„Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ Wer als Feministin etwas auf sich hält, bekennt sich zu diesem Spruch, den Simone de Beauvoir kurz nach dem Krieg geprägt hat. Angeborene Mentalitätsunterschiede? Gibt's nicht. So eine Vermutung wäre Biologismus, und gegen den ziehen nicht zuletzt die Grünen in vielerlei Programmen, Veranstaltungen und Workshops zu Felde. Ihre Sicht: Jungs kriegen Fußbälle und Panzer zu Weihnachten oder zum Geburtstag, Mädchen dagegen Puppen und Spielzeugküchen. Allein daraus würden sich alle Unterschiede zwischen den Geschlechtern entwickeln, im Verhalten, in Vorlieben und Denkweisen. Verzichteten wir auf solche Gender-Geschenke wie Panzer und Puppen, verschwänden zwingend all diese Differenzen, basta, alternativlos. Grundsätzlich sei es aus feministischer Sicht deshalb egal, ob auf irgendeinem Stuhl, auf dem etwas entschieden wird, ein Mann oder eine Frau sitzt.
Es sei denn, es geht – wie jetzt – darum, nicht nur die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau einzuführen, sondern auch gleich mal die Gleichstellung. Da scheint der Biologismus gerade recht zu kommen. Wie bitte? Ausgerechnet da? Absurd. Ja, genau, aber der Zweck scheint die Mittel zu heiligen, jedenfalls bei der Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth (Die Grünen), wie man jetzt einem Interview mit ihr aus dem Tagesspiegel entnehmen darf. Gleich zwei sehr bemerkenswerte Details fallen darin auf. Zunächst: Sie sagt: „Frauen im Verteidigungsausschuss beispielsweise haben einen ganz anderen Blick auf Konflikte und Kriege, Männer im Familienausschuss eine andere Sicht auf die Elternzeit. Ob in Politik, Forschung oder Wissenschaft: Wer nur die eine Perspektive einnimmt, nur eine Norm setzt, bildet die Realität einseitig ab – mit zum Teil schwerwiegenden Folgen.“
„Frauen haben einen ganz anderen Blick“
Einen ganz anderen Blick auf Konflikte und Kriege, aha. Da will die Pazifistin Roth offenbar ihre Geschlechtsgenossinnen ganz grundsätzlich ins eigene Boot holen und ihnen mal eben genauso grundsätzlich die Eigenschaften Friedfertigkeit, Verhandlungsbereitschaft, Verzicht auf Revanche-Gelüste und ähnlich Löbliches anhängen. So muss man es wohl verstehen. Nur als Zwischenstadium, weil die jetzige Frauengeneration heute noch durch Puppen und Küche im Mädchenzimmer befriedet wurde, im Gegensatz zu den aggressiven Jungs mit ihren Panzern oder sogar Autos? Also ein Vorsprung, der ja tendenziell aufgegeben werden soll und dann alle wieder dasselbe denken und wollen? Wohl kaum.
Da Roth in diesem Satz ganz pauschal von „Frauen“ sprach (und, viel schlimmer, die Interviewerin, leider, leider nicht nachgehakt hat), bleibt als Interpretation unterm Strich nur das: „Frauen haben einen ganz anderen Blick“. Insinuiert natürlich: einen besseren Blick, sie schauen von höherer Warte. Und dann ist ein bisschen Biologismus offenbar erlaubt.
Also doch: Frauen bekommen Kinder und erfüllen deshalb andere Aufgaben, Frauen sind in der Evolutionsgeschichte viel zu wertvoll fürs Überleben der Art, zogen deshalb nicht in den Krieg und waren so der Notwendigkeit nicht ausgesetzt, sich zu Kraftprotzen zu entwickeln, denken deshalb weniger kämpferisch – zum Beispiel im Verteidigungsausschuss. Ein kleiner Ausflug in die Biologie ist also doch erlaubt, Frau Roth, richtig? Sind wir beide jetzt deshalb schon „Biologisten“? Problem: Die werden in diversen grünen Papieren nur ganz rechts-konservativ verortet, schlimm, schlimm.
Frauen haben also einen ganz anderen Blick, vielleicht haben sie ja auch eine ganz andere Lust auf Politik. Oder eben einfach weniger Lust dazu, weil sie Besseres zu tun haben – analog zu dem ganz anderen Blick im Verteidigungsausschuss, denn in der Politik wird ja auch scharf geschossen, das wollen sie eigentlich nicht. Und da bewegen wir uns schon auf ihren zweiten bemerkenswerten Satz im Tagesspiegel-Interview zu.
Gleichstellungsgesetz ist verfassungswidrig
Halten wir zunächst erst noch fest: In allen Parteien sind Frauen als Mitglieder unterrepräsentiert. Der Drang, überhaupt erstmal in eine Partei nur einzutreten, ist bei ihnen also erheblich schwächer entwickelt als bei Männern. Und zwar in einem so starken Maße, dass sie im Vergleich zu ihrer Stärke in den Parteien in den entsprechenden Parlamentsfraktionen vollkommen überrepräsentiert sind, deutlich genug allein schon im Bundestag. Jawohl: überrepräsentiert. Dass dies daran läge, dass Frauen innerhalb der Parteien geringere Aufstiegschancen zu erwarten hätten, zählt zu den großen Lebenslügen der Gleichstellungsfanatiker(innen).
Gerade die Grünen wissen am allerbesten, wie händeringend gerade sie nach qualifizierten Frauen suchen für ihre diversen Mandate, Ämter und Angestelltenposten, die sie durch ihren aufgeblähten Stimmenanteil bei den Bundestags- und Landtagswahlen zu vergeben haben. Wer einmal eingetreten ist bei den Grünen, hat deshalb den Aufstieg als Frau – bei Bedarf – sofort in der Tasche, dreimal so leicht wie als Mann.
Wo also sollen denn die qualifizierten Frauen so plötzlich alle herkommen, wenn das Wirklichkeit wird, was die Grünen – und mit ihnen auch die SPD und die Linke – derzeit im Schilde führen? Die Grünen wollen jetzt in allen Fraktionen gesetzlich eine 50:50-Parität durchdrücken (oder, was ich für wahrscheinlicher halte: einfach eine Mindestquote von 50 Prozent für Frauen). Bei der Aufstellung der Landeslisten sollen alle Parteien, ob sie wollen oder nicht, dazu verpflichtet werden, (mindestens?) auf jeden zweiten Listenplatz eine Frau zu wählen. Und jetzt zurück zum Roth-Interview: Die Grünen-Politikerin hat in diesem Zusammenhang nämlich auch das gesagt: „Am einfachsten wäre es, wenn sich die anderen Parteien zunächst am Modell der Grünen orientieren würden, der parteiinternen Quotenregelung bei Listenaufstellungen. Dieses Modell mag nur ein erster Schritt sein – aber zumindest wäre es schnell umsetzbar und verfassungskonform.“ Aha: „zunächst“ + „verfassungskonform“. Warum sagt Roth an dieser Stelle „verfassungskonform“? Wie kommt sie darauf?
Einfach mal beschliessen – Grundgesetz hin, Landesverfassung her
Ganz einfach, der Hinweis ergibt nur so einen Sinn, dass auch sie weiß, dass der Schritt, der im Zweifel nach „zunächst“ käme, ebenjenes Gleichstellungsgesetz, wie es ihr vorschwebt, ganz klar verfassungswidrig ist. Das wird sich nach entsprechenden Klagen und Gerichtsurteilen auch für Brandenburg herausstellen, wo so ein Gesetz für die übernächste Wahlperiode schon mal beschlossen wurde – Grundgesetz hin, Landesverfassung her.
Der wissenschaftliche Dienst des Brandenburger Landtags jedenfalls hat dazu eine Stellungnahme abgegeben. In der Zusammenfassung dazu heißt es: „Der Gesetzentwurf verstößt gegen das Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts (Differenzierungsverbot, Art. 12 Abs. 2 LV, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG), gegen die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und der Gleichheit der Wahl (Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) und das hiermit verbundene Demokratieprinzip (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 LV, Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG) sowie schließlich gegen den verfassungsrechtlichen Status der politischen Parteien (Art. 20 Abs. 1 LV, Art. 21 Abs. 1 GG)." Diese Passage ist hier auf Seite 68 nachzulesen.
Das Gesetz für eine Parität im Parlament verstößt also, wie an den Abkürzungen unschwer abzulesen ist, sowohl gegen die Landesverfassung (LV) Brandenburgs als auch das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik. Und das beides jeweils vierfach. Manche Aktivistin wird nun laut fordern, das Gutachten müsse sofort in die Tonne getreten werden, mit der Begründung, es sei schließlich im Auftrag der Fraktion der AfD erstellt worden. Es ändert nichts daran, dass es von der zuständigen, und zwar höchst neutralen Instanz des Brandenburger Landtags erstellt wurde.