schrei : Die haben ja gar nichts an !  Es war der Henryk , verkleidet als Kleiner Junge. Und ich wühlte schlaftrunken in meinen Kissen nach ein paar Blümchen ....

J. Polczer / 26.02.2019

Erinnerungen sind meistens besser als das Leben, das man gerade führt. Unser Kopf spielt uns da manchmal allzu gerne einen Streich. Ich persönlich finde ihre Beiträge köstlich und freue mich jedes Mal auf den nächsten. Sie vertreten ihre Überzeugungen und für diese Courage, meinen Respekt.

Klaus Klinner / 26.02.2019

Lieber Herr Broder, wir sind so ungefähr eine Altersklasse und auch an mir bemerke ich die Metamorphose vom Begeisterten zum Nachdenklich-Abwägenden.  Früher war ich für alles “Neue” zu haben, sozial musste es sein, den Menschen guttun, die noch dazu merken sollten, dass ich es gut mit ihnen meinte. Inzwischen weiss ich, dass dies inhuman ist, die Menschen zu Mitläufern und Abhängigen erzieht und den Fortschritt hemmt. Heute weiss ich auch, dass Fortschritt eine stabile materielle und ideelle Basis braucht und das Leben in Wolkenkuckucksheim fortschrittsfeindlich ist. Was ich sagen will, sie sind nicht allein und ich zumindest verstehe ihren Kummer. Früher war alles besser, Adenauer, Ulbricht, Honecker und Kohl - Vorwärts immer, rückwärts nimmer.

HaJo Wolf / 26.02.2019

Was meinen Sie mit “früher”, Herr Broder? Meinen Sie die Zeit, als die SPD noch eine Partei des kleinen Mannes, der Arbeiter war? Als die CDU noch konservative Werte hatte und für den Erhalt derselben stand? Als es die Grünen noch nicht gab und die Kommunisten verboten wurden? Ja, wenn das “früher” war, dann war wirklich früher vieles Besser. Da konnte man (und frau) noch abends über die Kölner Ringe spazieren ohne schleimig-aggressive Anmache durch geschenkte Menschen befürchten zu müssen. Da gab es noch Zinsen auf Angespartes und man konnte für sein Alter vorsorgen. Ach ja… Ich bin froh, dass ich dieses “früher” miterleben durfte und dass ich die Zukunft, die Merkel geschaffen hat, die AKK und KGE noch verschlimmern werden, dass ich von dieser Zukunft nur noch einen Zipfel miterlebe - in der Gegenwart zu leben ist schlimm genug.

Anders Dairie / 26.02.2019

Die Leute ehren Sie, Herr BRODER, wenn Sie richtig hinhören.  Die Reminiszenz “...einer von uns…”  zeigt die innere Ausrichtung.  Diese Figuren würden ja gerne auf der Basis eigener Einsichten schreiben.  Jedoch, bitte,  dann ohne Mut,  Kraftanstrengung und Risiko.  Gar als die Typen Schriftleiter?  Momentan geht uns die Pressefreiheit verloren.  Ob sie wieder gewonnen wird ?  Vielleicht nach der Ära des GG ?  Bestimmt nicht in einem Gottesstaat oder Russen-Staat. Wir haben zwei noch verdeckte aber höchst virale Sorgen:  Den finanziellen Zusammenbruch der EU durch Schulden und drohende Rezession.  Sowie die kaum mehr zu unterdrückende Gewalt Eindringender, die sich als bessere, weil gottgläubige,  Menschen wähnen.  Bricht der Euro, versiegen die Quellen und der Kampf um die Brocken wird blutig.  Das, Herr BRODER, lässt Sie auch an ISRAEL denken und Partei nehmen.  Das europ. Schicksal ist im ISRAEL-Konflikt vorgezeichnet.

Robert Jankowski / 26.02.2019

Ist doch klar: wenn Jemand, wie Sie, links blinkt und rechts abbiegt, dann rechtfertigt das jede Massnahme gegen ihn. Ähnlich, wie Herr Magnitz von der AFD, der früher Mitglied bei der DKP gewesen ist. Aber keine Sorge: da Sie Jude sind, wird die ANTIFA Sie zähneknirschend “übersehen”. Eine Frau und Lesbe, wie Frau Weidel, wird man auch kaum attackieren. Dann eher schon Jemanden, wie Dr. Blex. Als gebildeter Mensch wird der auch nicht gerade über größere kämpferische Fähigkeiten verfügen und somit ein geringes Risiko für die heroischen ANTIFA Angreifer darstellen.

Peter Vogel / 26.02.2019

Ach gut, wie kommt es bloß, von den Regierungsdarstellern mit ihrem sich andienenden Haltungstross bis in letzte Otterndorf, alle sind sich einig, der Broder gehört abgewatscht, abgelehnt, abgelegt auf Nimmerwiedersehen - und dann - endlich Ruhe ! Ruhe vor dem kritischen Denker, vor dem überlegenen Humoristen, vor dem scharfsinnigen wie scharfsichtigen Beobachter mit seiner unvergleichlichen Art, zu schreiben. In dieser Ruhezone könnten alle Selbsternannten, Selbstverliebten sich und dem, was sie im Verein mit ihren Hofberichterstattern sich abgerungen haben über alle Medien konkurrenzlos wie im Zwangsbezahl-TV auf allen Kanälen dem zahlenden Publikum verabreichen, ohne befürchten zu müssen, sich wie bisher der Kritik auszusetzen. Nur, so wird es nicht kommen. Da sei die Achse mit Klarsicht und Humor zwischen, und wie man an der Küste sagt, vor. Heute und in Zukunft, so lange es noch etwas zu Lachen gibt, und dafür wird weiter in Berlin gesorgt. Auch wenn es weh tut, oder gerade deshalb, wie wären sonst all diese Zumutungen auszuhalten, ohne Kritik, ohne Biß, ohne Humor?

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