Thomas Rietzschel / 08.11.2015 / 16:46 / 1 / Seite ausdrucken

Frau Angela und ihr Knecht Volker

Der vorauseilende Gehorsam mag den Duckmäuser vorübergehend manchen Vorteil verschaffen, langfristig hat er sich noch nie ausgezahlt. Am Ende, wenn es ernst wird, stehen sie allein im Regen, ziemlich lächerlich zumeist. Auf das Wort, das ihnen die Mächtigen einst gaben, können sie nicht zählen. Die Zusagen von gestern sind vergessen, sobald der machtpolitische Schwindel aufzufliegen droht. Die Lakaien müssen dann ausbaden, woran ihre Herrschaft nicht mehr erinnert werden will. So war es an den Höfen feudaler Vorzeit, nachher unter den Diktatoren; und ebenso ist es heute wieder in Deutschland.

Das Lehrstück dazu wurde letzte Woche in Berlin gegeben, auf der politischen Bühne des Kanzleramtes. Angereist war der Bibis-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages, 13 Abgeordnete samt Entourage und zentnerschwerem Aktengepäck. Man hätte es auch preiswerter haben können, indem man die eine Person, um deren Vernehmung es ging, nach Wiesbaden in den Hessischen Landtag zitiert hätte.

Aber das mochte der Frau Bundeskanzlerin dann doch niemand zumuten, zumal ohnehin damit zu rechnen war, dass sie sich kaum erinnern würde, dass ihr das Wesentliche längst entfallen ist.

Immerhin liegt das verhandelte Geschehen über vier Jahre zurück. Damals, im Frühjahr 2011, nach der Katastrophe von Fukushima, hatte die Kanzlerin Hals über Kopf eine Energiewende verkündet, die die sofortige Schließung aller deutschen Atomkraftwerke nach sich ziehen sollte. Beherzt ergriff sie die populistische Gunst der Stunde. Befeuert von dem Gedanken an zwei bevorstehende Landtagswahlen, wollte sie sich schon damals nicht lange mit juristischer Wortklauberei aufhalten.

Kurzerhand wurden die Ministerpräsidenten der Länder, auf deren Territorium die angsteinflößenden Anlagen stehen, zur Unterrichtung nach Berlin bestellt. Einer von ihnen war der hessische CDU-Statthalter Volker Bouffier, der nun seinerseits alles tat, um die politische Order seiner Parteivorsitzenden zeitnah umzusetzen. Obwohl es der gelernte Jurist besser hätte wissen müssen, entzog er dem Kernkraftwerk Biblis die Betriebserlaubnis, ohne dass es vorher zu der rechtlich vorgeschriebenen Anhörung des Betreibers RWE gekommen wäre.

Von oben herunter wurde „durchregiert“, wie es Angela Merkel bei ihrem Amtsantritt angekündigt hatte. Der Schneid beeindruckte. Kein Gedanke an das dicke Ende, das in der Ferne drohte. Zwar verursachte der euphorisch verkündete Atomausstieg schon bald merklich steigende Stromkosten, um die man sich aber nicht weiter kümmerte, weil sie der Verbraucher zu tragen hatte. Erst als eine Schadensersatzklage der RWE gegen das Land Hessen in Höhe von 235 Millionen Euro in Wiesbaden einging, begann sich der politische Horizont zu verdüstern.

Plötzlich sollte der Ministerpräsident für eine Entscheidung zur Verantwortung gezogen, die er in vorauseilendem Gehorsam gefällt hatte. Denn tatsächlich hatte ihm die Kanzlerin in der Sache damals gar nichts anzuweisen, womit wir wieder bei ihrer Befragung durch den Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags wären. Vor diesem nämlich erklärte sie ebendies, als sie ihre Vernehmer freundlich lächelnd wissen ließ, dass sie mit all dem nichts zu tun haben könne. Schließlich sei der Entzug der Betriebserlaubnis für Bibis einzig und allein Sache der Landesregierung gewesen.

Auch konnte sie sich partout nicht erinnern, den Ländern seinerzeit versprochen zu haben, sie im Falle drohender Schadensersatzklagen „nicht im Regen stehen“ zulassen. Ob Volker Bouffier, der das kurz zuvor bei seiner Vernehmung behauptet hatte, nach diesem Auftritt seiner Kanzlerin vor Wut in die Tischkante gebissen hat, wissen wir nicht. Spielt am Ende auch keine Rolle. Was zählt, ist vielmehr die Lektion, die ihm erteilt wurde.

Weil er seine Unterwürfigkeit bereits unter Beweis gestellt hatte, wurde er im Regen stehen gelassen, gerade so wie die in Ungnade gefallenen Höflinge früher Zeiten, die Arschkriecher, über die sich das Volk krumm und schief lachte. Davon, versteht sich, kann heute keine Rede mehr sein, nicht, wenn sich Volker Bouffier ermannen sollte, demnächst Charakter zu zeigen. Denn auch die Grenzöffnung, zu der sie die Organe des Staates Anfang September drängte, ist für die Kanzlerin nicht mehr als eine „politische Entscheidung“. Für ihre Folgen dürfte sie sich am Ende so wenig verantwortlich fühlen wie für die politisch initiierte Energiewende. 

Das, wird uns Angela Merkel nachher - wenn sich beispielsweise die Gefährdung der inneren Sicherheit durch den unbegrenzten Zustrom der „Flüchtlinge“ nicht mehr ignorieren lässt - das, wird sie uns dann erklären, sei doch Sache der Länder und Kommunen, die die Menschen aufgenommen haben. Und berufen kann sie sich dabei abermals auf Volker Bouffier, der auf der Regionalkonferenz seiner Partei in Darmstadt am 2. November 2015 versicherte, diese “CDU steht hinter Angela Merkel wie eine eins“. Das war vier Tage, bevor die Bundeskanzlerin den armen Teufel vor dem Biblis-Untersuchungsausschuss im Regen stehen ließ.

„Der Wahnsinn,“ hat Albert Einstein einmal gesagt, „besteht darin, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

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Stefan Ahrens / 08.11.2015

“Treffer - versenkt!” Die Analysen von Herrn Rietzschel sind messerscharf und schonungslos. Und bitte, es soll in fünf oder zehn Jahren niemand sagen, er habe ja “nichts gewusst” von dem Irrsinn der Ära Merkel. Doch: Jeder konnte es täglich sehen, hören und lesen….

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