Fred Viebahn / 09.02.2008 / 20:22 / 0 / Seite ausdrucken

Finger weg vom kleinen Ferkel!

Das Bundesfamilienministerium beabsichtigt, ein Kinderbuch auf den Index zu setzen, das aus atheistischer Sicht die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gehörig auf die Schippe nimmt. In “Wo bitte geht’s zu Gott” des Autors Michael Schmidt-Salomon, illlustriert von Helge Nyke, einem Buch “für alle, die sich nichts vormachen lassen”, wie’s im Untertitel heißt, einem “Heidenspaß für Groß und Klein”, machen sich ein Igel und ein Ferkel auf die Suche nach dem geheimnisvollen “Herrn”, an den im Gegensatz zu den Tieren so viele Menschen glauben, finden aber nur—in den Gestalten eines Rabbiners, eines Bischofs und eines Muftis—dogmatische Gralshüter, die den ungläubigen Tierchen den Garaus machen wollen und sich zum Schluß bei aller Einigkeit gegen die “Gotteslästerer” gegenseitig an den Kragen fahren. Das Ganze ist recht witzig aufbereitet, mit hübschen Bildchen garniert und, wie bei Büchern fürs erste Lesealter üblich, sehr vereinfachend argumentiert.

Im Indizierungsantrag heißt es dazu, das Buch sei “geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden”. Jugendgefährdend seien Medien, “wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizen”. Weiterhin wird der Antrag damit begründet, “die drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und das Judentum [würden] verächtlich gemacht” und “die Besonderheiten jeder Religion [würden…] der Lächerlichkeit preisgegeben”. Nach Ansicht des Ministeriums wird dabei insbesondere das Judentum auf diffamierende Weise angegriffen, sodaß “Text und Abbildung mithin antisemitische Tendenzen” aufwiesen.

Aufgrund dieses peinlichen und völlig unzutreffenden Antisemitismusvorwurfs, hinter dem sich das Bundesfamilienministerium mit seinem kruden Zensurbegehren wohl gut verschanzt glaubte, stellte der Journalist Peter Finkelgruen, Vorstandsmitglied des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, einen Antrag in seinem Verband, gegen diesen Versuch von Ministerialbürokraten zu protestieren, Kunst- und Literaturfreiheit offensichtlich im Interesse weltanschaulicher Interessensverbände einzuschränken. Finkelgruen begründete weiter: “Mit völlig aus der Luft gegriffenen Unterstellungen glaubt das Bundesfamilienministerium wohl, bereits im Vorfeld eine für seinen Indizierungsantrag günstige Stimmung zu erzeugen. Wir finden es geschmacklos, daß Antisemitismusvorwürfe mithin instrumentalisiert werden, um unliebsame Ansichten von vornherein zu unterdrücken. Dieses geschieht zu einer Zeit, in der das Bundesfamilienministerium nicht das allergeringste tut angesichts der täglichen Flut von Fernsehsendungen, die unsittlich sind, verrohend wirken und zu Gewalttätigkeit anreizen.”

Doch diese Protestresolution, die einige Vorstandsmitglieder (darunter Achse des Guten-Gastautor Fred Viebahn) für im Sinne der PEN-Charta selbstverständlich hielten, stieß auf erbitterten Widerstand anderer Mitglieder, und der Protestkarren blieb in einem Hohlweg des Für und Wider stecken.

Während deutschsprachige PENner in aller Welt die Zeigefinger gegeneinander hoben und, statt dem Ministerium unmißverständlich an die undemokratische Kandare zu fahren, sich für ihre Diskussion eine Website einrichteten (http://www.exilpen.de/HTML/diskussion_kinderbuch_080208.html ), machte sich ihre Geschäftsführerin Nadine Englhart in München ihre eigenen, sehr schlüssigen Gedanken:

Aufgewachsen unter Katholiken und selbst als Katholikin erzogen, könnte ich nach kurzem Durchsehen des Kinderbuch “Wo bitte geht’s zu Gott” alle negativen Klischees aufzählen, die meine Verwandtschaft als zutiefst verletzend, da katholikenfeindlich, subsumieren würde: der fettgefressene Bischof, die miesepetrigen Betschwestern und -brüder, der gefolterte, über allem hängende Erlöser und die “Herabwürdigung” der heiligen Eucharistie zum “Kannibalenkult”.

Dabei würde ich feststellen, daß der Autor sogar noch einiges ausgelassen hat, zum Beispiel den Katholiken eigenen, ausgeprägten Missionierungsdrang (“Alle Kinder dieser Erden sollen Kinder Gottes werden” stand in meinem Kindergebetbuch), verbunden mit dem Bedürfnis, alles und jeden notzutaufen, jeden selig- und heiligzusprechen, der grade “ideologisch” in den Kram paßt und zu Lebzeiten nicht zu offensichtlich gelogen oder Leute umgebracht hat (außer, es waren die “richtigen” Leute), das Volk mit Klimbim bei Laune zu halten, wozu ich ausdrücklich Wallfahrtsstätten und Reliquienkult zähle, und der nachdrückliche Ausschluß der Frauen vom Priesteramt, den ich nie nachvollziehen konnte.

Meine Großmutter war konservative Katholikin, mein Grundschullehrer geradezu fanatisch. Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Religionen habe ich in dieser Umgebung nicht gelernt, vielmehr, daß Protestanten gegen den wahren Christus “protestieren” würden, die Juden arme Verirrte seien, jüdische Kinder demzufolge missioniert und nötigenfalls heimlich notgetauft werden müßten, daß es die katholische Kirche im Dritten Reich von allen Konfessionen am allerschwersten hatte und viele andere erbauliche Dinge, die mir klarmachten, daß wir Katholiken zwar am meisten leiden müssen, aber dennoch das Rüstzeug zur Erlösung der ganzen Welt bei der Hand haben und alle, die anderen Religionen anhängen, einfach nur verirrte Schäflein sind, die man auf den rechten Weg führen müßte.

Zugegeben, der Boden in Deutschland ist immer noch vermint. Die Zeiten, als der praktizierte Judenhass hierzulande fröhliche Urständ feierte, sind noch längst nicht vorbei. An der Mauer des jüdischen Friedhofes, ganz in meiner Nähe, prangt neuerdings ein grünes Graffito: „Geddo“ steht da.

Aber der Boden ist es nicht erst, seit die Vorläufer der Nationalsozialisten ihren Antisemitismus zu kultivieren begannen, vermint, sondern, seit die Christen die Juden zum ersten mal als “Christusmörder” verunglimpften, ihnen die Möglichkeit nahmen, irgendein bodenständiges Handwerk auszuüben, sie praktisch in das Handels- und Zinsgeschäft drängten, um Ihnen dann Wucher und Bereicherung vorzuwerfen. Ich muß sicherlich nicht an die zahlreichen Morde erinnern, die von selbstgerechten Mobs im Namen des christlichen Glaubens an Juden verübt wurden, als sie die von der Obrigkeit eigens für Juden eingerichteten Gettos stürmten?Zumal die Opfer leicht auszumachen waren - dank der ihnen aufgezwungenen Kleiderordnung und dem gelben Stoffstück, das sie zu tragen hatten. Der Boden in Deutschland und Europa wartete nur darauf, von den Nationalsozialisten bestellt zu werden.

Nun zum Rabbi, der einigen Meinungen zufolge einer “Stürmer”-Karikatur ähneln soll. Das finde ich nicht. Ich habe mir auf dem Server einer US-Universität lange und ausführlich “Stürmer”-Karikaturen angesehen. Bis auf die Tatsache, daß der Rabbi etwas unsympathisch wirkt, finde ich nichts an ihm, was dem Stil des “Stürmer” entsprechen würde. Ich fühlte mich eher an Brooklyn oder West-Jerusalem erinnert, an streng orthodoxe Juden, in Schwarz, mit Schläfenlocken. Wie sonst könnte man kenntlich machen, daß es sich um einen orthodoxen Juden handelt?

Ich möchte noch etwas auf den “Stürmer” eingehen. Die Haut jeder Person, die auf dessen Karikaturen als jüdisch erkannt werden soll, ist gelblich, die Nase zum sogenannten Judensechser gebogen, die Haare sind schwarz, die Augenbrauen buschig und die Physiognomie ausgesprochen plump, meist fettleibig. So werden Männer, Frauen, Kinder und wahrscheinlich sogar Babys dargestellt, egal in welcher Kleidung sie auftreten.

Jeder Vorgänger der “Stürmer”-Karikaturisten hat sich allerdings ähnlicher Bilder bedient: Ich erinnere da nur an Wilhelm Busch. In seinem Werk “Plisch und Plum” kommt bis heute die Figur des “Schmulchen Schievelbeiner” vor, die wirklich dazu geeignet wäre, antijüdische Ressentiments bei Kindern zu erwecken:
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=3020&kapitel=15&cHash=bb8bc90c692#gb_found.

„Schmulchen Schievelbeiner“ erfüllt all jene Eigenschaften, welche die deutsche Spießerseele gerne den Juden zuschreibt: Listig, verschlagen, geldgierig und schnell mit einer Klage zur Hand, um einfache Leute mal eben auf Verdacht auszunehmen.

Als Kind habe ich einen Wilhelm-Busch-Sammelband als Geschenk erhalten, selbstverständlich war “Plisch und Plum” darin enthalten, und selbstverständlich auch das Kapitel, in dem Schmulchen Schievelbeiner sein “Unwesen” treibt. Es ist kaum anzunehmen, daß dieser Umstand in derzeitigen und künftigen Wilhelm-Busch-Ausgaben geändert oder das Buch gar indiziert würde. Wilhelm Busch ist deutsches Kulturgut, würde einem wahrscheinlich entgegnet, verlangte man eine Indizierung oder zumindest die Wegnahme dieses Kapitels.

Ja, das Buch von Michael Schmidt-Salomon ist antireligiös. Ich kann nachvollziehen, wenn man sich durch dieses Buch und seine sowohl plakative als auch verkürzte Argumentationsweise in seinen religiösen Gefühlen verletzt sieht, aber dies rechtfertigt meines Erachtens keinen Indizierungsantrag. Religionskritik sollte in einer freien Gesellschaft ausdrücklich erlaubt sein. Das Bundesfamilienministerium bedient sich der Antisemitismus-Argumentation, um ein religionskritisches Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Für mich ist das nichts weniger als Zensur, und zwar eine, die unter einem ziemlich fadenscheinigen Vorwand daherkommt.

Wenn wir Wilhelm Buschs “Schmulchen Schievelbeiner” seit gut einem Jahrhundert oder länger in den Kinderzimmern und somit in den Köpfen der Kleinen tolerieren können, wo er zusammen mit anderen verzerrenden Darstellungen Schaden anrichtet, warum dann nicht auch Michael Schmidt-Salomons unsympathischen Rabbi? Religiöse Eltern werden ihren Kindern dieses Buch ohnehin nicht kaufen, aber sie werden tolerieren müssen, daß es auch solche Bücher gibt. Das ist alles, was verlangt wird: Meinungsfreiheit und Toleranz.

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