Beim üppigen Berliner Demo-Angebot zum Frauentag solidarisieren sich die einen mit Israel, die anderen mit Palästina. Stellvertreterkriege im Feminismus? Die „Frauenfrage“ scheint geklärt, warum sich nicht einfach einen schönen Tag machen?
Der Internationale Frauentag ist in Berlin seit 2019, in Mecklenburg-Vorpommern seit 2023 ein staatlicher Feiertag. Das verspricht im Idealfall zusätzliche Freizeit, Erholung und Zeit – je nach politischer Ausrichtung für einen harmlosen Ausflug ins Grüne oder aber für die Teilnahme an einem der zahlreichen „Frauenaufmärsche“. „Angemeldet sind für Samstag laut Versammlungsbehörde allein zehn Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechte und sexuelle Selbstbestimmung“, berichtet der RBB über die Möglichkeiten militanten Demonstrierens in der Hauptstadt. Ein näherer Blick auf das geplante Protest-Programm hinterlässt jedoch mehr Fragen als Antworten.
Das üppige Berliner Demoangebot überrascht zunächst wenig, der Grund für die große Auswahl erstaunt allerdings doch: „Weil Teile der linken und linksradikalen Szene zerstritten sind, etwa über den Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästina, sind sie auf unterschiedlichen Veranstaltungen unterwegs.“
So heißt es im Aufruf der für 13 Uhr angesetzten Demo mit dem Titel „Feminism unlimited“, die am S-Bahnhof Schönhauser Allee beginnen soll:
„Ein universeller Feminismus kommt nicht ohne Kritik an jeder Form von Antisemitismus aus. Umso enttäuschender ist es zu sehen, dass vermeintlich linke und feministische Kreise genau diese Kritik verfehlen und grundlegende feministische Prinzipien über Bord werfen. Die sexualisierte Gewalt, die am 07. Oktober 2023 gegen israelische FLINTA und weitere Personen ausgeübt wurde und weiterhin wird – es sind immer noch Menschen in Gefangenschaft der Hamas -, wird immer wieder verharmlost, geleugnet oder sogar als Widerstand glorifiziert. In diesen Kreisen ist der wahnhafte Antisemitismus stärker als grundlegende feministische Überzeugungen und der Wille, Opfern sexualisierter Gewalt zu glauben. Das ist nicht nur ein Verrat an den Betroffenen, sondern auch an unseren gemeinsamen Kämpfen gegen patriarchale Gewalt.“
Glückliche „behinderte, schwarze Lesben“?
Der Einsatz gegen Antisemitismus und Hamas ist natürlich löblich, aber dass man ihn mit einem „universellen Feminismus“ zusammenbringen muss, ist wohl nur in der linken Welt eine Selbstverständlichkeit. Der berühmte Opfergruppen-Kult lässt grüßen: Die Juden sind grundsätzlich benachteiligt, die Frauen sind grundsätzlich benachteiligt – also kann man ganz allgemein, sozusagen „in einem Abwasch“ für alle Rechte sämtlicher (vermeintlich) marginalisierter Gruppen gemeinsam streiten.
Im Aufruf erfolgt außerdem eine nähere Definition dieser Opfergruppen. Denn es wird zum großen Rundumschlag gegen „rechte Akteur_innen“ ausgeholt, die „einfache Feindbilder vorgeben“ würden: „Dabei handelt es sich um marginalisierte Personen: um Migrantisierte, um Menschen mit Behinderungen, um Jüdinnen_Juden, Sinti_zze und Rom_nja und um Queers, aber auch um Feminist_innen und Frauen, die eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung angreifen und Männer verweichlichen würden.“
Dieses Gruppendenken und Pauschalisieren verweigert natürlich eine individuelle Betrachtung möglicher Diskriminierung und macht die Beteiligten vor allem eines – schwach. Und vergleicht zudem Äpfel mit Birnen: So ist aus meiner Sicht eine „strukturelle Benachteiligung“ der Frau in unserer Gesellschaft längst passé. Judenfeindlichkeit lässt sich hingegen nach wie vor ausmachen – nicht zuletzt durch die enorme Zuwanderung aus muslimischen und tendenziell antisemitischen Kulturen. Was selbstverständlich keine generelle Abstempelung „der Juden“ zu „Opfern“ zur Folge haben sollte.
Die bekannte Intersektionalität lässt grüßen: Demnach kann eine Person gleichzeitig mehreren diskriminierten Gruppen angehören: Das berühmte Beispiel der „behinderten, schwarzen Lesbe“ soll besonders eindrücklich beweisen, wie jede einzelne Gruppenzugehörigkeit – „behindert“, „schwarz“, „lesbisch“ – einen zusätzlichen Grund der Benachteiligung liefert. Aber kann eine „behinderte, schwarze Lesbe“ nicht trotzdem der glücklichste Mensch der Welt sein?
„Kämpferische Abenddemo ‚Fight by Night‘“
Auf jeden Fall lebt die linke Leidenslogik von holzschnittartigen Freund-Feind-Bildern, die mitunter recht beliebig daherkommen. Obiger Frauenprotest kritisiert zwar auch „die Situation palästinensischer Frauen und Mädchen in Gaza (...) da sie von Hunger, Vertreibung und Gewalt betroffen sind und es noch immer an medizinischer wie humanitärer Hilfe mangelt“ sowie „das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung“. Dennoch scheint die Solidarität mit den Juden die ausschlaggebendere Positionierungen zu sein, während andere Gruppen ihre Sympathien eindeutig den Palästinensern entgegenbringen. Die taz berichtet von weiteren Demos, „die den Nahostkonflikt zum zentralen Thema machen“: So hat „die stark propalästinensisch ausgerichtete Gruppe ‚Alliance of international Feminists‘“ unter dem Motto „Until total Liberation“ zur Demo von Kreuzberg nach Neukölln aufgerufen. Außerdem beteiligt ist „die Gruppe ‚Young Struggle‘, die den Hamas-Terrorangriff auf Israel als ‚Gefängnisausbruch‘ und ‚Widerstand‘ bezeichnete, sowie ‚Palestine at the Forefront‘ und ‚Zora‘“.
Im dazugehörigen Demo-Aufruf heißt es in Hinblick auf andere feministische Ausrichtungen: „Was sie unter dem Namen des Feminismus zu verkaufen versuchen, rechtfertigt Völkermord, Krieg, militärische Invasionen und die Plünderung von Ressourcen.“ Man stelle sich „bedingungslos auf die Seite der unterdrückten und der von ihnen gewählten Wege des Widerstands“. Soll das bedeuten „der Feminismus“ solidarisiert sich mit einer islamistischen Terroristengruppe wie der Hamas? Die am 7. Oktober über 1.200 Menschen in Israel tötete, rund 250 Geiseln nahm und zahlreiche Sexual- und Gewaltverbrechen beging? Andererseits sind bekanntlich Teile des Feminismus auf dem islamistischen Auge blind und verweigern ganz generell die Anerkennung einer besonderen Frauenfeindlichkeit in orientalischen, muslimisch geprägten Kulturen.
Noch verrückter wird es auf der „kämpferischen Abenddemo ‚Fight by Night‘“. Eine Sprecherin verriet der taz: „Wir möchten auf der Demo keine Länderflaggen sehen, etwa von Israel oder Deutschland.“ Denn die Demo habe ein antistaatliches Selbstverständnis. Eine Ausnahme seien jedoch Palästina-Flaggen. Diese seien willkommen, denn diese stünden nicht nur für einen Staat, sondern auch für eine „revolutionäre antiimperialistische Praxis“. Auch auf Kurdistan- oder Rojava-Flaggen träfe das zu. Die Veranstaltung richte sich „gegen (jede) kapitalorientierte Politik und jede frauenfeindliche Regierung, egal ob sie in Berlin oder Damaskus sitzt“.
Für „Kampftage“ muss Frau wohl auf Konsum verzichten
„Der Nahostkonflikt hat die Spaltung verstärkt, allerdings hat es schon immer starke Differenzen zu zentralen ideologischen Überzeugungen wie Sexarbeit, Pornografie oder der Gleichstellung von Transpersonen gegeben“, stellt die taz in Hinblick auf die feministische Spalterei fest. Und liefert weitere kuriose Stilblüten besagter Abenddemo „Fight by Night“: Diese habe sowohl trans-, als auch prostitutionskritische Feministinnen ausgeschlossen – im woken Slang sind das dann „TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists)“ und „SWERFs (Sex Worker Exclusionary Radical Feminists)“.
Wenn auch Sie sich in das feministische Getümmel der Hauptstadt mischen wollen, so finden Sie hier eine ausführlichere Auflistung der aktivistischen Möglichkeiten. Falls Sie ungern demonstrieren, können Sie den Tag auch mit Konzerten und Partys ausklingen lassen, inklusive „FLINTA* DJs“ und „feministischem Rock- und Post-Punk“.
Ungünstig ist natürlich, dass der Feiertag ausgerechnet auf einen Samstag fällt – so gibt es keinen extra freien Tag und der Sonnabend als klassischer Shoppingtermin fällt zusätzlich weg. „Patriarchale Witze“ über Frauen und verhinderte Einkaufstouren drängen sich an dieser Stelle natürlich auf. Aber für „Kampftage“ muss Frau wohl auf Konsum verzichten – das passt ohnehin besser zum antikapitalistischen Motto der linken Aktivisten. Ich selber hatte für heute zum Glück keinen Einkaufsmarathon geplant. Allerdings hätte ich meine Shoppingtour im Supermarkt lieber in Ruhe am Samstag als hektisch am Freitagabend unternommen.
Beschweren will ich mich über diesen Feiertag selbstverständlich nicht. Wunderbares Wetter und endlich Frühling in Berlin! Meine Pläne für heute haben ganz und gar nichts mit Kämpfen, sondern eher mit Sonnen und Spazierengehen zu tun sowie der spannenden Frage, ob ich heute den ersten Eiskaffee des Jahres trinken werde. Oder doch lieber Aperol Spritz? Völlig banal und unpolitisch. Aber ich bezeichne mich schließlich auch nicht als „FLINTA*“.
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.