Michael Miersch / 17.12.2006 / 13:08 / 0 / Seite ausdrucken

Frieden durch Friedman

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen am 15.12.2006 in DIE WELT:

5644 Tonnen Opium haben afghanische Bauern in der Saison 2006 geerntet. Die Anbaufläche hat sich mehr als verdoppelt und das Land liefert jetzt über 90 Prozent des auf der Welt konsumierten Heroins. 2,6 Milliarden Dollar – ein Drittel des afghanischen Bruttoinlandsproduktes – setzte der Opiumsektor um. Drogenbarone kontrollieren ganze Regionen, in denen die Zentralregierung nicht viel zu melden hat. Doch da der Krieg gegen die Taliban aus verständlichen Gründen Vorrang hat, bekämpfen die internationalen Truppen den Opiumanbau mit angezogener Handbremse. Nach offiziellen Angaben wurden neun Prozent der Mohnanbaufläche zerstört. Das klingt nicht nach einem entschlossenen Anti-Opiumkrieg. Und das ist auch gut so. Ein massiver Einsatz von Soldaten und Gerät würde den „War on Terror“ schwächen.

Wir finden das stillschweigende Agreement der Afghanistan-Koalition erfreulich. Doch leider gehören Drogen zu den Themen, mit denen ein ehrlicher und rationaler Umgang offenbar strengstens verboten ist. Wie bei den Sexualnormen des Vatikans darf Vernunft nur durch die Hintertür eingelassen werden. Erst wenn die Fakten längst über das offizielle Trugbild hinweggerollt sind – wie beim Cannabis-Konsum – lässt man Lockerungen zögerlich zu.

Doch vielleicht – so unsere vorsichtige Hoffnung – bringt das zähneknirschende Tolerieren des afghanischen Opiumanbaus ein wenig Licht ins Dunkel einer weltfremden Moral. Die einfache Wahrheit heißt: Es ist noch nie gelungen Drogenkonsum zu verhindern. Die Lust am Rausch ist eine anthropologische Konstante, fast so mächtig wie die Sexualität. Will man sie unterdrücken, fördert man Kriminalität und soziales Elend. Die wichtigsten Verbündeten der Moralapostel waren stets die Schwarzbrenner, die Schmuggler und die Drogenmafia. Eine Legalisierung von Drogen würde die Zahl der Verbrechen drastisch reduzieren, der Mafia die wichtigste Ressource entziehen und die Schlagkraft der Polizei erhöhen.

Einer, der das immer sehr offen ausgesprochen hat, war der verstorbene Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedmann. „Es ist wirklich komisch,“ sagt er in einem seiner letzten Interviews, „wir haben in den USA die Erfahrung der Prohibition, als selbst der Alkoholkonsum verboten war. Niemand zweifelt heute daran, dass die Prohibition ein Fehler war. Unsere Drogenpolitik ist völlig irrsinnig und schadet sogar unseren außenpolitischen Interessen.“ Damit meinte er Afghanistan.

Spätestens hier müssen wir kurz innehalten und die übliche Abbitte leisten: Nein, wir bestreiten nicht, dass Drogen gesundheitsschädlich sind und sich manche Menschen damit das Leben ruinieren. Doch die Bilanz des jahrzehntelangen Kampfes gegen Drogenkonsum und Drogenanbau ist so desaströs, dass neu nachgedacht werden muss. Er hat gewaltige Summen verschlungen und nichts gebracht, außer Bandenkriminalität und Prostitution zu fördern. Dennoch traut sich hierzulande fast kein Politiker das Thema offen anzusprechen. In den USA haben es einige Gouverneure mit Erfolg getan und sind dennoch – oder deshalb? – gewählt worden. Die zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung, die gelegentlich illegale Rauschmittel nehmen, haben keine Lobbyisten. Und das Schicksal afghanischer oder kolumbianischer Bauern interessiert sowieso keinen.

Eine illusionäre Politik zur Beseitigung der menschlichen Schwäche ist teuer und sollte den Kirchen überlassen bleiben. Aber vielleicht ist sie nun – Ironie der Geschichte – ausgerechnet durch die frommen Taliban an ihre Grenzen gestoßen. Kein General wird sich der Illusion hingeben, gleichzeitig den Krieg gegen den Terror und einen Anti-Drogen-Krieg führen zu können. Und keine Konferenz westlicher Geberländer wird die Agrarsubventionen aufbringen, mit denen man afghanische Bauern vom Gemüseanbau überzeugen könnte. Die faktische Toleranz des Drogenanbaus wird somit unausweichlich. Ein guter Zeitpunkt über den Irrtum der Prohibition nachzudenken.

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