Fabian Nicolay / 14.03.2014 / 18:01 / 1 / Seite ausdrucken

Freitagnachmittag, 14. März 2014

Fabian Nicolay

Weil Freitag in unserer Büroküche “Solidaritätstag” ist, müssen möglichst alle Bürogenossen unaufgefordert und gemeinsam die Spülmaschine ausräumen und die Küchenplatten von den Spuren einer Arbeitswoche säubern. Dabei kommt man gewöhnlich ins Gespräch.

Lina schmiert sich nebenbei Humus auf Reistaler. Ich sage in die Runde, dass ich Humus liebe – aber nur wenn es gut gemacht sei. Unerwartet entgegnet mir Lina, das stimme, solange es nicht aus Israel käme. Schnell schiebt sie nach, sie wolle jetzt keine Diskussion anfangen, denn Sie ahnt an meinem fragenden Gesicht, dass ich nachhaken möchte. Wird hier doch “Kauft nicht bei Juden” wieder mal zum modisch-rot-gern-akzeptierten Sanktionsaufruf umgelabelt.

Es wundert mich nicht, so einen Widergänger mentaler Verbräunung gerade bei meiner jungen Bürogenossin Lina vorzufinden, schließlich bekennt sie sich zu links-alternativer Lebensweise. Sie ist “gut” in Kapitalismus-Kritik, ohne allerdings das nötige dialektische Rüstzeug mitzubringen; sie würde Karl Marx eher für einen Magenbitter halten als für einen Gesellschaftstheoretiker (geht mir aber manchmal auch so). Sie ist eine von denen, die Israelkritik und Palästinensersympathie gern als kategorisches Junktim darstellen, weil man einmal Gelerntes nicht mehr zu hinterfragen braucht.

Lina glaubt sich in Deutschland, ebenso wie die Menschen im Gaza, in einer verkorksten Lebenssituation zu befinden. Das ist also ihre Solidaritätsadresse: Eine Unterdrückte im Schlaraffenland haut ihre Meinung raus und sucht hinter der Vehemenz ihrer Anwürfe ganz klandestin ihre beschämend-luxuriöse Situation in Deutschland zu verbergen. Stellvertreter-Larmoyanz.

Sie hat einen gut bezahlten, sicheren Job mit Sozialversicherung, und sie hat einen netten Chef, der weder auf die Uhr schaut, noch auf ihre Leistungsbereitschaft. Trotzdem bezeichnet sie ihren Chef, der mit einer gewissen naiven Philanthropie das Gute im Menschen für systemimmanent hält, als einen Ausbeuter. Alle sind Scheiße, die Spaß oder Erfolg, Geld oder gutes Aussehen haben: Autofahrer, Unternehmer, Menschen über Vierzig, Heidi Klum.

Und am Ende ist ein natürlicher Verursacher des ganzen Elends auszumachen: Israel. Nicht auszudenken, wenn Linas dürftige Dialektik ausreichen würde, um aus Autofahrern, Unternehmern, Mittvierzigern, Heidi Klum und Israel eine weitere Weltverschwörung zu formulieren. Diese bleibt mir heute erspart, weil sich Lina einen Reistaler mit Humus quer in den Mund schiebt.

Gewöhnlich muss man bei ihr nämlich in intellektuelle Deckung gehen, denn da wird Philosophie betrieben, die man in Glückskeksen chinesischer Restaurants finden kann. Der quersitzende Reistaler gibt mir Gelegenheit, Lina den Hinweis zu geben, dass beim Thema Israel es doch schon immer ein Dilemma der linken Szene gewesen sei, mitansehen zu müssen, wie aus ihrer versuchten Abgrenzung zum braunen Sumpf innige ideologische Verbrüderung wird. Doch die geschichtliche Unkenntnis nährt auch bei Lina weiterhin den stereotypen Reflex. Ja nicht hinhören, lieber beharren.

Schade, man kann keinen Acker bestellen, wenn Findlinge das Pflügen verhindern.

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Waldemar Undig / 14.03.2014

Zum Glück bin ich nicht von solch dummen Menschen umgeben. So eine Lina finde ich schlimmer als tausend Hönesse.

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