Wolfram Weimer / 24.05.2018 / 06:29 / Foto: Pixabay / 42 / Seite ausdrucken

Freibier für alle, Deutschland zahlt 

Italiens neue Regierung ist auf den ersten Blick gelebte Realsatire. Wilde Rechts- und schräge Linkspopulisten gehen eine Koalition ein, als gelte das Motto „Clowns aller Länder, vereinigt euch”. Auf den zweiten Blick ist das Regierungsbündnis der rechtspopulistischen Lega mit der linksanarchischen Fünf-Sterne-Bewegung eine Kampfansage an Europa. Denn die beiden Parteien haben sich auf ein Programm geeinigt, das aus Italien ein sozialpolitisches Schlaraffenland machen soll: radikale Steuersenkungen, Frührenten für die Massen, Mindesteinkommen für alle, bessere Schulen, neue Krankenhäuser fürs ganze Land. Nach Berechnungen italienischer Universitäts-Institute belaufen sich die Kosten alleine für das Startprogramm auf runde 150 Milliarden Euro.

Das Populisten-Programm soll auf zwei Wegen bezahlt werden: Schulden und Europa. Am besten beides zusammen, indem die Europäische Zentralbank dem Land 250 Milliarden Schulden erlässt. Letztlich soll Deutschland haften und zahlen. Die Vorstellungen der neuen Machthaber in Rom erinnern fatal an die linksextreme Regierung in Griechenland vor zwei Jahren.

Die Finanzmärkte zucken angesichts der Revolutionspläne in Rom schon zusammen, die Börsenkurse in Mailand sind auf Talfahrt, der Zinsaufschlag (Spread) für italienische Staatsanleihen steigt, obwohl die EZB in Frankfurt immer mehr dieser Schuldtitel in ihre Bücher nimmt. Lega-Chef Salvini schwadroniert, höhere Schulden kümmerten ihn nicht. Und Sterne-Frontmann Di Maio findet eine verblüffend naive Formel für den Börsen- und Eurokrach, der nun droht: „Indikatoren wie Spread und BIP interessieren uns nicht, für uns zählt das Lächeln eurer Familien.”

Viele Ideen, wenig Verantwortung

Rom steuert also auf ein Himmelfahrtskommando zu mit lautstarken Populisten, die viele Ideen, aber wenig Verantwortung haben. Um Europas Entsetzen zu mildern, haben sie nun ein freundliches Gesicht zum wilden Programm gefunden. Guiseppe Conte heißt der auserkorene nächste Regierungschef. Er ist 54 Jahre alt, Jura-Professor aus Florenz und ohne jede Politik-Erfahrung. Genau das wollen die Populisten – eine freundliche Marionette, die ihre wilde Politik nicht stört. Conte hat keine eigene Machtbasis, dafür aber mit Salvini und Di Maio die beiden politischen Schwergewichte am Kabinettstisch sitzen. Sie werden ihm diktieren, was er zu tun und zu lassen hat.

Selbst Contes Studenten sind völlig verblüfft über die Wahl ihres Professors – ist er ihnen bislang nicht einmal als besonders politische Figur aufgefallen. Doch Conte bringt etwas anderes mit, was ihn für die Populisten als perfekte Besetzung erscheinen lässt – er ist seriös, weltläufig und sympathisch. Der Jura-Professor hat an internationalen Elite-Universitäten studiert, von Yale über die Sorbonne bis Cambridge. Er ist hochgebildet, eloquent (zuweilen dozierend), elegant gekleidet und parkettsicher, wenn er denn auf Merkel, Macron, Trump und Putin trifft.

Wer ihn kontaktieren möchte, so lässt Conte wissen, möge so schreiben, als koste jede Mitteilung 10 Euro, das helfe bei der Konzentration aufs Wesentliche. In sein WhatsApp-Profil hat er (große Vorbilder schaden nie) ein Kennedy-Zitat geschrieben: „Every accomplishment starts with the decision to try.” Jeder Erfolg beginnt mit der Entscheidung, es zu versuchen.

Und so versucht Italien es mit dem Populisten-Doppel, Füllhörnern und einem freundlichen Professor. Nach ersten Umfragen findet die Mehrheit der Italiener das Spektakel in Rom großartig. Die neue Koalition bekommt klare Zustimmungsmehrheiten, und der Lega-Chef, Matteo Salvini, steigt zum beliebtesten Politiker nach dem Staatspräsidenten auf.

Italien erhofft sich von der neuen Regierung nicht wirklich etwas Konkretes, man will vor allem „etwas ganz anderes”. Die alten Parteien-Eliten gelten als korrupt und unfähig, die Probleme Italiens zu lösen. Das jahrzehntelange Machtspiel um Koalitionen, Posten und Seilschaften ist man satt. Die alte Polit-Oligarchie und ihre byzantinische Bürokratie hat darum die Quittung erhalten. Und so wird Rom nun von neuen Wilden und einem gediegenen Professor regiert. Auf die Frage, was Europa nun zu erwarten hat, bekommt man eine beunruhigende Antwort: „Das wird keine unterwürfige Regierung sein.”

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.

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Leserpost

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Arnd Siewert / 24.05.2018

Lieber Herr Weimer Das ist nur die Light-Version von: Wir schaffen das - für ein Land in dem wir gut und gerne Leben. Sieh sehen nicht das Grenzen jeglicher Art einfach nur stören?

Lothar Hannappel / 24.05.2018

Realsatire scheint aber nicht nur in Italien doch seit Jahren jegliche Politik am Besten zu beschreiben! 750€ für jeden der schon länger in Europa lebt - unbezahlbar! Das doppelte für jeden der kommt - kein Problem für alle die Gutmenschen sind! Verschuldung Italiens nicht weiter erhöhen - warum nicht, die Vergemeinschaftung der Schulden kommt doch! Die neue Politik in Italien wird vielen Lügen eine Ende bereiten. Ist das wirklich Realsatire?

Gudrun Meyer / 24.05.2018

Das lebenslängliche Verharren auf dem psychischen Stand von 14-jährigen ist eben keine deutsche Spezialität, wenngleich es sich in verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich äußert. In D, wo man die eigene nationale Vergangenheit anerkennt, müssen die Einzelheiten des linken Aufstandes notwendig etwas anders sein als in Italien, wo niemand auf die Idee kommt, irgendein Italiener sei je für Mussolini verantwortlich gewesen. Sehr viele Italiener sehen ihr Land im Gegenteil als historisches Opfer Deutschlands. Also schwingen sie die Nazikeule und fordern Schadensersatz von D etwa für den Marsch auf Rom und Mussolinis Machtergreifung 1922/23. Da die Deutschen gewohnt untertänig darauf reagieren, ist es durchaus realistisch, wenn die italienische politisch-mediale Klasse davon ausgeht, dass D jede Rechnung zahlen wird. Was meinen denn Sie, wie unsere Qualitätsmedien und Qualitätspolitiker auch auf völlig absurde Vorwürfe und Forderungen reagieren werden?! Doch im günstigsten Fall mit der Erklärung, die Angelegenheit sei rechtlich (sic!) und moralisch sehr schwierig.

Rupert Drachtmann / 24.05.2018

Guten Morgen Herr Weimer ! Ich verstehe Ihre Empörung nicht. Die Italiener und Ihre Regierung sind doch nur konsequent. Als erstes haben sie sich ihrer alten politischen „Eliten“ entledigt. Da sind sie uns schon einen entscheidenden Schritt voraus. Ganz in der Tradition der USA etc. Danach haben sie die Augen aufgemacht und erkannt wer in Europa am dümmsten ist und das Vermögen seiner Bürger mit Begeisterung allen anderen in der Welt zu Verfügung stellen. Stimmt: Die Deutschen. Noch. Den diese Party kann nur einmal gefeiert werden und wird ein jähes Ende haben. Hr. Scholz wird unser Geld nicht so konsequent verteidigen wie seiner Zeit Hr. Schäuble gegenüber dem Coolman Varoufakis. Ich persönlich muss sagen wenn wir schon so dämlich sind und die Parties anderer finanzieren, dann lieber die Italiener als irgendwelche kulturfremden Horden aus Afrika oder den Nahen Osten. Das finde ich irgendwie sympathischer. Also ich geh jetzt wieder arbeiten. Sonst wird das nix !

B.Rilling / 24.05.2018

Ich bin langsam wirklich müde und hoffe einfach nur, dass die EU in naher Zukunft mit einem pffff in sich zusammen kracht. Dann stehen wir zwar wieder mal vor dem Nichts, aber das schaffen wir! Meine Großeltern haben sich da nach dem Krieg und Vertreibung rausgearbeitet und ich nach der Wende, als ich mit Nichts in die alten Länder gezogen bin. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende! Denn auf unsere Bundesregierung zähle ich kein bisschen mehr! Der Satz: Schaden vom deutschen Volke abzuwenden und zu dessen Wohl zu arbeiten ist doch schon lange ad Absurdum geführt worden!

Stefan Schultz / 24.05.2018

Ich finde das ausgezeichnet! Seit Jahren warnen Experten vor den Gefahren einer Vergemeinschaftung von Schulden. Ohne Erfolg. Angela Merkel und ihre Lakaien machen unbekümmert weiter. Die EZB kauft direkt und indirekt Staatsanleihen. Soll die neue italienische Regierung ruhig ihr Programm umsetzen. Umso früher das Kartenhaus Euro zusammenfällt, umso früher bricht die realitätsferne Politik in Berlin in sich zusammen. Nachhaltigkeit ist für Merkel ein Fremdwort, ganz egal ob es sich um den Euro, die Migration oder die Energiewende dreht, solange die positive Grundhaltung stimmt. Wir schaffen das!

Wilfried Cremer / 24.05.2018

und der Strom kommt aus der Steckdose. Man braucht nur ein Verlängerungskabel bis Frankfurt.

Marcel Seiler / 24.05.2018

Ich finde das gut. Meine Hoffnung ist, dass jetzt die Merkel-Adlaten endlich merken, was der Euro, der dieses italienische Spektakel erst möglich macht, für eine Fehlkonstruktion ist. Denn Griechenland kann Deutschland sich vielleicht als zu finanzierendes Mündel halten, aber Griechenland *und* Italien? Wird schwierig!!!!

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