Jede Gemeinde braucht einen Guru. Für die Ufologen ist es Erich von Däniken, für die Tierrechtler Peter Singer, für die Kleingärtner Moritz Schreber. Und für die antisemitisch kontaminierten “kritischen Freunde” Israels, die zwar eine Meinung haben, es aber vorziehen, sie von einem Juden vertreten zu lassen, ist es Uri Avneri. Der hat in der Tat auch seine Verdienste. In den 70er und 80er hat er den Israels ein paar Fakten um die Ohren gehauen, von denen sie nichts wissen wollten. Dass es keine “gute Besatzung” geben kann, dass man mit den Palästinensern und der PLO reden muss, dass man sich auf die Dauer auf militärische Überlegenheit allein nicht verlassen sollte. Avneri gab eine ziemlich aggressive Wochenzeitung heraus (Ha’Olam hase/ Diese Welt), in der politische Texte mit den Bildern nackter Mädchen illustriert wurden; damit hätte er sich nach dem Berliner Landrecht für den Titel “Pornograf” qualifiziert.
Avneri war der erste Israeli, der sich bei Tageslicht mit Arafat traf, was ihm in progressiven Tel Aviver Partykreisen zu einem großen Punktegewinn verhalf. Als aber aus dem kleinen Bruder des Beelzebuben ein anerkannter Verhandlungspartner der Israelis wurde, also mit dem Händedruck zwischen Arafat und Rabin vor dem Weißen Haus, verlor Avneri sein Alleinstellungsmerkmal und drehte ab in eine ganz private Parallelwelt. Seitdem produziert er vorwiegend Unsinn, der auf einschlägigen Websites reproduziert wird, die Alibi-Juden gerne eine Nische bieten. Mal dem Norman, mal dem Gilad, mal dem Reuven und mal dem Uri.
Avneri war es auch, der aufgedeckt hat, dass Arafat vergiftet wurde, mit einem Gift, das keine Rückstände hinterlässt. Dabei muss er eine ganz spezielle Methode der postmortalen und postfuneralen Ferndiagnose entwickelt haben. Denn die Möglichkeit, dass Arafat an einer Krankheit starb, die mit demselben Buchstaben wie der Name des Rais anfängt, mochte Avneri nicht einmal in Erwägung ziehen. Ein echter Führer stirbt entweder im Kampf oder wird ermordet.
In einem seiner letzten Texte, der gewiss bald auch auf Deutsch vorliegen wird, regt sich Avneri über die “Trivialisierung des Holocaust” durch den israelischen Präsidenten Shimon Peres auf, der bei seinem Besuch in Washiongton u.a. gesagt hat: ““As Jews we cannot but compare Iran to Nazi Germany.” Das findet Avneri unsäglich, unerträglich und unerhört, viel schlimmer als alles, das Ahmadinejad je über die Juden und den Holocaust gesagt hat. Denn:
“Iran is not a fascist state. According to the evidence, there is quite a lot of freedom there, including freedom of expression. Ahmadinejad is not the only candidate for president in the present election campaign. There are a number of others, some more radical, some less.
Nor is Iran an anti-Semitic state. A Jewish community, whose members are refusing to emigrate, is living there comfortably enough. It enjoys religious freedom and has a representative in parliament. Even if we take such reports with a grain of salt, it is clear that the Jews in Iran are not being persecuted like the Jews in Nazi Germany.”
Wüßte man nicht, dass Avneri ein Asket ist, der nicht raucht, nicht trinkt und jeden Morgen am Strand von Tel Aviv turnt, müsste man annehmen, er habe sich den Verstand weggekifft oder etwas länger als unbedingt nötig Dortmunder Luft eingeatmet. Im Zusammenhang mit dem Iran von “... a lot of freedom, including freedom of expression” zu sprechen, ist eine Frivolität am Rande der Debilität; manche Exilanten, die gehen mussten, und einige Baha’i, die nicht gehen durften, sehen das vermutlich etwas anders. Noch besser geht es nur noch den Juden, die religiöse Freiheit geniessen und sogar einen Vertreter im Parlament haben, der von den iranischen Autoritäten gerne als Beweis dafür vorgeführt wird, dass es den Juden gut geht, weil sie sogar einen Vertreter im Parlament haben.
Woraus Uri scharfsinnig ableitet, “that the Jews in Iran are not being persecuted like the Jews in Nazi Germany”. Was sicher richtig ist, wenn man die Sonderbehandlung der Juden im Dritten Reich als Maßstab dafür nimmt, was es wert ist, als “persecution” bezeichnet zu werden. Das würde bedeuten: Unterhalb von sechs Millionen Toten gibt es nichts, über das man sich beklagen muss. Denn natürlich geht es den Juden im Iran verglichen mit den Juden im Dritten Reich gut. So wie es Natascha Kampusch gut ging, wenn man ihr Schicksal mit dem von Anne Frank vergleicht. Es ist eben alles relativ.
Und was dann übrig bleibt, ist eine Frage der Übersetzung, wobei Uri Frau Katajun unter den Rock greift: “Ahmadinejad hates Israel. But it has been denied that he has threatened to annihilate Israel. It appears that the crucial sentence in his famous speech was mistranslated: he did not declare his determination to wipe Israel off the map, but expressed the opinion that Israel will disappear from the map.”
Ja, das ist wirklich ein entscheidender Unterschied. Wenn jemand sagen würde, er hätte große Lust, den Uri eigenhändig zu erwürgen, wäre das schlimm. Okay wäre es, wenn er sagen würde, er hoffe, der Uri möge bald an einem Falafelbällchen ersticken. Das wäre weder bedrohlich noch beunruhigend und vor allem würde es dem Uri die Möglichkeit geben, der Gefahr durch den Verzicht auf Falafel aus dem Weg zu gehen. So betrachtet, müssten die Israelis dem iranischen Präsidenten dankbar sein, dass er sie warnt und ihnen damit die Gelegenheit gibt, das Land zu verlassen, bevor jemand auf die Idee kommt, es von der Landkarte verschwinden zu lassen.
Denn Ahmadinejad ist, ebenso wie Arafat, ein echter Humanist. Und Avneri ist sein Prophet.
Siehe: http://zope.gush-shalom.org/home/en/channels/avnery/1241302160