Frankreich hatte kürzlich seinen Corona-Expertenrat aufgelöst. Doch nun ist er unter neuem Namen wieder da – und soll sich unter anderem um die gesundheitlichen Folgen der Umweltverschmutzung und der Klimaerwärmung kümmern.
Nach der Auflösung des Ausnahmezustands in Frankreich wurde – wie ich bereits bei Achgut berichtete – ja auch der wissenschaftliche Expertenrat aufgelöst. Aber nur siebzehn Tage später feierte er seine Wiedergeburt: mit neuem Namen, neuem Vorsitz und erweitertem Aufgabengebiet. Brigitte Autran, pensionierte Immunologin, wird sich als Vorsitzende nicht nur um die Fragen rund um das eine Virus kümmern, sondern auch um die gesundheitlichen Folgen der Umweltverschmutzung und der Klimaerwärmung.
19 Mitglieder wird das Komitee zählen, 16 Wissenschaftler, einen Bürgervertreter und einen Vertreter von Patienten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ehemalige Mitglieder des jüngst aufgelösten wissenschaftlichen Expertenrats übernommen werden. Das Komitee soll Empfehlungen für Maßnahmen an die politischen Entscheidungsträger ausgeben, wenn sich eine Gesundheitskrise abzeichnet. Offene Frage: Worin besteht der Unterschied zwischen einem Bürgervertreter und einem Patientenvertreter? Beachte und notiere: ein Bürgervertreter kann kein „Ungeimpfter“ sein, denn der „Ungeimpfte“ ist kein Bürger mehr, der Präsident hat's erklärt am 1. Januar 2022. Aber der „Ungeimpfte“ könnte ein Patientenvertreter werden – meine ich –, denn der „Ungeimpfte“ ist ja schneller ein Patient, als er gucken kann. Wenn er nicht sowieso schon gestorben ist.
Es ist so beruhigend, dass wir in Frankreich doch nicht allein gelassen werden. Und ich dachte schon, ab jetzt muss sich hier jeder wieder selbstverantwortlich um seine Gesundheit kümmern. Aber nein, Brigitte ist da, noch eine Brigitte neben Macrons Brigitte, und diese Brigitte, Brigitte Autran, hat ihr Auge auf der Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen und vom Menschen zurück aufs Tier und wieder retour, und sie glaubt fest daran, dass das Ziel Zero Affenpocken erreichbar ist. Wohingegen Zero Covid nicht möglich ist, nein, da ist sie ganz realistisch, lobt die so gut schützenden „Impfungen“, ermahnt, dass viel zu viele Franzosen nach wie vor nicht „geimpft“ sind und viel zu wenige ihre Auffrischungsimpfungen erhalten haben und sie beklagt, dass Paxlovid noch viel zu selten an bedürftige Patienten ausgegeben würde, das muss unbedingt beschleunigt werden.
Aufruf zur vierten Dosis für alle Schwangeren
Nun, der Krieg, den Macron im März 2020 gegen das Virus ausgerufen hat, scheint vorbei, aber das „Komitee der Überwachung und der Vorausschau von Gesundheitskrisen“ steht weiterhin parat. Ja, Vorausschau, Vorwegnahme, anticipation auf Französisch. Nicht etwa Prävention. Mag heißen, dass das große Modellieren weitergehen soll und so Gesundheitskrisen antizipiert werden, die, nachdem sie sich als Miniatur entpuppt haben, ja wieder fein weiter aufgepumpt werden können, damit sich keiner die Blöße geben muss, dass es doch nicht so schlimm ist wie modelliert.
Im Radio vor den Nachrichten läuft mittlerweile der Aufruf zur vierten Dosis für alle ab 60 Jahren und für alle Schwangeren – diesmal ohne Präzisierung, ob in den ersten drei Monaten oder später, Schwangere sollen einfach ganz generell dringend ihre vierte Dosis abholen.
Im Département Sarthe kümmert man sich indes auch rührend um die Gesundheit der Halbwüchsigen. Im Beitrag des privaten Fernsehsenders BFM lernen wir, dass sich die Kinder seit 2020 immer weniger bewegt hätten. Da will man jetzt ran, die Gesundheit der Kinder stärken. Zum Wieder-Schulbeginn Anfang September ist geplant, an 30.000 Kinder elektronische Armbänder auszugeben, die ihre Gesundheit überwachen: Die Armbänder werden ihre Schritte zählen, die Herzfrequenz aufnehmen, den Kalorienverbrauch berechnen und so weiter. Sieben Mittelschulen nehmen an diesem auf vier Jahre ausgelegten Projekt freiwillig teil. Die Departementsverwaltung betont, dass die Teilnahme der Schüler freiwillig ist und von den Eltern schriftlich genehmigt werden muss.
Dieselben Leute, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Kinder im Frühjahr 2020 so gut wie gar nicht mehr bewegt haben, lächeln nun gutmenschelnd in die Kamera und reden von Gesundheit und Vorbeugung. Normalgewichtige Kinder sagen auf, dass sie das echt gut finden und man so viel besser den Überblick über sein Bewegungspensum behalten könne.
Symbolische Kurzbesuche des Präsidenten
Es wird sich zeigen, ob ein Gruppendruck unter den 11-Jährigen in Sarthe entsteht und hernach tatsächlich tausende Kinder diese Armbänder tragen werden oder ob dieses Projekt einen ähnlichen Verlauf wie die App „Alle gegen COVID“ nehmen wird: große Idee, viel Geld reininverstiert, breite Teilnahmeverweigerung der Franzosen. Die App hat im Juni 2021, ein Jahr nach ihrer Bereitstellung, mühsam 10 Millionen Benutzer erreicht, also liebliche 14 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Der französische Präsident bereichert uns weiterhin mit seinen Reden. In denen er wiederholt dem medizinischen Personal dankt: Großer Druck laste auf ihm in den Krankenhäusern, erfahren wir von ihm. Und dass das Personal aber in beispielloser Solidarität und unter hohem persönlichem Einsatz weiter arbeitet.
Übergangen wird, warum die Krankenhäuser so sehr in Not sind. Symbolische Kurzbesuche des Präsidenten in kommunalen Krankenhäusern lösen gelegentlich die Nachfrage aus, ob die Reintegration der Suspendierten eine Lösung oder immerhin eine Erleichterung wäre. „Das ist nicht die Antwort auf dieses Problem!“, erklärt der französische Präsident daraufhin. Es fehlt nicht nur das „ungeimpfte“ suspendierte Personal, es kündigen auch weiterhin viele „Geimpfte“ ihre Stellen aus Tiefenerschöpfung, aus Frustration.
Angesichts der Waldbrände versäumt der Präsident auch nicht, den Feuerwehrleuten zu danken, den französischen und den ausländischen. Die um die 5.000 suspendierten, weil „ungeimpften“ französischen Feuerwehrleute sehen zur Zeit zu, wie der Staat Personal aus Schweden, Griechenland, Italien, Österreich, Polen, Deutschland, Rumänien zur Unterstützung anheuert. Diese Feuerwehrleute werden gar nicht nach ihrem Impfstatus befragt, sie dürfen auch „ungeimpft“ Waldbrände löschen.
Nach dem Danken erfahren wir vom Präsidenten, dass das Ende des Überflusses, das Ende der Selbstverständlichkeiten und das Ende der Unbekümmertheit gekommen sei. So gesagt am Mittwoch, 24. August, im Ministerrat. Sehr oft klingt Macron so, als suchten seine Redenschreiber nach großartigen Zitaten für künftige Geschichtsbücher. Die Schlussworte seiner Rede in Bormes-les-Mimosas zum 78. Jahrestag der Landung der Alliierten sind ein weiteres Beispiel: „Frankreich, sowohl als Nation als auch als Republik, ist keinesfalls ein Besitz, keinesfalls ein Recht, sondern ein Vermächtnis, das weiterzugeben ist. Und ein Kampf, den man zu führen wissen muss.“ Man vergebe mir die Wortwahl: das ist nichts weiter als rhetorische Masturbation.