Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause fand nun wieder ein Dreikönigstreffen der FDP statt. Wie steht es heute um die liberalen Standpunkte einer Partei, die das Freiheitliche im Namen trägt?
Die Freien Demokraten begehen am 5. und 6. Januar in Stuttgart nach zwei Jahren Corona-Zwangspause wieder ihr traditionelles Dreikönigstreffen mit physisch anwesendem Publikum. Ein Anlass, zu überprüfen, wie es um die liberalen Standpunkte einer Partei bestellt ist, die das Freiheitliche im Namen trägt und sich der Freiheit des Individuums verpflichtet fühlen sollte. So zumindest habe ich es in Erinnerung.
„Wir sind das Volk“ – der „Schlachtruf“ der friedlichen Montagsdemonstranten von 1989 – daran erinnert die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, an erster Stelle in einem Videobeitrag auf der Veranstaltungs-Webseite der Partei. Sie lobt den berühmten Kernsatz nicht nur als intelligentes Aufbegehren gegen die Sozialistische Einheitspartei der DDR, sondern vor allem als Ruf nach Freiheit, der dann tatsächlich friedlich in die Freiheit führte. So stellt die Jungliberale begeistert fest: „Was für ein Mut“. Wenn sich Freiheitssuchende gegen den Strom stellen, gegen die Repression, gegen die staatlich verordneten Narrative, dann gefällt das der Liberalen Franziska Brandmann.
Sie kommt jedoch gleich auf etwas anderes zu sprechen, einen Störfall: „Querdenker“, die aktuell den Freiheitsruf „Wir sind das Volk“ okkupiert haben sollen und gegen „unsere“ Demokratie hetzen. Sie seien Gegner der freiheitlichen Grundordnung. Damit stößt Franziska Brandmann in das zeitgeistige Horn fast aller Parteien. Rein formal ist es eine schlichte rhetorische Figur, die sie verwendet: Ein Missstand wird so beschrieben, dass man zunächst nur die Feinde ausdeutet, die ihn angeblich verursachen. Dabei wird das Anrüchige übergangen, das diese Art Rhetorik umgibt. Die Montagsdemonstranten waren in den Augen der SED-Führung auch so etwas wie „Querdenker“ und „Hetzer“.
Wer da mitspielt, verspielt seine Glaubwürdigkeit
Heute wissen Junge Liberale und Freie Demokraten ganz sicher: Die Montagsdemonstranten von 1989 waren als Freiheitskämpfer mutig, weil sie in einer Diktatur für Freiheit, Demokratie und Grundrechte auf die Straße gingen. Wer in der deutschen Demokratie von heute gegen die Einschränkung ebendieser Grundrechte und für den vollständigen Erhalt der verfassungsmäßigen Ordnung demonstriert, gerät hingegen schnell ins Zwielicht. Vor allem, wenn sich der Protest gegen die Corona-Maßnahmen, den Impfzwang und den übergriffigen, aufgeblähten Staat richtet und dabei ebenso „Wir sind das Volk“ skandiert wird. Darf sich in einem freien Land nicht jeder, der es will, zum „Volk“ erklären, egal wie anmaßend es auch erscheinen mag?
Natürlich kann es Missbrauch und Verunglimpfung geben. Na und? Gerade stereotype Bezichtigungen, wie „Feinde der Freiheit“, machen es wichtigen Kritikern irrsinniger Polit-Allüren und katastrophaler Politikfehler schwer, ihre Stimme zu erheben, ohne sogleich delegitimiert und diffamiert zu werden. Mutige Freiheitliche brauchen eine Lobby. Es ist kaum erträglich, dass die FDP hier versagt, sich wegduckt und dem postdemokratischen Gesinnungsdruck von Linkslobbyisten nachgibt. Wer da mitspielt, verspielt seine Glaubwürdigkeit.
Kritik an der Regierung wird auf diese Weise in kleinen Schritten immer mehr erschwert, immer illegitimer. Während der „Pandemie“ ist die FDP beinahe geschlossen nicht gegen offensichtliche Feinde der Freiheit vorgegangen – nämlich genau jene aus den aseptischen Politik-Biotopen der Regierung sowie deren Kostgänger aus der Gefälligkeitswissenschaft, der Pseudo-Prognostik und Panikmache oder des medialen Pandemie-Aktivismus. Mehr Tarnung als gesellschaftliche Akzeptanz kann es nicht geben für geistige Brandstifter aus den eigenen Reihen der Politik. Sie hantieren mit Begriffen wie „Solidarität“ und appellieren an kollektive Motive, an Zukunftsmodelle, in denen die Freiheit des Individuums wie Verhandlungsmasse behandelt und kleingeschrieben wird. Politik von oben herab, demokratie-unwürdig, bürgerfern.
Der Zweifel ist niemals illegitim
Stattdessen hat man den Ausnahmezustand und die Freiheitsberaubung, die eigentliche, systemisch bedingte regierungsseitige „Volksverhetzung“ mit Panikmache, Bezichtigungen, Drohungen und Diffamierungen durch gewählte Politiker und Funktionäre zugelassen, ohne Einspruch zu erheben („Pandemie der Ungeimpften“, „Tyrannei der Ungeimpften“). Der Beschimpfungen waren derer viele: von den eigentlichen Feinden der Freiheit mit Rückendeckung des Parlaments, unter den Augen der hochgelobten freiheitlichen Grundordnung und ihrer demokratischen Gremien oder mit Billigung des Ethikrates. Bis heute verweigert man die sachliche und dringend notwendige Aufarbeitung dieser unsäglichen, undemokratischen, antifreiheitlichen Vorgänge.
Die FDP war anscheinend nicht anwesend, bis auf wenige Ausnahmen. Auch wenn Widerstand und qualifizierter Gegenwind aus demokratischer Sicht unbequem sind und es manchmal sogar lange scheint, als gäbe es keine Evidenz für qualifizierte Kritik, ist der Zweifel doch niemals illegitim. Das müssten die Freien Demokraten am besten wissen und dem Zweifel immer Raum verschaffen.
Das ist die Grundregel, die stärker wirken sollte als der lächerliche Habitus eines dauerbeleidigten Staatsapparats, der sich in der Kleinkariertheit des Kabinetts und seiner illustren Minister manifestiert hat. Hier ist eine machtbetrunkene „Elite“ am Werk, um blindlings nationales Porzellan zu zerschlagen. Siehe Energiepolitik, Migrationspolitik, Wirtschaftspolitik, Verteidigungspolitik, Europapolitik. Überall Scherben. Als deutscher Bürger und Steuerzahler muss man Fakir sein: arm und masochistisch veranlagt.
Stetiges Einschleichen antiliberaler Tendenzen
Im Liberalismus ist fast alles legitim, was der Freiheit des Individuums nicht im Wege steht und niemandem schadet. Das ist ein einfaches Konstrukt, das der Freiheit keine gesinnungs-moralischen, ideologischen Grenzen setzt, sondern nur ethische. Die Freiheit des Anderen ist mindestens so heilig wie die eigene – ein sich selbst regulierendes System, das möglichst wenig staatliche Handreichung und Einflussnahme notwendig macht, dafür Eigenverantwortung und -initiative der Bürger fördert. Der Staat soll klein bleiben, was heutigen Politikern aber nicht mehr in den Sinn kommt. Linke und Grüne stehen für immer mehr Staat, die Liberalen sollen für das Gegenteil eintreten.
Das Gerede von Feinden der Freiheit ist überdies alles andere als souverän liberal, es bereitet den Boden für Freiheitseinschränkungen und willkürliche Eingriffe des Staates in die Meinungsfreiheit, wie sie der liberale Justizminister Marco Buschmann aktuell willfährig umsetzt. Da wäre zum Beispiel die Verschärfung des Volksverhetzungs-Paragrafen (§ 130 StGB), der in einem sogenannten Omnibusverfahren, also ohne inhaltlichen Bezug an ein anderes Gesetz gehängt wurde, um nahezu unbemerkt verabschiedet zu werden.
So schleichen sich unter der Obhut der Liberalen immer mehr antiliberale Tendenzen in den Gesetzesapparat ein, deren Interpretationsspielraum für politisch motivierte Restriktionen und Gängelungen genutzt werden kann. Der Staat baut eine Dornenhecke an Gesetzen um sich, die den Bürger an der Inanspruchnahme seiner Freiheit hindern kann. Das ist kein guter Ausweis für liberal gemeinte Politikansätze. Die Partei schaut untätig beim Verbarrikadieren der Demokratie zu.
Zum Hybrid linksgrüner Politikerfüllung mutiert
Der Justizminister macht sich lieber zum Handlanger antifa-affiner Ideologen wie der Bundesministerin des Innern, Nancy Faeser, wenn er die Einrichtung der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ als sogenannten „Phänomenbereich“ des Verfassungsschutzes zulässt. Mit solchen antibürgerlichen Ideen wird der Staat zum Gegenstand eines Institutionskultes, wie er landläufig in einer Diktatur betrieben wird. Der „Apparat“ entwickelt sich vom funktionalen neutralen Korpus zum Fetisch ideologischer Überhöhung, in dem sich die tendenziöse Abwertung des Bürgers als aufmüpfiges, potenziell staatsgefährdendes Subjekt durchgesetzt hat. So selbstverliebt agiert der deutsche Staat, dass er genau denen Delegitimierung unterstellen will, die ihn als Souverän legitimieren. Absurd, dass es passiert. Absurd, dass wir es uns gefallen lassen.
Abgesehen davon macht sich Marco Buschmann nicht gerade für die Unabhängigkeit der Justiz stark. Das fördert den Parteienstaat, in dem die Gewaltenteilung immer mehr nivelliert wird – also kein Ort, an dem sich die Politik einer kleinen liberalen Partei weiter entfalten kann. Die Liberalen haben in der Regierung anscheinend beschlossen, die letzten Reste ihrer liberalen Überzeugungen zu begraben. Da kommt es auch nicht mehr darauf an, wenn man der absolut anlasslosen Verlängerung des Lauterbach'schen Ausnahmezustands nicht entschieden entgegentritt und den Spuk beendet. Die FDP ist über sich selbst „hinausgewachsen“, ist zum Hybrid linksgrüner Politikerfüllung mutiert. Will sie das auf dem Dreikönigstreffen feiern?
Und da zeigt sich das Grundproblem: Die Partei will unbedingt dabei sein, mitregieren, auch wenn sie dafür die Axiome ihres Selbstverständnisses aufgeben muss: Die Staatsquote steigt unaufhörlich, der Staat mischt sich immer mehr in die Privatsphäre der Bürger ein, planwirtschaftliche Interventionen in die Wirtschaft werden zum unerlässlichen Instrumentarium der Politik verklärt, Geldpolitik und ideologische Politikziele werden zu Verbündeten, und kollektivistische Gesinnungsgebilde werden über freiheitliche Werte gestellt. Die Aufzählung ist eigentlich noch gar nicht zu Ende… Unter der Mitwirkung der Freien Demokraten, des liberalen Finanzministers und des liberalen Justizministers wird die Freiheit des Individuums immer mehr eingeschränkt, ja sogar diffamiert. Wie konnte es so weit kommen, verehrte FDP?
Auch Querdenker gehören zum Volk
Franziska Brandmann liegt mit ihren Video-Behauptungen auch offensichtlich falsch: Es gehört zur Freiheit der als „Querdenker“ bezeichneten Menschen, einen Satz zu skandieren, mit dem wir es uns eigentlich gemütlich gemacht hatten. „Wir sind das Volk“ ist ein historisches Denkmal, das allerdings keinen Denkmalschutz genießt. Der Satz fällt unter die Meinungsfreiheit und bedarf keiner weiteren Erklärung: Auch Querdenker gehören zum Volk und dürfen solches von sich sagen, ob es uns gefällt oder nicht. Empörung ist es nicht wert. Sie dürfen rufen, was sie wollen, es sei denn, es wäre verfassungsfeindlich, beleidigend oder herabsetzend. Ich verstehe Freiheit so radikal wie möglich, da folge ich der Welt-Kolumnistin Anna Schneider, die das Programm ihres Freiheitsverständnisses schon auf dem Titel ihres Buches klarmacht: „Freiheit beginnt beim Ich“. Also kann ich als Liberaler nicht hergehen und verlangen, dass bestimmte Redewendungen mir gehören und von „Demokratie-Verächtern“ gefälligst nicht in den Mund genommen werden dürfen.
Aber bitte: Wenn „Wir sind das Volk“ wieder für einen Aufreger sorgt, sollten wir uns Sorgen machen. Und die oben genannten Gründe sprechen dafür, dass wir Bürger uns Sorgen machen müssen. Wenn die Jungliberale Franziska Brandmann davon überzeugt ist, dass gute Wörter aus den Mündern der Falschen gefährlich sind, dass es gar verboten gehörte, den Falschen das freie Reden zu gestatten, damit sich die guten Worte nicht verbiegen lassen, reden wir über einen Zustand der Kapitulation. Ich finde, es stünde den Freien Demokraten wesentlich besser, sich nicht in den Fuß zu schießen, wenn man eigentlich auf tollwütige Hunde zu zielen vorgibt. Am besten sollten solche verbalen Schussgeräte nicht angerührt werden, mit denen andere Parteien und ihre Aktivisten gewöhnlich Jagd auf Gesinnungsfeinde machen. Regel eins.
So ist das mit der Freiheit des Individuums. „Das Beste auf der Welt ist die Redefreiheit.", das soll der berühmte Zyniker Diogenes vor 2.400 Jahren propagiert haben. Aber der Philosoph, der Schmeichler und Angepasste verachtete, meinte auch: „An seinen Feinden rächt man sich am besten dadurch, dass man besser wird als sie.“ Man kann es als Ansporn und Warnung verstehen. Liberale haben überall starke Feinde, wo Ideologie, Demagogie und Dämonisierung lauern: links- und rechtsaußen. Liberale müssen Abstand halten vom Sprachgebrauch der Hetzer, selbst wenn sie meinen, damit die Freiheit schützen zu wollen. Liberale müssen den Staat und die Begehrlichkeiten der Beflissenen zurückdrängen. Schnell wird das Liberale nämlich assimiliert. Gelb ist eine so helle Farbe.
Wer sich über die Freiheit Anderer empört, hat sie schon aus den Augen verloren – das wäre auch so ein Gedanke, den Diogenes aus seiner Tonne den irritierten Bürgern in Athen zugerufen haben könnte. Aber auch den Freien Demokraten auf ihrem Dreikönigstreffen: „Nimm mir nicht weg, was du mir nicht geben kannst.“ Freie Demokraten, Liberale, müssen bürgerliche Freiheiten schützen und Bürger vor dem Staat schützen. Sonst führen sie sich selbst ad absurdum. Regel zwei.
Freidenker brauchen keine kollektiven Erklärungsmuster und Warnungen von hysterischen Hypermoralisten, die das Ende der Demokratie herbeireden wollen. Es ist nicht die Demokratie, die zuerst bedroht ist und verteidigt werden muss, sondern die Freiheit des Individuums. Wer solches ernst meint, sollte dorthin schauen, wo diese Freiheit peu à peu abgeschafft wird: nämlich in der Regierung, an der die Freien Demokraten selbst beteiligt sind.
Freiheit ist ein Naturzustand, der von der Politik gern mit Füßen getreten wird. Dagegenhalten. Regel drei.
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