Das Land der Freien ist unter dem neuen US-Präsidenten auf ganz eigene Weise nicht ganz so frei, wie die Eigenwerbung verspricht. Er hätte halt schon lieber Hofberichterstattung.
Die Freiheitsrede des amerikanischen Vizepräsidenten schallt wie ein Echo über den Atlantik. Das Neueste: Der amerikanische Fernsehsender CBS brachte eine Reportage mit drei deutschen Staatsanwälten, die Polizisten losschickten, um im Morgengrauen an Wohnungen zu klingeln und Handys und Laptops zu beschlagnahmen. Warum? Weil über das Internet Meinungen und Formulierungen verbreitet wurden, die den eingeschränkten Pfad der deutschen Meinungsfreiheit verlassen haben. Unter dem Titel „Polizeiaufsicht über das Internet“ (Policing the internet) staunte die Reporterin aus dem Land der nahezu uneingeschränkten Meinungsfreiheit über das, was sie zu hören bekam. Nämlich, dass hierzulande die Meinungsfreiheit im Netz deutliche, auch juristisch relevante Grenzen hat. Dazu gehören Hassrede und Volksverhetzung. Einschränkungen, die es in den USA nicht gibt. Hass im Netz ist dort nicht strafbar, sondern vom ersten Verfassungszusatz als freie Rede geschützt.
Und jetzt? Wie man in den Wald hinein oder über den Atlantik hinweg ruft, so schallt es zurück. Als Antwort auf J.D. Vance berichten inzwischen deutsche Korrespondenten aus Washington, wie in Amerika neuerdings ebenfalls Grenzen gezogen werden. Der Grenzzieher heißt Donald Trump.
Beispiele? Hier sind ein paar: Die weltweit agierende Nachrichtenagentur ap wurde von dem Pressepool, der den Präsidenten auf Schritt und Tritt begleitet, hinauskomplimentiert. Ein Grund: Die Agentur beharrt darauf, den von Trump zum „Golf von Amerika“ deklarierten Golf von Mexiko weiter bei seinem traditionellen Namen zu nennen. Zeitungen und Sender, von Disney bis zum Des Moines Register werden mit teuren Prozessen unter Druck gesetzt. Fernsehsender, die allzu kritisch senden, müssen um ihre Lizenzen bangen, wenn Trump die Rundfunkbehörde auf sie ansetzt.
Nicht ganz so frei, wie die Eigenwerbung verspricht
Tja, das Land der Freien ist unter dem neuen Präsidenten auf ganz eigene Weise nicht ganz so frei, wie die Eigenwerbung verspricht. Er hätte halt schon lieber Hofberichterstattung.
Doch Moment mal: Prozesse gegen unwillkommene, womöglich beleidigende Äußerungen – da war doch noch was? Ach ja, unsere Chef-Grünen, allen voran Robert Habeck, schmeicheln sich ja dadurch bei ihren (Nicht-)Wählern ein, dass sie ihnen massenhaft Strafbefehle ins Haus schicken. Habeck kann in der Disziplin des Strafbefehl-Weitwurfs als olympiareif betrachtet werden. Bei einem Nichtpolitiker würde man sagen, er ist eine beleidigte Leberwurst. Bei einem Politiker sagt man es etwas feiner: Er oder sie ist dünnhäutig.
Wie auch immer: Wir haben es mit zwei Traditionen zu tun, die ganz groß von Freiheit reden, sie aber nicht ganz so groß hochhalten. Also zwei Geschwister im Geiste? Das kann man so nicht sagen. Es gibt kleine, aber feine Unterschiede.
Der amerikanische Präsident geht – auch er neigt dazu, wie Habeck, beleidigt zu sein – vorzugsweise gegen Medien vor. Also gegen die Pressefreiheit. In Deutschland geht man lieber gegen privat veröffentlichte Ungebührlichkeiten vor. Also gegen die Meinungsfreiheit.
Dornen im Fleisch selbsternannter Aufrechter
Pressefreiheit? Meinungsfreiheit? Wo ist denn da der Unterschied? Wenn es einen gibt, dann ist er hauchdünn. Die Verfassungen beider Länder machen da keinen Unterschied. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Und beide, die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit, haben eine unangenehme Eigenschaft: Sie sind den Regierenden nicht immer willkommen. Sie sind wandelnde Unannehmlichkeiten. Dornen im Fleisch selbsternannter Aufrechter.
Immerhin: In unseren Demokratien gehört es dazu, dass die Regierenden solche Belästigungen durch freie Medien und Meinungen ertragen. Das gelingt bis zu einem gewissen Grade. Aber eben nur bis zu einem gewissen Grade. Dann wird drauf gehauen. Diesseits und jenseits des Atlantik. Jeder auf seine Weise.
J.D. Vance hatte recht, unsere Einschränkungen zu tadeln. Auch wenn seine Rede bei uns als Kulturkampf abgetan wurde. Er hätte noch mehr recht, wenn er auch die Macken in seinem eigenen Laden ansprechen würde. Aber wer tut das schon. Bei uns tut man das ja auch nicht. Das wäre schließlich Selbstkritik. Also ein schwerer Tabubruch.
Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.