Alexander Wendt / 19.04.2019 / 10:30 / Foto: Kuebi / 13 / Seite ausdrucken

Freiheit light, mit starkem Filter

Der 15. April 2019 wird in die politische Chronik als der Tag eingehen, an dem sich Union und SPD darauf einigten, ihren Koalitionsvertrag in einem wesentlichen Punkt zu brechen. Beide hoffen, dass es niemand merkt. Dazu treiben sie einen bemerkenswerten Täuschungsaufwand.

Am vergangenen Montag stimmte die stellvertretende deutsche EU-Botschafterin Susanne Szech-Koundouros – merkwürdigerweise in der Sitzung der EU-Agrarminister, da das die zeitlich nächste Abstimmungsrunde war – dem neuen EU-Urheberrecht zu. Von der deutschen Stimme hing es ab, dass die hochgradig umkämpfte EU-Regulierung für das Internet in den kommenden zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt wird. Denn die Niederlande, Polen, Italien, Luxemburg, Finnland und Schweden stimmten gegen das Paragraphenwerk. Drei weitere Staaten enthielten sich. Eigentlich hätte die Bundesregierung auch dagegen stimmen oder sich zumindest enthalten müssen.

Es geht um den Punkt, der politisch auch in Deutschland am heftigsten umstritten ist: den künftigen zur Vermeidung hoher Geldstrafen verpflichtenden Einsatz sogenannter Uploadfilter, mit denen große Plattformen wie Youtube und Facebook künftig das Hochladen von Inhalten im Netz flächendeckend unterdrücken könnten. Viele Nutzer befürchten, dass Uploadfilter, wie sie in Artikel 17 des neuen Urheberrechts vorgesehen sind, nicht nur zur Wahrung von Urheberrechten dienen, sondern auch zur Filterung und Unterdrückung politisch unliebsamer Inhalte. Genau aus diesem Grund spricht sich eine große Koalition der Netzpolitiker von FDP, Grünen, AfD und Linkspartei dagegen aus; auch der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit David Kaye sieht in dieser Technik eine Bedrohung der freien Rede. Und – eigentlich – auch Union und SPD. In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten beide 2017:

„Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‘filtern’, lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Negative Auswirkungen auf kleinere und mittlere Verlage müssen vermieden werden. Die Daten-Souveränität werden wir auf europäischer Ebene im Rahmen der E-Privacy-Verordnung stärken.“ (Zeilen 2212 bis 2216 Koalitionsvertrag).
Eigentlich ergibt sich daraus eine klare Lage: Die Bundesregierung kann keinem EU-Gesetz zustimmen, das den Zwang zur Installierung von Uploadfiltern enthält. Sie tat es am Montag trotzdem. Und fügte eine bemerkenswerte Protokollerklärung an. Darin heißt es:

„Die Bundesregierung bedauert zugleich, dass es nicht gelungen ist, ein Konzept zur urheberrechtlichen Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen zu verabreden, das in der Breite alle Seiten überzeugt. […] Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass dieser Dialog vom Geist getragen ist, eine angemessene Vergütung der Kreativen zu gewährleisten, Uploadfilter nach Möglichkeit zu verhindern, die Meinungsfreiheit sicherzustellen und die Nutzerrechte zu wahren.“

So transparent wie ein schwarzes Rollo 

In der gleichen Protokollerklärung, in der Angela Merkels Regierung also die Filter „nach Möglichkeit“ verhindern will, folgen allerdings gleich Ausführungen, wie diese Uploadfilter beschaffen sein sollten, wenn sie doch kommen: nämlich „technologieoffen“ und „transparent“. So transparent wie das ganze Verfahren zur Durchsetzung dieses Netz-Kontrollgesetzes?

Im Fall des Urheberrechts gibt sich die Bundesregierung schon seit Monaten die größte Mühe, zu verschleiern, abzulenken und zu tricksen – vor allem in der Frage der Uploadfilter. Ein rhetorischer Schleier – oder, wie es heute heißt, ein Narrativ – soll schon den Zwang zu einem technischen Filter bestreiten. Am Mittwoch vergangener Woche sagte Angela Merkel in einer Fragestunde des Bundestages:

„Das Wort Uploadfilter kommt in diesem Artikel 17 gar nicht vor.” Es sei vielmehr so, “dass Plattformen eine Verantwortung haben über das Management der Inhalte, die über diese Plattformen weitertransportiert werden. In diesem Zusammenhang glauben wir, dass man überhaupt noch nicht genau weiß, wie die Umsetzung dann in nationales Recht erfolgt. Und wir sehen keine Gefährdung automatisch dessen, dass dort Inhalte in irgendeiner Weise unterdrückt werden.”

Nun gibt es allerdings auch keinen ernst zu nehmenden Diskussionsteilnehmer, der behauptet hätte, der Begriff Uplodfilter stünde explizit in Artikel 17 oder anderswo im EU-Urheberrecht. Dort ist vielmehr die strafbewehrte Pflicht von Internet-Plattformen festgehalten, das Hochladen von Inhalten flächendeckend zu verhindern, wenn jemand Urheberrechte geltend macht – egal, ob begründet oder nicht. Dieses Ziel ist allerdings nur durch einen Uploadfilter zu erreichen. Sind Filter dieser Art erst einmal installiert, dann ist es nur eine Frage der Definition, was alles noch in seiner Verbreitung behindert wird.

Die Formulierung des Artikel 17 ist so gehalten, als würde der Gesetzgeber jemanden verpflichten, sich innerhalb von acht Stunden von Frankfurt nach New York zu begeben, und gleichzeitig beteuern: aber die Wahl des Verkehrsmittels steht völlig frei, nirgends kommt schließlich das Wort „Flugzeug“ vor.

Rhetorischen Tricks für Dummies 

Bei dem ersten Teil der Merkel-Antwort handelt es sich um einen rhetorischen Trick der billigsten Sorte, beim zweiten um eine Groteske. Eine Regierungschefin gibt ernsthaft zu Protokoll, „wir“– wer auch immer gemeint ist, sie selbst, die Bundesregierung? – „glauben“, dass „man“– wer immer wiederum sich dahinter verbirgt – überhaupt nicht wüsste, wie die EU-Regelung in ein nationales Gesetz umzusetzen sei. In Wirklichkeit gibt es da wenig Spielraum. Wenn erst einmal die Mitgliedstaaten mehrheitlich zugestimmt haben, dann ist ein EU-Gesetz so in nationales Recht umzusetzen, dass der Gesetzeszweck erfüllt wird. Da gibt es wenig zu glauben und zu rätseln. Merkel tut so, als eröffne sich hier ein ganz exotisches juristisches Gebiet. Tatsächlich ist die Umsetzung von europäischem Recht in den Mitgliedstaaten Alltag.

In die gleiche Täuschungskategorie gehört die „Protokollerklärung“ der Bundesregierung. In der Geschäftsordnung des Europäischen Rates heißt es zur Funktion von Protokollerklärungen, dass sie die „Tragweite und die Wirkung eines Rechtsakts, die ausschließlich durch den Inhalt des Rechtsakts selbst bestimmt werden, nicht einschränken; Protokollerklärungen können nur dazu dienen, eine Auslegung zu bestätigen, die sich aus dem Wortlaut des Rechtsakts selbst ergibt. Eine Protokollerklärung kann daher, wenn sie in einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts keinen Ausdruck gefunden hat, zur Auslegung dieser Vorschrift nicht herangezogen werden.” Mit anderen Worten: Diese Protokollerklärung besitzt keinerlei rechtlichen Wert. Sie soll offensichtlich einen politischen Vernebelungszweck erfüllen.

Die Regierungskoalition will offenbar das technische Mittel des Upload-Filters mit allen Mitteln durchsetzen – gegen den Rat praktisch aller liberaler Internet-Experten, gegen das Votum des UN-Beauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit, gegen den eigenen Koalitionsvertrag. Wer schon bei der Einführung eines neuen Rechts derart trickst und täuscht, dem ist vieles zuzutrauen.

Vor einiger Zeit schrieb die CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters, im „Tagesspiegel“„Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann.“

Das meinte sie wahrscheinlich ebenso ehrlich wie ernst.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Alexander Wendts Pulico.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Frank Volkmar / 19.04.2019

So ist das, dazu noch eine im Zweifel “diskutable” Rechtslage beim Gang vor die Gerichte und vorsorglich werden die Uploadfilter entsprechend scharf eingestellt. Ein interessantes Steuerungsinstrument ! Die Demokratie bleibt gewahrt, man hat ja die Möglichkeit der Klage wenn man damit nicht einverstanden ist.

Thomas Weidner / 19.04.2019

Tja - die CDU ist mittlerweile fester Bestandteil der neo-SED. Mit Betonung auf “SED” wie antidemokratisch, diktatorisch, freiheitsfeindlich - kurz: Verfassungs- (Grundgesetz-) feindlich. Wo bleibt der Verfassungsschutz? Schläft der? Ach ja - dessen Chef ist ja CDU-Mitglied…

W.Mayer / 19.04.2019

Wundert mich nicht. Nuffelte doch die Bundeskaiserin anlässlich des Abhörskandales: “Daf Internet ift Neuland für unf” .. ganz pragmatisch.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alexander Wendt / 29.08.2019 / 12:18 / 33

Besuch in der Lausitz: Wo man aus der SPD aussteigt

Den Namen der brandenburgische Sozialdemokratin Elfriede Handrick kennen heute ziemlich viele Wähler im Land, und das, obwohl die Schatzmeisterin der Parteigliederung Wustermark zu den Landtagswahlen…/ mehr

Alexander Wendt / 21.06.2019 / 12:09 / 94

Vom Ausschlachten eines Mordes

Von dem früheren CDU-Generalsekretär und heutigen Verteidigungs-Staatssekretär Peter Tauber hörte die Öffentlichkeit längere Zeit wenig bis nichts. Bis zur Verhaftung des Rechtsextremen Stephan E., der…/ mehr

Alexander Wendt / 07.06.2019 / 13:00 / 50

Eine ganz persönliche SPD-Erzählung

Die SPD zerfällt in zwei Flügel: den ihrer Ex-Vorsitzenden und den ihrer Mitglieder, denen noch eine Chance bleibt auf das schönste Verweseramt neben dem Papst (so…/ mehr

Alexander Wendt / 21.05.2019 / 12:02 / 31

In Wien fliegen, in Berlin sitzen bleiben

Von dem Autor Frank Goosen stammt der Roman „Liegen lernen“, einer der vielen Romane über die achtziger Jahre in Westdeutschland, also die Zeit, in der…/ mehr

Alexander Wendt / 02.05.2019 / 06:25 / 121

Kevin und das Kollektiv. Oder: Ärmer werden, die SPD ist die Antwort

Zum 1. Mai legte der Juso-Vorsitzende und ideelle SPD-Chef Kevin Kühnert in einer ZEIT-Vorabmeldung seine Pläne zur Einführung des Sozialismus in Deutschland dar, nicht schwammig,…/ mehr

Alexander Wendt / 06.04.2019 / 08:24 / 49

Wie sich Medien beim Versuch blamierten, die AfD zu blamieren

Heißen die meisten Messerstecher mit Vornamen Michael? Zumindest im Saarland? Genau das behauptete eine ganze Reihe von Medien, nachdem das saarländische Innenministerium auf die Anfrage…/ mehr

Alexander Wendt / 25.03.2019 / 08:30 / 71

Berliner Privatisierungswelle: Platz, Alder!

Demnächst findet in Berlin ein Volksbegehren zur Enteignung eines größeren privaten Wohnungsunternehmens statt, der „Deutschen Wohnen“. In Caracas mag gerade ein Sozialismus untergehen – in Berlin kommt…/ mehr

Alexander Wendt / 22.03.2019 / 08:30 / 38

Klima-Paniker immer doller

Stößt keine Region der Welt pro Kopf so viel Kohlendioxid aus wie Sachsen? Das behauptete gerade ein Landtagsabgeordneter der Linkspartei. Es handelt sich um groben…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com