Von Ludwig Brühl.
Von „Hassrede“ sprechen seit einigen Jahren Menschen, die die freie Rede hassen. Wie das funktioniert, zeigt der Fall der ehemaligen finnischen Innenministerin, die angeklagt und jetzt – nach viereinhalb Jahren – freigesprochen wurde.
Doch das Gerede von „Hassrede“ hat Konsequenzen: Nicht nur in Deutschland ist die Meinungsfreiheit schon eingeschränkt. Auch die EU und einige Staaten in den USA haben das schon angekündigt. Was genau da eigentlich verboten werden soll, bleibt allerdings unklar. Der Economist titelte schon vor längerem: „Deutschland verbietet Hassrede, kann sie aber nicht definieren“.
Tautologien in der EU-Kommission
Das ficht Ursula von der Leyen nicht an. In ihrer Rede zur Lage der (Europäischen) Union stellte sie tiefgründig fest: „Hass ist Hass.“ Mit dieser „Definition“ beginnt auch der Plan der EU-Kommission, „Hassrede“ in die Liste der EU-Verbrechen aufzunehmen. Dann stünde eine nicht näher definierte Form der Meinungsäußerung neben grauenhaften Verbrechen wie Terrorismus und Menschenhandel und müsste von allen Mitgliedstaaten konsequent bekämpft werden.
Dieser Hintergrund ist wichtig, um zu verstehen, was gerade in Finnland vorgeht. Seit viereinhalb Jahren wird dort die ehemalige Innenministerin Päivi Räsänen strafrechtlich verfolgt. Sie hatte ihre Kirche auf Twitter kritisiert, weil die Finnisch-Lutherische Staatskirche die Pride Parade in Helsinki offiziell gesponsort hatte. Dem Tweet hängte sie – die ein Mitglied dieser Kirche ist – ein Bild von Versen aus dem Römerbrief an.
Das, so befand die Staatsanwältin, war „Hassrede“. Seit 2019 muss sich Räsänen dafür verantworten. Nach insgesamt 13 Stunden Polizeiverhör über mehrere Monate wurde sie in drei Punkten angeklagt. Jetzt ist der Gerichtsprozess erst einmal vorbei: Eben hat sie das Berufungsgericht in Helsinki einstimmig freigesprochen.
Freispruch vom Vorwurf der „Hassrede“
Natürlich ist Räsänen jetzt „sehr erleichtert“. Es ist ein Erfolg für die Meinungsfreiheit und für ADF International, die juristische Menschenrechtsorganisation, die Räsänen verteidigt hat und sich weltweit für Meinungs- und Religionsfreiheit einsetzt. Wer für seine Überzeugungen ein- und aufsteht, der wird Erfolge feiern.
Räsänen ist seit fast 30 Jahren im Parlament, war über zehn Jahre Vorsitzende der Christdemokraten in Finnland und dort bekannt wie ein bunter Hund. Die 63-Jährige verbindet ihr gewinnendes Lachen mit Klartextpositionen – nicht nur zu Kritik an woken Tendenzen, sondern auch zu Migration, Familie und Gesundheit. Räsänen ist geschätzt als Politikerin, Ärztin und Großmutter von elf Enkeln.
Man stelle sich einmal vor, eine Innenministerin der CDU steht über Jahre vor Gericht, weil sie die Bibel zitiert hat.
Ermittlungen wegen eines Bibelzitats
Mit dem Bibelzitat begann es. Doch das war nur der Auslöser für die Ermittlungsbehörden, Räsänens gesamtes öffentliches Leben zu durchleuchten. Was sie aus den 30 Jahren in der Spitzenpolitik fanden, war spärlich. Am Ende fanden sich ein paar Aussagen in einer live ausgestrahlten Radiodebatte, eine kirchliche Broschüre zum Thema Ehe aus dem Jahr 2004 und den besagten Tweet. Jedes Mal vertrat Räsänen die Haltung, dass eine Ehe nur aus einem Mann und einer Frau bestehen könne.
Die Polizei empfahl der Staatsanwaltschaft, keine Anklage zu erheben – Räsänen hatte schlicht nichts Illegales getan. Doch die zuständige Staatsanwaltschaft hatte schon Blut geleckt: Zu groß war die Chance, an einer prominenten Politikerin ein öffentliches Exempel zu statuieren. 2021 erhob Staatsanwältin Anu Mantila Anklage und verbiss sich in den Fall.
Generalstaatsanwältin vergleicht Bibel mit „Mein Kampf“
Gedeckt wurde Mantila ganz offensichtlich von der Generalstaatsanwältin Finnlands, die dem Helsingin Sanomat, der wichtigsten Tageszeitung Finnlands, zu dem Fall ein Interview gab. Darin sagte sie, dass es zwar erlaubt sei, aus Büchern wie dem Koran, der Bibel oder „Mein Kampf“ zu zitieren – aber man die Meinungen dieser Bücher nicht selbst vertreten dürfte.
Als das Bezirksgericht in Helsinki Räsänen im März 2022 von allen Anklagepunkten freisprach, dachten Beobachter, dass Mantila den Fall ad acta legen würde. Weit gefehlt: Öffentlichkeitswirksam verkündete sie, in Berufung zu gehen.
Von den Prozesstagen berichteten Beobachter, dass sie selten eine Staatsanwältin so verbissen gesehen haben. Vor dem Bezirksgericht las sie Bibelstellen aus dem Alten Testament vor, die ihr missfielen. Bei der Berufungsverhandlung sprach sie davon, dass die Bibel „beleidigend“ und Räsänens Bibelinterpretation „kriminell“ sei.
Steuerzahler müssen für politische Verfolgung blechen
Die Richter bestätigten jetzt das, was die meisten Menschen ohnehin wussten: „Es ist nicht Sache des Gerichts, biblische Konzepte auszulegen.“ Laut des einstimmigen Urteils muss die Staatsanwaltschaft auch die Prozesskosten tragen. Das bedeutet, dass die Steuerzahler für mehrere zehntausend Euro wegen eines politischen Prozesses aufkommen müssen.
Auch wenn Räsänen vom absurden Vorwurf der „Hassrede“ freigesprochen wurde – aufatmen kann sie immer noch nicht. Bis zum 15. Januar 2024 hat die Staatsanwaltschaft Zeit, Berufung einzulegen. Und der Kampf gegen Meinungsfreiheit geht ohnehin weiter: Just am Tag vor dem Urteil kündigte New Yorks Gouverneurin an, der Staat habe mit „Überwachungsmaßnahmen“ gegen Online-„Hassrede“ begonnen.
Gezielter Kampf gegen Meinungsfreiheit im Netz
Und seit kurzem kursieren unter anderem in der UNO Pläne, noch gezielter gegen Meinungsfreiheit im Netz vorzugehen: Behauptet wird ein Trio infernale aus „Misinformation, Desinformation und Malinformation“. Neu ist vor allem der letzte Begriff: Malinformation bezeichnet eine richtige Information, die aber zu negativen Zwecken im Netz verbreitet wird. Gegen alles drei kündigt die UNO einen „Kampf“ an.
Dass eine 11-fache Großmutter plötzlich ins Zentrum dieses Kulturkampfes rückt, ist wohl einer der Kollateralschäden dieses weltweiten Kampfes. Doch Räsänen will die Meinungsfreiheit weiter verteidigen – „notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“.
Ludwig Brühl arbeitet bei der juristischen Menschenrechtsorganisation ADF International, die Päivi Räsänen verteidigt hat. Sie finden ihn auf X/Twitter unter @LudwigBruehl.