Hat das Kabinett des neuen Premierministers François Bayrou überhaupt eine Zukunft?
Sieht das nicht nach Stillstand aus? Das fragt man sich unwillkürlich, wenn man die kurz vor Heiligabend vom neuen französischen Premier François Bayrou vorgestellte neue französische Regierung mit 14 Ministern und 21 Unterministern (ministres délégués) mit der Mannschaft des am 5. Dezember zurückgetretenen Kurzzeit-Regierungschefs Michel Barnier vergleicht. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild.
Denn darin finden sich etliche bekannte Gesichter wie das der ehemaligen Premierministerin Elisabeth Borne, die jetzt das wichtige Erziehungsministerium übernimmt. Oder Manuel Valls, der dem sozialistischen Macron-Vorgänger François Hollande als erfolgloser Premierminister diente. Der gebürtige Katalane Valls hat sich die Sympathien vieler Franzosen verscherzt, indem er nach dem Verlust seines Amtes in Paris für das Bürgermeisteramt in Barcelona kandidierte. Valls übernimmt unter Bayrou das sicher undankbare Amt des Ministers für die überseeischen Gebiete Frankreichs. Gérald Darmanin, früher zumindest scheinbar harter Innenminister unter Macrons Premierministern Borne und Attal, wird nun Justizminister. Bruno Retailleau von den gemäßigt rechten Republikanern behält das Amt des Innenministers, das er unter Michel Barnier erlangte. Er machte seinen Eintritt in die neue Regierung von der Erarbeitung eines strengen Einwanderungsgesetzes abhängig. Die genannten Minister firmieren, als „Ministres d’État“ (Staatsminister), was in Frankreich etwas anderes besagt als bei uns, denn die Namensträger sollen dadurch aus dem Kreis ihrer Ministerkollegen hervorgehoben werden.
Die Liste der Minister ohne dieses Etikett beginnt mit der Rechten Catherine Vautrin, die das Amt des Arbeits-, Gesundheits- und Familienministers bekleiden soll. Sie wird gefolgt vom parteilosen Eric Lombard als Wirtschafts- und Finanzminister. Lombard war bislang Generaldirektor der Caisse des dépôts et consignations, einer Staatsbank. Sebastien Lecornu von der Macron-Partei Renaissance wird weiterhin das Kriegsministerium leiten. Die schöne Rachida Dati mit marokkanischen Wurzeln, bislang Bürgermeisterin eines schicken Bezirks von Paris, bleibt Kulturministerin. François Rebsamen, der ehemalige sozialistische Bürgermeister von Dijon, wird Minister für Infrastruktur-Planung und Dezentralisierung. Jean-Noël Barrot vom zentristischen MoDem bleibt Europa- und Außenminister. Agnès Pannier-Runacher vom linken Flügel der Macron-Partei Renaissance bleibt Ministerin für die ökologische Wende und damit für die Energiepolitik verantwortlich. Annie Genevard von den rechten Republikanern übernimmt das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährungs-Souveränität. Laurent Marcangeli von der Partei Horizons wird für die Beamten und die Vereinfachung der Verwaltung zuständig sein. Die parteilose Marie Barsacq wird Sportministerin.
Schulden machen mit Finanzakrobatik
Die 21 Unterminister können hier nicht alle namentlich aufgeführt werden. Erwähnenswert ist jedenfalls Amélie de Montchalin von der Macron-Partei Renaissance, die sich mit Eric Lombard um die „Sanierung“ des seit 50 Jahren defizitären Staatshaushaltes kümmern soll. Wie ihr neuer Chef hat sich die Frau einen zweifelhaften Ruf als etatistische Finanzakrobatin erworben. Die Kunst dieser Art von Finanzpolitik besteht darin, zusammen mit korrumpierten Gewerkschaftern und anderen subventionsabhängigen Interessenvertretern die Stunde der Wahrheit des gegebenen Finanzsystems auf der Basis ungedeckten Geldes noch ein paar weitere Jahre in die Zukunft zu schieben, die Strukturen dieses Systems und den Lebensstandard seiner Profiteure aber so weit wie möglich unangetastet zu lassen.
Noch vor dem Amtsantritt Bayrous erzielte die politische Klasse Frankreichs mit dem eher konservativen Senat und dem Staatsrat unter Vorsitz des Sozialisten Laurent Fabius die Übereinkunft, den durch das gelungene Misstrauensvotum gegen Michel Barnier geschaffenen gesetzlosen Zustand dadurch zu umgehen, dass der defizitäre Haushalt von 2024 einfach ins Jahr 2025 verlängert wird. So wachsen die französischen Staatsschulden bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund drei Billionen Euro in diesem Jahr auf 3,303 Billionen Euro. Das sind 113,7 Prozent des BIP. Der Zentralstaat muss im kommenden Jahr etwa 330 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Hinzu kommen wahrscheinlich 65 Milliarden Euro für das Loch in der allgemeinen Sozialversicherung (Sécurité sociale).
Das Defizit im französischen Staatshaushalt, das sich im noch laufenden Jahr auf 6,2 Prozent des BIP oder 162,4 Milliarden Euro beläuft, wird also weiter steigen. Nur Italien und Griechenland haben eine noch höhere Schuldenrate, wobei Italien im Ranking aber besser wegkommt, weil seine Schuldtitel sich größtenteils in der Hand einheimischer Fonds und Privatpersonen befinden. Frankreich zahlt mit 2,9 Prozent schon heute höhere Zinsen für langlaufende Staatsanleihen als Griechenland. Nach den ursprünglichen Plänen der französischen Regierung sollte die Grenze von drei Prozent des BIP, die der Maastricht-Vertrag vorgibt und von den meisten EU-Mitgliedstaaten auch respektiert wird, im Jahre 2029 unterschritten werden. Aktuell redet kaum noch jemand darüber.
Keine schlaflosen Nächte wegen der Staatsschulden
Auch François Bayrou scheinen die hohen Staatsschulden keine schlaflosen Nächte zu bereiten. Während Michel Barnier noch ankündigte, das Staatsdefizit wenigstens unter fünf Prozent des BIP drücken zu wollen, hat François Bayrou von vornherein eingeräumt, das Defizit werde auch im neuen Jahr weiterwachsen. Er weiß, dass er einen Aufstand provozieren würde, ginge er tatsächlich daran, den ausgabenfreudigen Wohlfahrtsstaat abzuspecken und die höchste Abgabenquote der Welt, unter der vor allem die Selbstständigen leiden, spürbar zu senken. Doch um die Sorgen der arbeitenden Mittelschichten hat sich das zentristische MoDem nie gekümmert. Die Abgeordneten der kleinen zentristischen Fraktion in der Nationalversammlung haben bislang eine Senkung der Staatsausgaben aktiv verhindern geholfen. Sie folgten dabei zäh der in den Präsident Macron freundlich gesonnenen Massenmedien verbreiteten linksliberalen Argumentation, wonach Schuldenmachen im Euro-System kein grundsätzliches Problem darstellt.
Auch der Ex-Sozialist Manuel Valls, nun für die überseeischen Départements Frankreichs zuständig, gilt als sozial-liberal. Er hat sich unter Staatspräsident François Hollande einen Namen als Hardliner und Macher im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den Drogenmissbrauch zu machen versucht. Das brachte ihm Ärger mit seinen Genossen ein. Rechts gab es dafür eher Beifall. Mit seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Barcelona hat er sich dann aber die Sympathien der Franzosen parteiübergreifend verscherzt. So musste er sich in der Regierung Bayrou mit dem undankbarsten Ressort begnügen.
In den überseeischen Besitzungen Frankreichs häufen sich seit Jahren die Krisen. Zuletzt hat das Archipel Mayotte in der Nähe von Madagascar im Indischen Ozean die Nachrichten dominiert, nachdem die Insel von einem Wirbelsturm heimgesucht wurde und nicht nur die wilden Wellblech-Siedlungen der illegal von den benachbarten Komoren illegal eingewanderten Muslime zerstörte, sondern auch Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude und Geschäfte. Da auf der kleinen Insel keine größeren Flieger landen können, wurde deren Versorgung mit medizinischem Equipment und Nahrungsmitteln zu einer größeren Herausforderung. Deshalb haben sich Bayrou und seine Staatsminister für Sonntag, den 29. Dezember, auf Mayotte angesagt. Auch die meisten anderen französischen Inseln, insbesondere Neu-Kaledonien und Guadeloupe, befinden sich in der Dauerkrise.
Auf dem Weg zum Narco-Staat
Besondere Herausforderungen warten auch auf den neuen Justizminister Gérald Darmanin, der sich bereits als Innenminister unter Elisabeth Borne und Gabriel Attal als Sheriff der von mächtigen Drogen-Kartellen regierten Vorstädte von Paris und Marseille zu profilieren versucht hat – allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Nicht wenige Fachleute gehen davon aus, dass Frankreich unaufhaltsam zum Narco-Staat wird. Neben den Drogen-Kartellen legen auch die Muslim-Brüder ihre Hand auf ganze Stadtviertel. Umso bedenklicher ist die Tatsache, dass Bayrou bislang eine ausgesprochen weiche Haltung gegenüber solchen Netzwerken gezeigt hat.
Man kann Bayrou vieles vorwerfen, aber sicher keinen Opportunismus, denn er hat seit seinem Eintritt in die große Politik immer die gleiche zentristische, das heißt nach allen Seiten offene Haltung gezeigt. Er verfügt gleichzeitig über beachtliches Durchhaltevermögen, bleibt dabei aber uneingestanden vom Stillhalten Marine Le Pens und ihres Rassemblement National (RN) abhängig. Weshalb ihm etliche Beobachter zutrauen, seine Politik mindestens bis zur nächsten Parlamentswahl durchzustehen. Emmanuel Macron wäre es wohl egal, wenn in der Zwischenzeit mehrere Premierminister samt ihrer Regierungen enttäuscht und genervt aufgäben.
Denn das brächte ihn seinem vermuteten Ziel, der Machtergreifung auf der Grundlage des Notstandsartikels 16 der gaullistischen Verfassung von 1958 näher. Ein Machthaber könnte dann die Rosskur des „Great Reset“ nach dem Rezept des „World Economic Forum“ (WEF), dessen Schule Macron als „Young leader“ absolviert hat, wortgetreu umsetzen. (27.12.2024)
Edgar L. Gärtner ist studierter Hydrobiologe und Politikwissenschaftler. Seit 1993 selbstständiger Redakteur und Berater, als solcher bis 1996 Chefredakteur eines Naturmagazins. Bis Ende 2007 Leiter des Umweltforums des Centre for the New Europe (CNE) in Brüssel. In Deutschland und in Südfrankreich ist er als Autor und Strategieberater tätig.