Peter Grimm / 29.04.2019 / 14:17 / Foto: Freud / 78 / Seite ausdrucken

Friedrich-Ebert-Stiftung: Die Logik des Anklägers

Der Schriftsteller Chaim Noll hat am Sonntag an dieser Stelle über die plötzliche Absage einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Lesung im Leipziger Ariowitsch-Haus berichtet. Da hieß es noch:

„…als ich am Tag nach der Absage in der Friedrich-Ebert-Stiftung anrief und Fragen nach dem Grund dieser Maßnahme stellte, wurden sie nicht beantwortet. Der Leiter des „Landesbüros Sachsen“, Matthias Eisel, verfiel auf ein Mittel, das ich von DDR-Funktionären kenne: Er hörte auf zu sprechen. Als wollte er zu verstehen geben: Sie werden wohl selbst am besten wissen, womit Sie sich diese Bestrafung zugezogen haben.“

Inzwischen gab es mehrere Anfragen u.a. auch von Gunter Weißgerber, einst Leipziger sozialdemokratisches Urgestein, der in diesem Jahr die SPD zwar verlassen hat, aber nichtsdestotrotz über diese Art des Umgangs mit Noll durch die SPD-nahe Stiftung empört war. Er hat nun eine Antwort auf seine Frage nach dem Grund der Absage bekommen. Offenbar hatte der Genosse Eisel nicht den Mut, die folgenden Auslassungen einem Mann wie Chaim Noll selbst zu sagen. Oder es war ihm peinlich, weil ein Restgefühl von Anstand signalisierte, dass man so etwas nicht tut, schon gar nicht als Sozialdemokrat, der sich auf eine Tradition des Einstehens für Freiheit und Demokratie beruft. Und eines bleibt vom Nolls oben zitierten Eindruck gültig: Auch diese Antwort erinnert an den Ton, mit dem Funktionäre die Beschlüsse der vorgesetzten Genossen vollstreckten.

„Zur Absage einer Lesung mit Chaim Noll in Leipzig gab es einige Rückfragen. Auch Herr Noll hat sich dazu geäußert.

Die Lesung wurde gemeinsam mit dem Ariowitsch-Haus geplant, einem Zentrum für jüdische Kultur in Leipzig.

Als die Moderatorin und ich mich vor einer Woche auf die Veranstaltung vorbereiteten, stießen wir auf eine Reihe von Äußerungen und Kommentaren von Herrn Noll wie beispielsweise diese:

‚Deutsche Politiker der herrschenden Parteien sind wie niemand sonst bemüht, das Mullah-Regime im Iran zu stärken, das Israels Liquidierung vorbereitet und die Vernichtung und Vertreibung der dort lebenden Juden. „Nie wieder!“, rufen sie, sitzen mit betroffenen Mienen in Feierstunden, haben ein Showbusiness von Gedenkstätten und Jüdischen Museen geschaffen, von Mahnmalen und früheren Folterkammern, an denen Foto-Ops gegeben werden. Die gleichen Politiker sorgen dafür, dass unablässig Gelder fließen an die Mullahs, an Terroristen im Nahen Osten, an Organisationen, die Israel boykottieren. Es ist eine Heuchelei, die sprachlos macht. Sie hat sich längst eingebürgert, ist „normal“ geworden wie damals, da das Leben in deutschen Städten „normal“ weiterging, als man die Juden deportierte.

Wenn es drauf ankam, den Juden beizustehen, in ihrem Land oder außerhalb, in Kriegen, die man Israel aufgezwungen hatte, oder bei Bedrohung in deutschen Städten, haben deutsche Politiker – von seltenen Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich versagt. Die Partei Alternative für Deutschland war die einzige, die im Deutschen Bundestag einen Umzug der deutschen Botschaft nach Jerusalem forderte. Die Botschafts-Verlegung in eine Stadt, die de facto Israels Hauptstadt ist, wäre eine Selbstverständlichkeit. Alle anderen Parteien haben finstere Gründe, dagegen zu sein."

"Für Juden, ob in Deutschland oder Israel, gibt es keinen Grund, diesen Politikern entgegenzukommen. Sie sind nicht unsere Freunde, sie verraten uns bei jeder Gelegenheit. Es gibt keinen Grund, ihre Ratschläge zu befolgen oder sich von ihnen instrumentalisieren zu lassen. Sie mögen die Alternative für Deutschland als Teufel an die Wand malen, für uns ist das kein Grund, es nicht mit einem Gespräch zu versuchen. Israel-feindlicher als die anderen deutschen Parteien kann die AfD kaum sein.‘

Wer möchte und sucht, kann davon noch mehr finden.

Wer unsere Veranstaltungen und Diskussionsforen in Sachsen kennt, weiß, dass Sie immer auch kontrovers geführt werden. Herr Noll dagegen urteilt pauschal und ideologisch. Er verachtet die deutsche Politik insgesamt, sieht sie als Verräterin - mit Ausnahme der AfD, die im Nationalsozialismus u.a. lediglich einen Vogelschiss in der deutschen Geschichte sieht. Herr Noll veröffentlicht solche Texte bevorzugt bei der "Achse des Guten", einem Forum, das man mindestens rechtspopulistisch nennen kann. Das verstehe wer will.“

Will uns der Genosse Eisel damit sagen, um einem jüdischen Schriftsteller im Frühjahr des Jahres 2019 in Leipzig die Lesung abzusagen, reicht es, wenn er die Israel- und Iran-Politik der deutschen Regierung kritisiert? Daraus abzuleiten, Herr Noll „verachtet die deutsche Politik insgesamt“ funktioniert ohnehin nur nach der Logik des Anklägers im politischen Prozess. Und wie einst die Funktionäre in den kommunistischen Kaderparteien übt Genosse Eisel am Ende seiner Auslassung auch eine vielsagende Selbstkritik:

„Ich muss mir den Vorwurf machen lassen, mich nicht rechtzeitig genug informiert zu haben. Dann wäre diese missliche Situation nicht entstanden. Das bedauere ich.“

Eine lächerlich peinliche Begründung. Hat er Chaim Noll nicht gekannt, als er ihn zur Lesung einlud? Wusste er nicht, wie man einen Namen googelt, um herauszufinden, wo und was jemand publiziert? Oder hat er – ganz traditionell – nur auf Anweisung gehandelt?

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Frank Dieckmann / 29.04.2019

Herr Grimm, Sie verstehen die Logik hinter diesem Handeln nicht. Herr Noll wurde eingeladen, um ihn ausladen zu können. Inzwischen sollte diese abgefeimte Vorgehensweise von Gutmenschen mit Haltung allgemein bekannt sein. Meine Empfehlung: Den Spieß umdrehen! Einladung annehmen und dann absagen, mit einer Begründung, die sich gewaschen hat.

Bernhard Freiling / 29.04.2019

Trete einem Hund auf den Schwanz und er wird aufheulen. Wenn in Leipzig auf den Schwanz getreten wurde, der Kopf sich aber in Berlin befindet, kann die Reaktion des Aufheulens schon mal etwas länger dauern.

Sabine Lotus / 29.04.2019

Wenn das in diesem Tempo so weitergeht, fangen in zwei Jahren die ‘Deportationen’ an. Kann man ja prima tarnen als ‘Enteignungen für den Sozialen Wohnungsbau’. Hat dann hinterher auch wieder keiner gemerkt.

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