Heuer erwartet Israel rund dreitausend neue Einwanderer aus Frankreich, das ist mehr als das Dreifache des Vorjahres. Vor allem junge französische Juden zieht es nach Israel, nachdem der antijüdische Hass in Frankreich ihr dortiges Leben gefährdet.
Die französische Tageszeitung Le Figaro berichtete in einem aktuellen Artikel über Juden, die vor der Entscheidung stehen, Frankreich für immer zu verlassen, um künftig in Israel zu leben. „Seit einigen Monaten haben wir jeden Tag Anträge auf Eröffnung einer Akte, insbesondere von jungen Leuten“, stellt Emmanuel Sion, Direktor der Jewish Agencyin Frankreich, fest. Die Dimensionen von der Zeit nach den Pariser Anschlägen im November 2015 seien aber bei Weitem nicht erreicht, fügt er einschränkend hinzu. Damals machten innerhalb eines Jahres fünftausend Juden Alija, wie die Auswanderung von Juden nach Israel genannt wird.
Dieses Jahr erwartet Israel rund dreitausend Olim Hadashim (neue Einwanderer) aus Frankreich; mehr als das Dreifache im vergangenen Jahr. Der 30-jährige Jeremy (Name geändert) hatte bereits über seine Alija nachgedacht; dafür ausschlaggebend waren die Ergebnisse der Parlamentswahlen, bei denen das Wahlbündnis Nouveau Front Populaire unter Führung der linksradikalen La France Insoumise (LFI) und unter Einschluss der Kommunisten mit 180 von 577 Sitzen eine relative Mehrheit gewann. 92 Prozent der französischen Juden sind laut einer Umfrage der Ansicht, LFI fache den Antisemitismus in Frankreich an. „Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn wir haben keinen Platz mehr in Frankreich“, sagt Jeremy. Seine Auswanderung ist für September geplant.
Laut dem israelischen Ministerium für Einwanderung und der Jewish Agency eröffneten seit dem 7. Oktober letzten Jahres rund 6.440 französische Juden eine Einwanderungsakte, im Vergleich zu 1.057 im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Der Antrag auf Eröffnung einer Einwanderungsakte ist Voraussetzung für die Alija, bedeutet aber nicht, dass alle Antragsteller auch tatsächlich bzw. sofort diesen Schritt setzen. Die Zahl der Anträge ist daher nicht gleichzusetzen mit der Zahl der Auswanderer.
Der Minister für Einwanderung und Integration, Ophir Sofer, begrüßte die Entscheidung der Einwanderer, „trotz der schwierigen Umstände“ nach Israel zu kommen und würdigte „die Stärke ihres zionistischen Engagements“.
Die Neue Volksfront als größte Bedrohung für französische Juden
Allein am Montag, den 15. Juli, kamen rund hundert französische Juden in Israel an, berichtete das französische Magazin L’Opinion, weitere werden im Laufe des Sommers folgen. „Antisemitische Taten haben den größten Anstieg seit den 2000er Jahren erlebt. Die Juden in Frankreich müssen sich verstecken und fühlen sich ständig in Gefahr“, so der Historiker Marc Knobel gegenüber Le Figaro. Da sie das Gefühl hätten, dass es keinen Sinn mehr habe zu kämpfen, zögen sie es vor, Frankreich zu verlassen.
„Vor zehn Jahren hätte ich nie daran gedacht, Frankreich zu verlassen, aber jetzt bereite ich meine Alija vor“, erzählte Rachel, Mutter von zwei Kindern im Alter von fünf und sieben Jahren. Sie habe „ständig Angst“, ihnen könnte etwas Schlimmes zustoßen: „Wenn ich sehe, dass linksradikale Fanatiker an die Macht kommen könnten, verstärkt das nur meinen Wunsch zu gehen. Auch wenn Israel ein Land ist, in dem Krieg herrscht, ist es der einzige Ort, an dem ich meinen Platz wiederfinden kann.“
Das Linksbündnis Nouveau front populaire (Neue Volksfront, NFP) und deren größte Partei, La France Insoumise (LFI), hätten den „antijüdischen Hass zu einer Wahlkampfstrategie“ gemacht, schrieben französische Intellektuelle Anfang Juli in einem offenen Brief. Darin heißt es: „Wir sind angewidert von der Trivialisierung des Antisemitismus und fordern eine Brandmauer gegen die Neue Volksfront, eine Koalition, die unserer Meinung nach heute die größte Bedrohung für die französischen Juden und im weiteren Sinne für Frankreich darstellt.“
Verschwörungstheorie „Himmelsdrachenmenschen“
Als Beispiel wird der Abgeordnete David Guiraud genannt, der zugibt, als junger Mann durch Videos des Schweizer Holocaustleugners Alain Soral geprägt worden zu sein und die Israelis bezichtigte, die Gräueltaten der Hamas letzten Oktober in Wahrheit selbst verübt zu haben. Bei einer Veranstaltung in Tunis (unter dem Titel Kann man die Palästinenser in Frankreich noch verteidigen?) sagte er: „Das Baby im Ofen, das wurde von Israel gemacht. Die aufgeschlitzte Mutter, das wurde, das ist wahr, von Israel gemacht.“
Guiraud spricht auch von den die Welt beherrschenden „Himmelsdrachenmenschen“ (auch: Weltaristokraten), die in dem Manga One Piece als reiche und mächtige Kaste die Welt regiert. In Frankreich ist der Begriff in den sozialen Netzwerken zu einem antisemitischen Code geworden, um Juden zu bezeichnen. Der offene Brief enthält weitere Beispiele für den Antisemitismus einiger LFI-Abgeordneter bei gleichzeitiger Begeisterung für die Hamas.
Hanna (Name geändert) aus Val-d’Oise schilderte Le Figaro ihre Bestürzung, als sie auf den Toilettenwänden ihrer renommierten Pariser Universität Tags wie „Free Palestine“ und „Fuck le Crif“ (Interessenverband der französischen Juden) vorfand. Die aktuelle Situation, die sie als „zu gewalttätig“ empfindet, veranlasst sie dazu, Frankreich widerstrebend zu verlassen: „Ich weiß, dass das Leben dort hart ist, aber ich habe lieber eine schlechtere Situation in Israel, als mich in Frankreich verstecken zu müssen.“
Zionismus als Hauptgrund für Alija
Langfristig – also auf Sicht von mehreren Jahrzehnten – hätten Frankreichs Juden keine andere Wahl, sagte Rabbi Dov Maimon vom zionistischen Thinktank Jewish People Policy Institute im Gespräch mit der Moderatorin des frankophonen israelischen Senders i24 Français. Als Gründe nannte er die „demografischen Veränderungen“, den „wirtschaftlichen Abstieg“ und das „Wiederaufleben des Antisemitismus“. Er verwies darauf, dass Frankreich Präsident Emmanuel Macron ausgerechnet die Armee des Emirats Katar, des größten Sponsors der Hamas und der islamistischen Ideologie in Europa, wie er betonte, angeheuert habe, um während der Olympischen Spiele in Paris für Sicherheit zu sorgen.
Emmanuel Sion, Direktor der Jewish Agency France, möchte lieber eine positive Botschaft vermitteln. Der Hauptgrund, der die Menschen dazu bringen, Alija zu machen, sei der Zionismus, sagte er der Jerusalem Post; Sorgen über Antisemitismus trügen lediglich dazu bei. Französische Juden seien sehr zionistisch eingestellt und hätten starke Verbindungen zu Israel, und viele wollten schon seit Langem nach Israel ziehen und beim Aufbau des Staates helfen. Neue Programme würden dies erleichtern.
Ein solches stellten Sion und andere Offizielle der Jewish Agency und des Einwanderungsministeriums kürzlich örtlichen französischen Juden vor. Die Jerusalem Post schilderte die Atmosphäre: „Die blau-weiße Stimmungsbeleuchtung und die Dekoration füllten den Saal, während die Gäste tanzten, sangen und ein überraschendes Wiedersehen zwischen einem allein [nach Israel; Anm. Mena-Watch] ausgereisten französisch-israelischen IDF-Soldaten und seinen Eltern feierten. Obwohl die Veranstaltung unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und Polizeischutz stattfand, wurde Antisemitismus von den Verantwortlichen nicht erwähnt.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).