Die Legende von der zurückgehenden Bedeutung industrieller Produktion ist absurd. Richtig ist hingegen, dass die westlichen Industrienationen, die dadurch groß und reich geworden sind, fälschlich denken, sie hätten das nicht mehr nötig.
Die Bundeszentrale für politische Bildung, in direkter Hörigkeit zum Bundesinnenminister und damit der Bundesregierung, fragt erkenntnisoffen: „Was bleibt von Deutschlands Industrie übrig?“
Ganz nah am Puls der Zeit gibt man zu, „dass die deutsche Industrie in einer tiefen strukturellen Krise steckt. Ein weithin sichtbares Signal waren dabei die Probleme von Volkswagen.“ Woran mag das liegen? Wir wissen es nicht, oder die Bundeszentrale weiß es nicht, oder sie ahnt es, sagt es aber lieber nicht. Die Frage muss leider im Raum stehen bleiben, nackt und unbefriedigt. Die Krise bei VW, so muss man annehmen, ist einfach nur ein Beispiel dafür, wie es „für weite Teile der deutschen Industrie“ aussieht. „Die Auftragslage ist in vielen Branchen schwach.“
Ein Hauch von Erklärung deutet sich an: „Besonders brenzlich ist die Lage in energieintensiven Branchen. […] bleibt Energie teurer als vor dem Ukraine-Krieg. Entsprechend schwierig ist die Lage in Wirtschaftszweigen wie Chemie, Metall- und Kunststoffverarbeitung oder Glas und Keramik.“ Ist es noch witzig, dass die Energiepreise wahlweise unerklärlich aus dem Nichts kommen oder am Russen liegen?
Sind hohe Energiepreise schlecht – oder gewünscht?
Schon komisch jedenfalls: Einerseits bekommen wir doch Wind- und Solarstrom von Mutter Natur geschenkt, und wir sind mit der „Energiewende“ laut konstanten Jubelmeldungen wegen Plansollübererfüllung ja auch schon total weit vorangekommen, aber andererseits schlagen hohe Preise von Gas und Öl trotzdem extrem auf die Wirtschaft durch. Man sollte meinen, beides zugleich kann nicht sein. Außerdem will das Energie-Wende-Regime doch ausdrücklich, dass fossile Energie verteuert wird, damit man weniger davon benutzt, dazu führt ja unaufhaltsam die immer höhere CO2-Abgabe. Also warum dann böse sein auf Putin, der die Verteuerung insoweit nur leicht beschleunigt hat?
Von den planwirtschaftlichen Vorgaben gegen den Verbrennungsmotor ist hier bei der Bundeszentrale vorsichtshalber nicht die Rede, der EU-Regulierungswut für sämtliche Industrie oder der chinesischen Billig-Dumping-Konkurrenz. Politische Bildung sollte wohl auch nicht unnötig durch Details belastet werden.
Immerhin, allgemeine Rettung naht, denn: „Das Thema ist inzwischen in der Politik angekommen.“ Schreibt man (mit oder ohne Ironie?) im Januar 2025, nach Jahren der Stagnation, die von der Politik eigentlich mutwillig verursacht wird, nicht nur durch die „Energiewende“ und Konsorten, sondern auch durch die wahnhaften „Lockdowns“ aufgrund des Virus aus Wuhan, und hernach wollte man angeblich „build back better“, in allen Davos-hörigen westlichen Regierungen. Ist wohl mehr ein „break down further“, ein immer weiteres Wegbröckeln.
Da haben wir’s: Die viele Industrie ist das Problem, nicht ihre Abschaffung
Ganz so krass sagt die Bundeszentrale das nicht, gibt aber zu: „Verschiedene 'Industriegipfel‘, die Regierungsvertreter im Laufe des zurückliegenden Jahres abhielten, haben bislang kaum greifbare Ergebnisse gezeitigt.“ Hoppla, die regierungsamtlichen Aufklärer sind selbstkritischer, als man geahnt hätte. Solange es nicht an die ideologische Substanz geht, jedenfalls.
„Wo ist das Problem“, fragt der Aufsatz weiter, als dicke Überschrift mit extra Ausrufungszeichen-Signet-Wachmacher, damit man es aber auch wirklich merkt, dass jetzt hier ganz was Wichtiges kommt. Und nun das Problem: „Die deutsche Wirtschaftsstruktur ist vergleichsweise industrielastig. Die Produktion von materiellen Gütern trägt immer noch 19 Prozent zur Wertschöpfung bei, rund doppelt so viel wie in den USA, Frankreich oder Großbritannien.“ Da haben wir’s. Die viele Industrie ist das Problem, nicht ihre Abschaffung.
OK, so meint man das nicht direkt, vermutlich. Ist nur ein Lapsus in der wohlgemeint pädagogischen extra-lockeren Aufmachung für Doofe, pardon, den einfachen Bürger. Gleichwohl – was für ein Ausdruck ist das: „industrielastig“? Würde man jedem Wort so nachschmecken, wie es die akademischen Besserwisser üblicherweise tun, müsste man annehmen, dass man im Berlner Regierungs-Establishment die Industrie für eine Belastung hält. Was man ja auch, ideologisch betrachtet, tut. Freud’scher Versprecher, oder so.
Der ewige Strukturwandel und die Schwellenländer
Nun kommt ein Stück Text, wo der Abbau von Industrie-Arbeitsplätzen wirklich blöd ist. Dann diagnostiziert man weiter: „Ein Problem stellt Deutschlands starke Spezialisierung auf wenige Branchen dar. Die Autoindustrie, aber auch Maschinenbau und Chemie tragen zusammen den mit Abstand größten Teil zum Export bei.“ Das soll wohl so sein, nachdem viel Stahlindustrie und weite Teile der Konsumgüterproduktion über Jahrzehnte ins Ausland verlagert worden sind. Das ist keine zielgerichtete „Spezialisierung“, sondern es sind einfach nur noch ein paar Vorzeige-Branchen übrig geblieben.
Diese leiden nun unter der brenzlichen Energie, aber vor allem unter „Protektionismus“. Protektionismus durch die EU kann es kaum sein, oder er wäre wenig effektiv. „Viele Schwellenländer verfügen inzwischen über ähnliche Fähigkeiten.“ Ja, China im Abkupfern und im Stehlen intellektuellen Eigentums, darin sind sie Weltklasse. So genau will die Bundeszentrale es aber nicht wissen, geschweige denn aussprechen.
Immerhin: „Strategische Subventionen für Sektoren wie E-Autos und Solarpanels, zumal in China, führen zum Aufbau von Überkapazitäten, was in einigen Sektoren zu einem Preisverfall geführt hat.“ In anderen Worten: China drückt seinen überdimensionierten, mit Kohlestrom produzierten Industrie-Ausstoß zu Dumpingpreisen auf die Weltmärkte und macht damit jede Konkurrenz in den anderen Schwellenländern wie in den traditionellen Industrienationen platt, um ein Monopol zu errichten und die Welt nach Belieben zu kontrollieren und auszubeuten.
So eine Art naturgesetzlicher Prozess
So undiplomatisch gegenüber China will man natürlich nicht formulieren, und irgendwie scheint es auch so eine Art naturgesetzlicher Prozess zu sein, unter dem die deutsche Industrie leidet, kulminierend in dem schönen fettgedruckten Wort vom „Strukturwandel“. Weniger Industrieproduktion „physischer Güter“, mehr Dienstleistungen. Gemessen an der Zahl von Barber-Shops mit Migrationshintergrund sowie interessant riechender Fingernageloptimierungs-Studios in meiner örtlichen Fußgängerzone dürfte das zutreffen, aber das ist natürlich nur anekdotisch, nicht auf dem Niveau der Bundeszentrale.
Dann kommt wieder der „Aufholprozess“ der Schwellenländer, die uns während ihres Aufstiegs zunächst noch willig unsere schönen Exportprodukte abgenommen haben, was unserer Industrie ein Zwischenhoch bescherte. Jetzt ist leider Schluss damit. Aber wie ist das möglich, dass unser historisch angestammter Vorsprung, das besondere Können deutscher Ingenieure und Entwickler, einfach so dahinschwindet? Das wird gar nicht erst gefragt, geschweige denn beantwortet. Es ist einfach mal so. Wir sollen glauben, dass Brasilien und Indien jetzt auch alles können, was früher nur wir konnten. Wirklich? Oder Malaysia? Mexico? Oder ist es am Ende doch wieder hauptsächlich China, als ungenannt bleiben wollender Schurke?
Wieder wird suggeriert, es mache uns anfällig, dass bei uns noch physisch produziert wird, „es hierzulande nach wie vor eine Menge Industriejobs mit geringerer Produktivität gibt“ – verglichen mit den weiße-Kragen-Jobs der Ingenieure und Zahlenjongleure. Aber ist eine Fabrik in Deutschland weniger produktiv als eine in China? Oder liegt es eben doch an den Dumpingpreisen aus Fernost, basierend auf Unterdrückung und Ausbeutung dortiger Arbeiter? Und sind wir dem hilflos ausgeliefert, politisch?
Sind wir echt post-materiell?
Die Politik macht was, fingert aber erfolglos am falschen Ende herum, wie man erstaunlich ehrlich bilanziert: „Traditionelle Stahlstandorte in Duisburg und Saarlouis sollen mittels staatlicher Milliardenförderung auf Wasserstoffproduktion umgestellt werden. Die Resultate dieser Strategie sind bislang bescheiden. So hat der US-Halbleiterhersteller Intel die Ansiedlung einer Fabrik in Magdeburg wegen der schlechten Geschäftslage des Konzerns auf Eis gelegt, obwohl der deutsche Staat knapp zehn Milliarden Euro an Beihilfen bereitgestellt hatte. Der Stahlkonzern ThyssenKrupp will trotz Milliardenhilfen für die Dekarbonisierung Kapazitäten abbauen.“
Sogar die Bundeszentrale sagt offen und deutlich, dass das politische Herumdoktern und Zuschmeißen der wegbröckelnden Industrie mit Milliarden-Zuschüssen für offensichtlichen groben Unfug, der physikalisch-technisch bodenlos ist, und ökonomisch nicht tragfähig, reine Geldverschwendung darstellt.
Dann kommt aber wieder nur gemischte Ratlosigkeit und unparteiisches einerseits-andererseits. Wieder ist es der unerbittliche, unaufhaltsame Strukturwandel, weg von der Industrie. Und dann das: „Zum anderen sind die menschlichen Bedürfnisse nach physischen Gütern begrenzt: Wer bereits ein Auto besitzt, braucht eigentlich kein zweites oder drittes. Mit zunehmendem Wohlstandsniveau steigt hingegen der Bedarf an Dienstleistungen und Wissensgütern – von Gesundheitsservices über digitale Unterhaltungsangebote bis zu Bildung und Kultur.“
Yoga-Kurse für saturierte Bildungsbürger?
Richtig ist, dass die Zahl der PKW in Deutschland inzwischen vermutlich nah an der Sättigungsgrenze ist; andererseits bedeutet das in Wirklichkeit einen massiven Ersatzanschaffungs-Bedarf auf sehr hohem Niveau, also kann der Niedergang der Auto-Industrie wohl kaum hier seine Ursache haben. Wieso bedingt höheres Wohlstandsniveau mehr „Gesundheitsservices“? Macht mehr Wohlstand uns kränker? Haben wir die Leute früher einfach wegsterben lassen? Oder sprechen wir hier über Yoga-Kurse für saturierte Bildungsbürger?
Digitale Unterhaltungsangebote zum Zeitvertreib, nachdem man schon mit 63 in Rente gegangen ist, sind zwar technologisch neu, aber früher haben die Leute nach Feierabend auch schon vor der Glotze gehockt und die Programme sind dafür produziert worden. Vor allem aber sind die materiellen Bedürfnisse der Menschen generell natürlich nicht geringer geworden; es wird im Gegenteil mehr konsumiert und als industriell gefertigtes Produkt gekauft als je zuvor, jedenfalls soweit das Geld trotz Inflation noch dafür reicht.
Viele physische Güter zum Anfassen gab es früher gar nicht, wie Computer oder Smartphones für jedermann; auch gab es früher keine Ramschthekenshops mit Bekleidungsstücken so spottbillig, dass es kaum noch lohnt, das Zeug nach Benutzung zu waschen und erneut anzuziehen.
Weiterbilden – aber für welche Branche?
Die Legende von der zurückgehenden Bedeutung echter industrieller Produktion ist einfach absurd. Richtig ist hingegen, dass die westlichen Industrienationen, die dadurch groß und reich geworden sind, fälschlich denken, sie hätten das nicht mehr nötig, und sie könnten den ganzen Kram doch einfacher aus China einkaufen. Was außerdem den Vorteil hat, dass das böse CO2 dann dort produziert wird, während man selbst einen auf „klimaneutral“ macht.
Das ist aber kein rationales Verhalten, es folgt nur einer Mischung aus Dekadenz, antikapitalistischem Selbsthass, Naturromantik und der Strategie der globalistischen „Führungseliten“, die über Jahrzehnte mehr als reichlich an der Verlagerung der Industrie nach China verdient haben. Und nein, ich erwarte natürlich nicht, dass die Bundeszentrale das auch nur annähernd so artikuliert.
Stattdessen beklagt man fehlende Investitionen in „geistiges Eigentum“, im Gegensatz zu den Big-Tech-Konzernen an der amerikanischen Westküste. Das hilft aber nichts, denn wenn man von SAP absieht, ist der Zug wohl lange abgefahren. Noch dazu kann sich die EU nicht beherrschen und tut ihr Bestes, um Konzernen wie Apple oder X mit Regulierung und Strafzahlungen das Leben schwer zu machen, anstatt sie zu Investitionen in europäische Niederlassungen anzureizen.
Und dann noch mal ein Hammer: „Die überragende Rolle der Autoindustrie stellt für Deutschland ein zusätzliches Hindernis da.“ Ja, vor allem, wenn man der Autoindustrie das verbietet, was sie exzellent kann und was sich bisher weltweit erfolgreich exportieren ließ, mit hohen Premium-Profitmargen. Davon schweigt die Bundeszentrale beredt.
„Weiterqualifiziert“ werden, vermutlich zum Sozialarbeiter
Dann kommen noch ein paar Allgemeinplätze zur – Überraschung – „künstlichen Intelligenz und Robotertechnik“, als ob man Elon Musk hier das Wasser reichen könnte, Strukturwandel, den man „gestaltet“, wie auch immer, mehr Staatsknete für „Forschung und Bildung“, und wer als Arbeit das Pech hatte, in einer „schrumpfenden Traditionsbranche“ zu stecken, der sollte „weiterqualifiziert“ werden, vermutlich zum Sozialarbeiter, oder Bartschneider im Barber-Shop.
Dann kommt noch der Ausbau der „Infrastruktur“, um „bisherige Engpässe“ zu beseitigen: Bei Daten, denn offenbar reicht es noch nicht, dass jeder Privathaushalt schon ohne Glasfaser mehrere hochauflösende Kinofilme in Echtzeit streamen kann; in den „Verkehrsnetzen“, die man über Jahrzehnte hat verkommen lassen, so dass sie regelrecht zerbröseln; nicht zuletzt: beim Strom! Die Engpässe bestehen nämlich nur in den Netzen, nicht bei der Produktion.
Es gäbe eigentlich genug schicke Energie, muss man wohl annehmen. (Real gibt es noch die Engpässe, die wir bewusst herstellen, durch Sabotage – Pardon: Rückbau der Gasnetze, denn Gas ist fossil und böse, das muss alles per Öko-Strom, den wir gar nicht haben, aber das wird schon noch; die alten funktionsfähigen Kraftwerke sprengen wir schon mal weg.)
Es ist in Wahrheit Absicht
Zuletzt empfiehlt man bildungsbehördlich noch „leichteren Zugang zu Wachstumskapital“, für junge Dynamiker. Im Rahmen einer „umfassenden europäischen Transformationsagenda“ der EU-Kommission. Ja, sorry, das steht da so. Man hätte auch schreiben können „weiter oben haben wir uns bemüht, die traurigen statistischen Erkenntnisse über den Niedergang der Industrie einigermaßen seriös darzustellen, aber wo es wirklich weh tut, haben wir uns nicht getraut zu sagen, und nun sind wir bei reinem Politgeschwafel und Quacksalbertum angekommen. Schönen Tag noch.“ – „Transformationsagenda“, das heißt in Wahrheit: Es ist alles Absicht. Die Deindustrialisierung kommt nicht naturgesetzlich über uns, sie ist politisch-ideologisch erwünscht.
Die Kommunisten im grünen Gewand konnten Industrie noch nie leiden, sie hassen den Wohlstand des einfachen Bürgers und verachten seinen „Materialismus“; der „Club of Rome“ hat schon vor Jahrzehnten die „Grenzen des Wachstums“ ausgemalt, in Wahrheit aber der globalen Umverteilung das Wort geredet; letztere wird durch das internationale Finanzkapital seit langem unter der Patronage von Davos und Konsorten erfolgreich betrieben und industrielle Arbeit nach China verlagert; amerikanische und europäische Verbraucher werden somit „klimaneutral“ und mit Billigkram für den täglichen Konsum ruhiggestellt.
Im letzten und dritten Teil dieser kleinen Serie werden wir endlich die ganze Wahrheit erfahren, von höchster akademisch renommierter Adresse – dem Hause „ifo“, den Münchener anerkannten Wirtschaftsweisen.
Folge 1 finden Sie hier
Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation.