Das harmlose Bild von einer scheinbar gottgegebenen Deindustrialisierung ist äußerst naiv. Ohne Industrie geht es nicht – Service- und Digitalwirtschaft hin oder her. Und das Industriesterben ist nicht unvermeidlich, sondern Folge einer ideologischen Politik. Teil 1 einer neuen Serie.
„Angst vor Deindustrialisierung – zu Recht?“ fragt das ZDF und zwar unserer heutigen Zeit schon klar voraus, am 20. August vor zwei Jahren. Damals hat die ZDF-„heute“-Nachrichtenredaktion einen Vermögensmanager interviewt, und der muss es ja wissen. Die Suchmaschine bietet ein solches Stück aus 2023 als interessanteste einschlägige Behandlung des heiklen Themas durch eines der großen deutschen Medienorgane mit gebührend großem, skeptischem Fragezeichen an.
Der Vermögensberater warnt, aber vor der „German Angst", eine "typisch deutsche Panik“. Ich atme schon mal auf. Kann ja nicht so schlimm sein. Wir sind nicht krank, nur Hypochonder. Und: Wir profitieren von einer „gut ausgebildeten Bevölkerung, was in den modernen Wissensgesellschaften ein echtes Pfund ist“. Also eigentlich gar keine Probleme? Wie man’s nimmt, denn „die energieintensiven Betriebe werden mehr und mehr abwandern. Aber das ist nicht neu.“
Das Rheuma meines Nachbarn wird auch immer schlimmer, aber er ist schon dran gewöhnt. Na dann. Aber wozu überhaupt Energie? Wozu Sachen zum Anfassen produzieren, wenn man mit Bits und Bytes hantieren kann? „In Zukunft wird Deutschland vom Ausbau der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz stark profitieren.“ Digitalisierung, das heißt im Kern so viel wie, dass man überall Computer und Mikrochips einsetzt, und alles miteinander vernetzt. Damit fangen wir jetzt endlich ganz groß an. (Haben wir es wirklich so lange verpennt?)
Künstliche Intelligenz setzt leider voraus, dass man gigantische Rechenzentren aufbaut, im industriellen (!) Maßstab, von denen jedes den Strombedarf einer ganzen Stadt hat. Ist das dann auch „energieintensiv“ und Abwanderungs-gefährdet? Ich bin ein wenig verwirrt. Die sind ja noch gar nicht aufgebaut in Deutschland. Wie können sie dann schon abwandern? Hilfe, irgendwas stimmt hier nicht. Oder ich bin zu dumm. Ich gehöre womöglich nicht zur „gut ausgebildeten Bevölkerung“.
„Von guten Ideen leben"
Wie dem auch sei, wir „leben am Ende nicht so sehr von der tatsächlichen Produktion von Gütern“ – warum überhaupt noch zuverlässige Facharbeiter acht Stunden am Fließband schwitzen, erscheint geradezu mysteriös, muss wohl eine dumme Angewohnheit sein; jedenfalls: Der Experte verspricht uns, dass wir zukünftig vor allem „von guten Ideen“ leben werden, nicht von schmuddeliger Industrie. „Und da kann KI enorm helfen“. Das leuchtet mir ein – warum nicht einfach „ChatGPT“ fragen, oder was das Internet sonst so anbietet: „Hallo Computer, ich brauche mal eine gute Idee, mit der man ohne anstrengende Handarbeit oder Materialumsatz viel Geld verdienen kann. Mach bitte flott.“ Ich sehe mich schon auf dem raschen Weg zu meiner ersten Million als Unternehmer.
Bin ich unfair, indem ich den gutgemeinten Rat, KI bei „Forschung, Entwicklung, Design“ helfen zu lassen, ins Lächerliche ziehe? Sagen wir mal so: Wenn KI es wirklich fast allein kann, kann Deutschland keinen Vorsprung vor anderen behalten, denn den Computer zu fragen, ist keine ganz große Kunst. Oder KI ist auch nur ein weiteres, wenn auch faszinierendes Hilfsmittel, und am Ende kommt es eben doch darauf an, ein attraktives Produkt erfolgreich zu realisieren, mit möglichst viel Anteil an der Wertschöpfungskette. Im Ausland produzieren zu lassen, davon hat der deutsche Arbeiter nichts. Man kann auch nicht einfach aus jedem einen Ingenieur oder Designer machen.
Andererseits vermutet der Experte, dass wir „weiter in Deutschland Autos bauen, weil wir das so gut können. Aber die Mobilität der Zukunft ist elektrisch und computerbasiert.“ Da bin ich mal gespannt, wie der Computer mich elegant, gut gefedert und klimatisiert und mit allen Einkäufen oder Reisegepäck herumfährt und wieder nach Hause bringt. Und gibt es den Computer auch mit schicker Metallic-Lackierung? OK, er meint vielleicht selbstfahrende Autos, bei denen Elon Musk einen Vorsprung hat. Aber warum sollten deutsche Hersteller das nicht hinkriegen? Vorausgesetzt, sie gehen nicht zwischendurch pleite oder ihnen die Luft aus, weil man mit Batterie-Autos nicht das große Geld verdient, sondern Milliarden versenkt.
Das machen, was die Chinesen oder Elon Musk besser können?
Dann geht die wilde Jagd zum iPhone, wo der Profit angeblich in Amerika anfällt, für Software, Design und Marketing, während die Chinesen nur die Produktion beisteuern, was offenbar keinen Profit abwirft und nicht so bedeutend ist, glaubt man dem Experten. Aber wie entstehen dann Handels-Überschüsse der Chinesen von hunderten Milliarden Dollar, mit denen die Kommunisten ihr Militär aufrüsten und weltweit massiven Einfluss nehmen, und was ist mit dem Diebstahl des geistigen Eigentums der in Amerika erzeugten Innovationen, monetär zu bewerten in ähnlich astronomischer Höhe?
Ach was, da bin ich ein Opfer der „German Angst“ … wir müssen Reformen vorantreiben! Dann klappt das auch mit der Zukunft: „Die Stärken des Landes sind ja da und werden sich halten“ – außer Stärken wie Autos mit erstklassigen Antriebs-Strängen mit Verbrennungsmotoren als Basis, die wir in Deutschland so gut können, was aber wegen Klima nicht mehr sein darf. Die zig Milliarden, die wir damit ins Land geholt haben, sollen wir verdienen, indem wir das machen, was die Chinesen oder Elon Musk besser können.
Raus aus unserer Behäbigkeit! Nach vorn schauen! Aber was konkret? Wo lässt sich denn was gewinnen, welche Hindernisse müssen weg? Dem Herrn sei Dank, der Experte weiß: „Der Datenschutz ist eine heilige Kuh in Deutschland, es ist an der Zeit, sie abzuspecken. Zudem müsste die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung schneller vorangehen.“ Wer hätte das gedacht. Dass ich die berühmten „cookies“ im Internet verweigern kann und dass wir noch keine allgegenwärtige Überwachung der Bürger durch einen schlauen Zentralcomputer wie in China haben, daran krankt die Wirtschaft. Macht Sinn: Mehr Daten für mehr Computer ermöglichen mehr Datenverarbeitung, das ist schon mal für sich gut, und mehr intelligentes Künsteln erschließt dann noch wer weiß was für Effizienzreserven.
Minister Lauterbach etwa will „Schwung ins Gesundheitswesen und will die Digitalisierung voranbringen“, mit dem E-Rezept. Wenn das kein echter Fortschritt ist, dass ich dem Apotheker keinen bedruckten Zettel anreiche, sondern meine Patientenkarte hinhalte, für die er dann die Medikamente aus der Datenwolke angesagt bekommt. Bin ich ein Zyniker oder begriffsfauler „Rechter“, weil mir nicht einleuchtet, wie man mit solchen Spielereien, deren gesetzlich erzwungene Einführung vermutlich erst mal endlose Millionen kostet, Deutschlands Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit voranbringt?
Besitzstandswahrung ist blöd
Mehr Computer heißt nun nicht: auf die faule Haut legen. Weit gefehlt, sagt der Experte. Denn es gibt „zu viele Anreize, weniger zu arbeiten: Ich denke da an die Rente mit 63“. Also Volkswagen geht dann wohl den Bach runter, weil die Fachkräfte mit 63 schon keine Lust mehr haben, nehme ich an. Und was für Anreize aber auch: Wer mit 63 schon vier Jahre vor 67 in Rente geht, verzichtet natürlich auf die Rentenanwartschaften aus weiteren vier Jahren Arbeit, und die Monatsrente wird um über 14 Prozent gekürzt, weil sie ja auf einen längeren Zeitraum bis zur ganz großen Rente gestreckt wird. Trotz Inflation im Supermarkt kein Problem für den normalen Arbeiter, das wegzustecken. So gut geht es uns allen. Denkt die Elite und ergeht sich in komparativer Publikumsbeschimpfung der Deutschen:
„In Nordamerika und Asien wird einfach mehr Wert auf Arbeit, Innovation und unternehmerische Freiheit gelegt, während hier der Hang zur Regulierung, Bürokratisierung und staatlicher Bevormundung kaum abnimmt“, legt der Experte nach. Das mit der Bevormundung, da hat er wohl recht, aber gegen das Verbot des Verbrenners oder von Gasheizungen hat er trotzdem nichts. Von den wahnhaften (auch „klimapolitischen“) Regulierungs-Orgien des seinerzeitigen Biden-Regimes, bei gleichzeitiger massiver Internet-Zensur und staatspolizeilicher Einschüchterung von Abtreibungsgegnern, hatte er anscheinend noch wenig gehört, trotz seiner umfassenden internationalen Erfahrung.
Die „Innovationsfreude“ unter Biden war so ausgeprägt, und die Liebe zum freien Unternehmertum, dass die traditionell den „Demokraten“ nahestehenden Investoren und Führer der Big-Tech-Unternehmen vielfach und hoch prominent die Reißleine gezogen und sich für Donald Trump als Präsidenten ins Zeug gelegt haben. Natürlich, das Letzte konnte der gute Mann im Sommer 2023 noch nicht so ganz wissen, aber die unter Biden durch die US-Regierung verhängte „Impf“-Pflicht, bei Strafe der Entlassung der Beschäftigten und des Auftragsverlusts der Unternehmen, oder die obligatorische Einführung linksradikaler „woker“ Kulturrevolution, das war sehr wohl offensichtlich.
„Lust auf Zukunft“, wem fehlt es daran?
In was für einer Blase muss man sitzen als international aktiver Vermögensmanager, um dergleichen nicht wahrzunehmen? Und sofern mit „Asien“ nicht zuletzt China gemeint ist, übersetzt sich „Arbeit, Innovation und unternehmerische Freiheit“ real wohl eher in Sklavenarbeit rechtloser Wanderarbeiter, flächendeckenden systematischen schamlosen Diebstahl fremden geistigen Eigentums durch Zwang zur Kooperation mit kommunistisch kontrollierten Unternehmen und einen autoritären Kontrollstaat, der sich einen Dreck um Menschenrechte schert und allzu selbstständig agierende echte Entrepreneure spurlos verschwinden lässt.
Zum guten Schluss zitiert das ZDF den Experten noch mit diesem Fazit: „Ein Land, das in weiten Bevölkerungsteilen auf Besitzstandswahrung fokussiert ist und im Grunde wenig Lust auf Zukunft hat, darf sich nicht wundern, wenn andere an ihm vorbeiziehen.“ Mit der Besitzstandswahrung ist das so eine Sache, wenn die Wertschöpfung pro Kopf zurückgeht. Scheint wohl nicht zu funktionieren. „Lust auf Zukunft“, wem fehlt es daran? Dem gewöhnlichen Arbeitnehmer und Konsumenten? Wirklich? Oder ist es vielleicht das Establishment, der polit-mediale Komplex vorneweg, im Schlepptau die akademische „Elite“ und das große Geld, die dem Normalbürger die Zukunft mutwillig zerdeppern, eben durch die Politik der Deindustrialisierung, aberwitzige Energiepreise, Massen-Einwanderung, Zensur und Einschüchterung der kritischen Stimmen?
Die Wissens-Ökonomie, unter Polit-Kuratel
Nebenbei: Es geht hier nicht spezifisch um den Interview-Partner des ZDF als Person, weshalb sein Name gar nicht erst erwähnt wurde. Er steht pars pro toto für seinesgleichen. Vielleicht wurde er schon durch die Fragen aufs falsche Gleis gezwungen, vielleicht wurde das Interview nachträglich auf Linie getrimmt und redigiert, das kann ja alles sein.
Es geht darum, dass eine der best-ausgestatteten Politnachrichten-Maschinerien im europäischen Maßstab, mit diesem Internet-Beitrag, den eine renommierte Suchmaschine für den interessantesten von dieser Adresse zum Stichwort Deindustrialisierung hält, eine solche atemberaubende Vernebelungs-Aktion betreibt und oberflächliche Klischees als Aufklärung verkauft. Noch mal im Dieter-Thomas-Heck-Gedächtnis-Schnelldurchgang:
Teure Energie wird nur so im Vorübergehen erwähnt, ist ja auch nichts Neues, ist auch nicht so schlimm, denn wir müssen in Deutschland doch gar nicht echte Produkte herstellen, sondern wir steuern auf eine Wissens-Ökonomie zu, wo unsere gut gebildete Bevölkerung sich schlaue Gedanken macht, aber auch nicht mehr so sehr selbst, sondern per Computer, von denen wir per Digitalisierung noch viel mehr brauchen, auch wenn wir sie ohnehin nur aus Fernost zukaufen; und wir hoffen auch auf künstliche Intelligenz, die sich in Deutschland wegen überteuertem, unzuverlässig geliefertem Strom gar nicht konkurrenzfähig generieren ließe. Dann müssen wir nur noch den Datenschutz abschaffen, was soll die Pingeligkeit, mindestens bis 67 arbeiten, was auch immer, und mehr Lust auf Zukunft entwickeln.
Das ist leider so ziemlich das Gleiche, was auch die Berliner Altparteien-Kollektivblase von sich gibt. Sowohl „substanziell“, wenn die Vokabel noch passt, als auch im Tonfall, und hinsichtlich des intellektuellen und analytischen Niveaus. Das hinterlässt einen verblüfft, verstört, weinend oder wütend.
Zumal selbst das „Wissen“, mit dem wir angeblich Geld verdienen können auf dem Weltmarkt, politisch so aufs falsche Gleis gezwungen wird, dass es nur zum noch schnelleren wirtschaftlichen Untergang beiträgt. Es werden Steuer-Milliarden verplempert in „Forschungszentren“ zum „Klimawandel“, wo Großcomputer angeblich das Weltklima auf hundert Jahre im Voraus berechnen können, dabei ist das alles ein Riesenschwindel, wie man schon an den Simulationsergebnissen der schlauen Computer erkennen kann, denn diese sind seit vielen Jahren mit den realen Klimadaten nicht mal ungefähr kompatibel. Da muss der Realität wohl ein Fehler unterlaufen.
Oder aber, wie ein wirklich kluger Mensch schon vor langem formuliert hat: „garbage in, garbage out“ – die manipulierten Wetterdaten aus früheren Jahrzehnten und die politisch-ideologisch motivierten Theorien zum „Klimawandel“, die in den Computer hineingesteckt werden, sind letztlich Dreck, und mehr oder Besseres als das kann auch der „intelligenteste“ oder schnellste Computer der Welt daraus nicht ableiten. Sagen darf man das aber nicht öffentlich, wenn man nicht eingesperrt werden will, oder jedenfalls seinen Job im Wissenschaftsbetrieb behalten und weitere Zuschüsse erhofft, ohne die keine Karriere möglich ist. Ohne offene Debatte keine Wissenschaft, ohne echte Wissenschaft kein Erkenntnisfortschritt und kein Beitrag zum Wohlstand.
Die Fortsetzung im zweiten Teil: Fragen wir doch mal die Bundeszentrale für politische Bildung.
Folge 2 finden Sie hier
Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation.