Gerd Held / 04.05.2017 / 06:25 / Foto: Copyleft / 15 / Seite ausdrucken

Frankreich: Von wegen alternativlos

Am kommenden Sonntag wird der nächste Staatspräsident Frankreichs gewählt. Die Entscheidung fällt zwischen dem „unabhängigen“ Kandidaten Emmanuel Macron und der Kandidatin des Front National, Marine Le Pen. In dieser Gegenüberstellung liegt eine tiefere Wahrheit. Hier zeichnet sich eine andere Unterteilung der politischen Kräfte ab als die zwischen Linken und Rechten. Sie könnte die Auseinandersetzung der kommenden Jahre und Jahrzehnte sein.

Aber wie wäre diese Unterteilung zu beschreiben? Provisorisch könnte man davon sprechen, dass auf der einen Seite (Macron) eine Politik ohne feste Grenzen und Bestände steht, in der globale (europäische) Aushandlungsprozesse alles Wesentliche regeln. Diese Politik nimmt für sich „Offenheit“ in Anspruch und will Frankreich nur soweit repräsentieren, wie es europäisiert ist.

Auf der anderen Seite (Le Pen) sammeln sich die Kräfte, die eine Politik auf Grundlage der begrenzten Bestände, Verhältnisse und Interessen eines Landes anstreben. Für sie ist politische Legitimität nur möglich, wenn sie im Rahmen eines „kompakten“ Staatswesens arbeitet und sich in der Kontinuität eines bestimmten Staatsvolks zu verantworten hat. Dieser politische Pol geht davon aus, dass ein anderer, größerer Verantwortungsrahmen nicht zur Verfügung steht und deshalb die Nationen nach wie vor die grundlegende politische Instanz einer modernen Welt sind.

So müsste man vielleicht von einer politischen Konstellation sprechen, bei der sich ein diffuser, aufgelöster Liberalismus und ein erneuerter Liberalismus verantwortungsfähiger Nationalstaaten gegenüberstehen. In der Endrunde der französischen Präsidentschaftswahlen stoßen beide Alternativen nun deutlicher als zuvor aufeinander.

Macron spricht wie die Sieger von Castingshows

Ist nicht der „unabhängige Kandidat“ Macron eine gerade idealtypische Verkörperung der neuen globalen Offenheit? Getrennt vom Parteiapparat der französischen Sozialisten scheint er freischwebend und geradezu schwerelos jeden Gipfel der Politik erklimmen zu können. Er hatte in seiner kurzen und steilen Karriere bisher keine längere Durststrecke zu bestehen. Wer seine Rede am Abend des ersten Wahlgangs verfolgte, fühlte sich an jene Sympathie-Formeln erinnert, die die Sieger von Castingshows von sich geben. Doch das gereicht ihm keineswegs zum Nachteil. Es macht ihn für viele zur Idealbesetzung einer Politik, die alle Probleme durch ein vermittelndes Sowohl-als-Auch regelt. Und die kein „Hier steht Frankreich und kann nicht anders“ kennt. Sofort nach Macrons Erfolg sind ihm die Sympathien des gesamten Politikestablishments zugeflogen. Die Parteien, die Frankreich jahrzehntelang geführt haben, waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Und aus dem Ausland wurde ihm zugejubelt als sei hier der neue Obama gefunden.

„Europa ist erleichtert“, heißt es. Merkwürdige Leichtigkeit. Hat man schon vergessen, dass in Frankreich seit über einem Jahr der Ausnahmezustand gilt? Es bedeutet, dass die rechtsstaatliche Ordnung in einem europäischen Kernland auf dem Spiel steht. Und es gibt nicht den geringsten Grund zur Entwarnung. Wie kann man da irgendein Gefühl der „Erleichterung“ empfinden?

Dazu kommt ein zweiter Ausnahmezustand: Die wirtschaftliche Stagnation und das Wachstum der Staatsschulden werden immer bedrohlicher. Dass es sich hier um einen Ausnahmezustand handelt, ist aber noch gar nicht anerkannt. Man geht, nicht nur in Frankreich, davon aus, dass die Lage irgendwie durch die Umverteilung von Subventionen und Krediten seitens der EZB und der EU in Schach gehalten wird. Man schielt auf die Bonität Deutschlands und Deutschland spielt mit, weil es nur so seine günstige Exportposition erhalten kann. Diese grenzüberschreitende Kombination von Schieflagen ist das Geschäftsgeheimnis der sogenannten „europäischen Lösungen“.

Le Pen fehlt das Leichte, auch das Triumphierende

An dieser Stelle wird auch die Gegenposition, die die Kandidatin Marine Le Pen verkörpert, deutlich. Ihr fehlt das Leichte, auch das Triumphierende. Erst recht das spielerisch Elegante. Es sind im Grunde ernste Auftritte, die denen verständlich sind, die mit den realen Schwierigkeiten Frankreichs zu tun haben. Die Stimmanteile des Front National sind nicht einfach Sympathiestimmen, die dieser Partei schnell zugeflogen sind. Es sind Stimmen, die erst allmählich und oft nach schlechten Erfahrungen mit anderen politischen Kräften zum Front National gekommen sind. Das Wahlergebnis im ersten Durchgang zeigt die Stabilität dieses Votums. Es ist eine robuste Wählerschaft, die sich nicht einschüchtern lässt. Aber die Stimmen für Marine Le Pen sind kein Votum der nationalen Überheblichkeit. Wo es um die Verteidigung des eigenen Landes geht, braucht man nicht die Herabsetzung anderer Nationen.

Doch offenbar gibt es etwas, das noch verhindert, dass diese „nationale“ Position wirklich mehrheitsfähig wird. Sie erscheint leicht als Position des Rückzugs. Viele Menschen können sich noch nicht vorstellen, wie auf diese Weise wirtschaftliches Wachstum und eine stabilere Welt möglich ist. Die Idee, dass man begrenzten Nationen eine sehr komplexe Welt anvertraut, ist ja keine Selbstverständlichkeit. Sie erfordert den Mut zur Freiheit. Eine Welt der Nationen ist im Grunde eine liberale Ordnungsvorstellung, die darauf baut, dass unabhängige, selbstverantwortliche Einheiten einen größeren Zusammenhang stabil gestalten können – ohne übergreifende Gesamtregierung. Das ist die Alternative, die spätestens seit dem Brexit-Votum auf der historischen Tagesordnung ist. 

Auf dem Weg dorthin werden uns noch alle möglichen „leichten“ Scheinlösungen begegnen. Und Frankreich wird die Luftnummer namens Macron wohl nicht erspart bleiben.

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Leserpost

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Brigitte Miller / 04.05.2017

Ich wage zu behaupten, dass das Erscheinungsbild von Macron einen grossen Anteil daran hat, dass er bevorzugt wird. “Ein neuer Obama” ist kein schlechter Vergleich.

Birger Barth / 04.05.2017

Ich weiß nicht genau ob es immer nur eine Wahrheit gibt…dieser Artikel strotzt vor Vorurteilen und nationaler, vielleicht rückwärtsgewandter Gesinnung! Wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen, unsere Länder gibt es nicht mehr! Auch Frankreich wird es als Grande Nation nicht mehr geben, obwohl sie es natürlich glauben…. Daher wäre mein Vorschlag, gebt allen neuen Kräften eine Chance und laßt die alte Macht heulen, jubeln,toben und diffamieren…es ist nur ihr Untergang, nicht der Europas…denn ich glaube wir können das besser!

Hans Jürgen Haubt / 04.05.2017

Herr Held. Ihre vorsichtige Gegenüberstellung und Einschätzung der Situation in Frankreich und Europa sowie die der Positionen der beiden Kandidaten um das Präsidentenamt hebt sich wohltuend von euphorischen Stimmen und Artikeln der Medienlandschaft ab, die Le Pen rechtsnationale Fremdenfeindlichkeit unterstellen und Macron als neuen Heilsbringer sehen. Dass überhaupt nationale Bewegungen so groß werden, ist ein Versagen der etablierten Parteien und Regierungen. Sie nur als undemokratisch, populistisch und fremdenfeindlich “abzustempeln”, reicht nicht aus. Die Fehler der Vergangenheit, die nicht mehr oder kaum noch rückgängig gemacht werden können, müssten in der Zukunft von den sie verursachenden Politikern, Parteien und Einflusskreisen vermieden werden . Bisher habe ich weder in Deutschland noch in Frankreich und bestimmten anderen Ländern schlüssige politische Konzepte zur Gestaltung und Lösung von Aufgaben und Problemen erkennen können. Aus der EU ist lediglich zu vernehmen, dass bis November die Grenzkontrollen eingestellt werden müssen. Dort hat man offensichtlich noch gar nichts aus den Fehlern dazugelernt. Es wird weiterhin an den Sicherheitsbedürfnissen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen großer Teile von Bevölkerungen vorbei EU-Politik betrieben. Vieles hört sich als ein “so Weitermachen wie bisher an”.

Hans Jürgen Haubt / 04.05.2017

Herr Grell. Ihre vorsichtige Gegenüberstellung und Einschätzung der Situation in Frankreich und Europa sowie die der Positionen der beiden Kandidaten um das Präsidentenamt hebt sich wohltuend von euphorischen Stimmen und Artikeln der Medienlandschaft ab, die Le Pen rechtsnationale Fremdenfeindlichkeit unterstellen und Macron als neuen Heilsbringer sehen. Dass überhaupt nationale Bewegungen so groß werden, ist ein Versagen der etablierten Parteien und Regierungen. Sie nur als undemokratisch, populistisch und fremdenfeindlich “abzustempeln”, reicht nicht aus. Die Fehler der Vergangenheit, die nicht mehr oder kaum noch rückgängig gemacht werden können, müssten in der Zukunft von den sie verursachenden Politikern, Parteien und Einflusskreisen vermieden werden . Bisher habe ich weder in Deutschland noch in Frankreich und bestimmten anderen Ländern schlüssige politische Konzepte zur Gestaltung und Lösung von Aufgaben und Problemen erkennen können. Aus der EU ist lediglich zu vernehmen, dass bis November die Grenzkontrollen eingestellt werden müssen. Dort hat man offensichtlich noch gar nichts aus den Fehlern dazugelernt. Es wird weiterhin an den Sicherheitsbedürfnissen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen großer Teile von Bevölkerungen vorbei EU-Politik betrieben. Vieles hört sich als ein “so Weitermachen wie bisher an”.

Rolf Menzen / 04.05.2017

Ob es Frankreich mit Le Pens nationalem Sozialismus besser geht wage ich da doch mal ernsthaft zu bezweifeln.

Gernot Radtke / 04.05.2017

Frankreichs wie auch Europas Erzübel ist ein sich seit Jahrzehnten immer tiefer in die Mentalität des Volkes eingrabender Sozialismus/Sozialdemokratismus, der, Staatsschulden höher als der Himalaya zeigen es gnadenlos an, die Zukunft künftiger Generationen gleich mitverfressen hat, von wegen ‘Generationenvertrag’. Egal ob Macron oder Le Pen – es bedürfte schon eines langen Reformprozesses von mehr als nur einer Präsidentschaft, um des Übels wieder einigermaßen Herr zu werden. Das ganze Volk müßte mitmachen, d.h. entsprechende Mehrheiten in der Nationalversammlung zustande bringen und dies in einer Langzeitperspektive. Daraus wird nichts werden. Die Franzosen wie auch die anderen Europäer sitzen, solange sie noch einen Dummen finden, den sie anpumpen/ausnehmen können, lieber im goldenen Käfig des Egalitarismus, statt auf einem Ast, der ihnen das freie Fliegen ermöglichen würde. Im Käfig werden sie wie die anderen Vögel weiter verfetten und sich vor Flug-Anstrengungen bewahren, bis der sozialen Gerechtigkeit wieder mal und dann definitiv das Geld ausgeht. Die Franzosen mögen stolz auf ihre Revolution von 1789 sein. Aber deren Freiheits- und Autonomieversprechen haben sie längst für die Egalite eingetauscht. Da kommen sie wahrscheinlich nur noch durch eine zweite Revolution heraus, die wohl kaum von einem irgendwie aus dem Hut gezauberten Polit-Kaninchen namens Macron oder einer gutmütigen Kuh aus der Provinz angeführt werden dürfte. Die französische Nation wird sich wie die deutsche noch einmal neu und solider erfinden müssen, um ihre Kräfte überhaupt zu möglicher Wirksamkeit zu bündeln. Ich weiß, das klingt alles ziemlich defätistisch. - Ihr sehr guter Beitrag ist es nicht, verehrter Herr Held!

Florian Bode / 04.05.2017

Man muss Le Pen nicht mögen, um Macron für einen ungeeigneten Präsidenten zu halten. Die politische Routine ist ihm fremd. Wenn es mühselig zu werden droht, wird er abdrehen. Er repräsentiert die globale Markenweld und würde vielleicht als Apple-Chef reüssieren, solange das Geschäft gut läuft. Die Führung eines Staates ist aber eine andere Sache, da macht man sich schnell unbeliebt. Diese ganze Idee der Welt ohne Nationalstaaten ist übrigens unausgegorener Blödsinn. Wenn überhaupt, denn Kerneuropa (F, D, I, NL, B) als “großer” Nationalstaat. Dann aber richtig, mit gewählter Regierung und gemeinsamer Sprache (welche soll das dann sein?) One more thing: Die Wahl in Frankreich ist erst am Sonntag entschieden.

Gerrit Schwedler / 04.05.2017

Nein, Macron wird die Wahl sicher gewinnen. Aber es ist doch bemerkenswert, dass ein beachtlicher Teil der Linken den befohlenen Weg in Richtung Macron nicht mitgehen mag und dem Ruf des Links-Establishment zur Bildung eines “antifaschistischen Schutzwalls” nicht Folge leistet. Entsprechend empört zeigt sich ja auch der politisch-mediale Komplex. Dem ein oder anderen Linken wird wohl langsam auch klar, wer die Gewinnler der Globalisierung sind und dass ein reicher Investmentbanker nicht zum Volkstribun taugt. Die Linke hat sich einspannen lassen und bisher nicht gemerkt, dass sie für den Erzfeind den Karren zieht und “No Border! No Nations” gerade den Schwächsten der europäischen Nationen den Boden unter den Füßen wegziehen wird.

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