„Fremdenhass: Schon mehr als 700 Angriffe auf Flüchtlinge“, titelte Zeit-Online am Sonntag. „Bei Attacken auf Flüchtlinge sind in diesem Jahr mindestens 120 Menschen verletzt worden. Die Linke macht die AfD und die CSU für die Gewalt mitverantwortlich“, hieß es weiter. Selbstverständlich ist solch ein Fakt unbedingt eine Meldung wert. Allerdings gehörte es früher auch zu den journalistischen Aufgaben, solche Zahlen in die richtigen Relationen zu setzen. Was sagen uns diese Zeilen jetzt? Zur Einordnung boten die Zeit-Kollegen Folgendes an:
„Im Vergleich zu den Vorjahren gingen die Attacken zurück: 2017 wurden mehr als 2.200 Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte verzeichnet, 2016 mehr als 3.500. Die Linke spricht von einem unerträglichen Zustand. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sagte den Funke-Zeitungen: ‚Die alltägliche Hetze gegen Geflüchtete, jetzt auch von der AfD im Bundestag, hat konkrete Auswirkungen.‘ Die AfD nehme diese Konsequenz offenbar ungerührt in Kauf, sagte Jelpke.
‚Auch die CSU und Innenminister Seehofer sollten zur Kenntnis nehmen, dass die einseitig negative Thematisierung von Zuwanderung für die betroffenen Menschen gravierende Auswirkungen hat.‘“
Ähnlich konnte man es in etlichen weiteren Medien lesen und hören. Zwar erfährt man immerhin, dass entsprechende Straftaten zurückgegangen sind, aber es ensteht durch die Art der Schwerpunktsetzung zugleich der Eindruck, dass die Migranten, die inzwischen begriffsverwirrend zumeist pauschal als „Flüchtlinge“ bezeichnet werden, in erster Linie Opfer und die Deutschen in erster Linie Täter seien. Aber stimmt das überhaupt?
Wo gibt es Vergleichszahlen?
Nun ist jedes Opfer einer Straftat, insbesondere einer Gewalttat, eines zu viel und hätte idealerweise ohne Ansehen auf Herkunft oder Aufenthaltsstatus davor geschützt werden müssen. Doch nach den oben zitierten politischen Schlussfolgerungen muss man doch vielleicht zuvor fragen, wie denn die oben angeführten Zahlen in der Relation zu anderen Täter-Opfer-Konstellationen stehen. Machen wir also einen – wie es neudeutsch heißt – Faktencheck. Uns liegen die Vergleichszahlen des ersten Halbjahres 2018 nicht vor, aber dafür das „Bundeslagebild 2017 – Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ des Bundeskriminalamts.
Beginnen wir auf Seite 54 mit einer Konstellation, die mit der oben genannte Meldung vielleicht ein wenig vergleichbar ist, hier nur aus dem Jahr 2017:
„Fallkonstellation: Deutscher tatverdächtig – Opfer Asylbewerber/Flüchtling
Wurde ein Asylbewerber/Flüchtling Opfer einer Straftat, waren in 15 % der Fälle Deutsche tatverdächtig (6.832) – deutlich mehr als noch im Vorjahr (2016: 4.326; 10 %). Im Bereich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen wurden 38 Asylbewerber/Flüchtlinge Opfer von Taten, an denen mindestens ein Deutscher beteiligt war (2016: 28). Kein Opfer wurde getötet. Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wurden 74 Asylbewerber/ Flüchtlinge Opfer einer Straftat mit mindestens einem tatverdächtigen Deutschen und somit erheblich mehr als noch im Vorjahr (2016: 31).“
Im zitierten Bundeslagebild 2017 heißt es weiter:
„Fallkonstellation: Zuwanderer tatverdächtig – Opfer deutsch
Unter den insgesamt 95.148 Opfern von Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern befanden sich 39.096 Deutsche und damit deutlich mehr als noch im Vorjahr (2016: 31.597). Der Anteil der Deutschen liegt somit bei 41 %. Im Bereich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen fielen 112 Deutsche einer Straftat zum Opfer, an der mindestens ein tatverdächtiger Zuwanderer beteiligt war (2016: 86). 13 Opfer wurden dabei getötet.
Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wurden 2.706 Deutsche Opfer einer Straftat mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer und somit deutlich mehr als noch im Vorjahr (2016: 1.190). Insgesamt waren 72 % der Opfer von Sexualdelikten mit tatverdächtigen Zuwanderern deutsche Staatsangehörige.“
Der Vollständigkeit halber gehört zu den Vergleichszahlen selbstverständlich auch noch dies:
„Fallkonstellation: Zuwanderer tatverdächtig – Opfer Asylbewerber/Flüchtling
33 % der insgesamt 95.148 Opfer von Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern war ebenfalls Asylbewerber/Flüchtling. Es wurden 30.946 Asylbewerber/Flüchtlinge als Opfer registriert – etwa so viele wie im Vorjahr (2016: 31.459).
Im Bereich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen fielen 230 Asylbewerber/Flüchtlinge einer Straftat zum Opfer, an der mindestens ein tatverdächtiger Zuwanderer beteiligt war und damit mehr als im Vorjahr (2016: 197). 38 Opfer wurden getötet.
Bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wurden 380 Asylbewerber/Flüchtlinge Opfer einer Tat mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer und damit ebenfalls mehr als im Jahr 2016 (270 Opfer).“
Wir lernen: Vielleicht sollte man sich statt der Beschränkung auf weltbildbestätigende Daten wenigstens auch um die relevanten Vergleichszahlen kümmern, um eine Einordnung zu ermöglichen und die Problemschwerpunkte richtig erkennen zu können.
Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de